Designer Enzo Mari im Interview

"Wir sagen heute viel zu selten Nein"

Herr Mari, Sie gehören seit Jahrzehnten zu den profiliertesten Gestaltern in Europa. Was halten Sie vom Design der Gegenwart?
Nicht viel. Mir fehlt dabei das Utopische. Als ich in den 50er-Jahren anfing, wollten die Designer die Welt verändern. Das ist nicht mehr so. Die Konservativen sagen, die Welt ist schön, wie sie ist. Aber das stimmt nicht. Wenn wir so weitermachen, wird sie untergehen.

Kann das Design von der Kunst lernen?
Selbstverständlich. Aber wenn ich Kunst sage, meine ich nicht die Masse, die heute produziert wird. 99 Prozent davon sind völlig überflüssig und illustrieren in erster Linie individuelle Befindlichkeiten, Träume und Gefühle. Aber große Kunst, die Kunst der Renaissance zum Beispiel oder auch die von Robert Rauschenberg, Claes Oldenburg oder Keith Haring, ist in der Lage, zu allen zu sprechen. Sie reflektiert gesellschaftliche Verhältnisse, und jeder versteht sie.

Und was kann die Kunst vom Design lernen?
Gar nichts!

Gibt es einen Designer, den Sie besonders schätzen?
Ich kann ihnen sagen, was einen guten Designer ausmacht. Für mich ist er ein alter Bauer, der beschließt, einen Kastanienbaum zu pflanzen. Dabei weiß er genau, dass er die Kastanien nicht essen wird, er wird sie nicht einmal wachsen sehen. Er wird auch nicht im Schatten des Baumes sitzen, wenn es heiß ist. Aber er weiß, dass seine Nichten und Neffen das tun werden. Deshalb pflanzt er den Baum.

Sie legen großen Wert auf ethisches Design. Was darf man sich darunter vorstellen?
Wenn ich mich heute mit Designern unterhalte, drängt sich mir oft der Eindruck auf, dass sie zwar hochfliegende Pläne haben, aber rein gar nichts über die Produktion wissen. Meine Idee war, in die Fabriken zu gehen und dafür das nötige Bewusstsein zu schaffen. Man sagt, Design sei dazu da, ein Bedürfnis zu befriedigen. Mir ging es aber um die Bedürfnisse der Arbeiter, die mit ihrer Tätigkeit nicht glücklich waren, weil sie sie nicht verstanden.
 
Das hört sich nach Marxismus der alten Schule an.
Nicht alles, was neu ist, ist auch gut. Im Gegenteil: Es ist eine Sucht, die die Menschen zu Zombies macht. Denn das Neue ist meist nur dazu da, so schnell wie möglich wieder weggeworfen zu werden, weil die meisten Fabrikanten Ignoranten sind und die meisten Konsumenten auch. Es ist wichtig, dass man ein Gespür für die Zusammenhänge entwickelt. Und das erfordert bisweilen eine gewisse Radikalität.

Momentan präsentieren Sie in der Galerie Tanya Leighton in Berlin Ihre Sammlung von Briefbeschwerern. Was hat es damit auf sich?
Ich sammle Briefbeschwerer nicht nur, ich benutze sie auch. Sie halten die Papierstapel, die Sie hier sehen. Der größte Teil davon ist Ausschuss. Die Ausstellung ist also ein Manifest meiner intellektuellen Arbeit. Und die besteht vor allem darin, Ideen zu verwerfen. Ich denke, wir sagen heutzutage viel zu selten Nein.

Das vollständige Interview lesen Sie in der Oktober-Ausgabe von Monopol. „The Intellectual Work: Enzo Mari with Pavel Büchler, Jason Dodge, Tim Rollins + K.O.S.“, Galerie Tanya Leighton, Berlin, bis 19. November