Berlinische Galerie feiert die 60er

Wir Salon-Modernen

© Dieter Urbach/Berlinische Galerie, Repro: Markus Hawlik
© Dieter Urbach/Berlinische Galerie, Repro: Markus Hawlik

Die Ausstellung "Radikal Modern" in der Berlinischen Galerie​ versucht eine Neubewertung der 60er-Jahre-Architektur. Aber ist der Zug nicht längst abgefahren?

Ich bin nicht über das Röhrensystem aus rollenden Gesteigen gekommen, mit dem die Architekten Georg Kohlmaier und Barna von Sartory Passanten quer durch die Stadt transportieren wollten. Auch die sechsspurige Autobahn, die Hans-Georg Krumbholz einst für die Innenstadt imaginierte, habe ich nicht benutzt, denn ich besitze keinen schnittigen Straßenkreuzer, sondern ein Fahrrad. Auf dem ich aus jenem Teil Kreuzberg zur Berlinischen Galerie fuhr, der nach dem Willen avancierter Städteplaner längst Hochhäusern Platz gemacht hätte.

Die Schau "Radikal Modern" (Review in Monopol 7/2015) blickt mit großen, staunenden Augen auf die Architektur der 60er-Jahre in West und Ost-Berlin. In jener Dekade habe noch Aufbruchsstimmung und Technikeuphorie geherrscht, entwarfen Städteplaner Lebensräume für eine moderne Gesellschaft, heißt es in der Ausstellung. "Toller als New York" ist ein Interview mit dem Architekten Kohlmaier überschrieben. Weil ab Mitte der 60er "eine intellektuelle Minderheit von Publizisten, Wissenschaftlern und Studenten die neue Bauweise kritisiert" und "diese Haltung die Debatte bis heute prägt", sei eine "Neubewertung" nötig.

Dabei ist die Rehabilitation dieses Jahrzehnts natürlich schon länger in vollem Gang und spätestens mit dem Erfolg der US-Fernsehserie Mad Men im Mainstream angekommen: Wir wollen – damit prahlen wir jedenfalls vor den Kollegen – Drinks im Büro wie die Serienfigur Don Draper (greifen dann aber doch zum Mineralwasser, medium). Träumen – das behalten wir lieber für uns  – von den Erziehungssätzen seiner Frau Betty ("Geh Fernsehen!"; "Schlag deinen Kopf gegen die Wand, wenn dir langweilig ist!"), setzen bei unserem tobsüchtigen 2-Jährigen dann aber doch auf diskursive Überzeugungsarbeit.

Die 60er sind der Instagram-Filter, den wir über unser Selbstbildnis legen, Pose ohne Haltung. Und so ergötzen wir uns jetzt auch an den ausgestellten Entwurfszeichnungen für Großsiedlungen wie das Märkische Viertel oder die Gropius-Stadt – in die wir Altbaubewohner niemals einen Fuß setzen würden. Über die politischen Hintergründe jener Zeit erfährt man in der Ausstellung nichts, der Connaisseur schweigt und weiß: International Style!

Während die Berlinische Galerie in den 60ern New York erblickt, entdeckt New York in diesem Jahrzehnt gerade ganz etwas anderes. Im City Museum der Metropole ist bis Mitte September die Schau "Saving Place: 50 Years of New York City Landmarks" zu sehen. Sie erinnert an die Gründung der Denkmalschutzkommission, die 1965 unter anderem als Reaktion auf den Abriss der historischen Penn Station gegründet wurde und heute als Wegmarke eines urbanen, nachbarschaftlichen Miteinanders gilt. Die Penn Station taucht auch in den frühen Mad-Men-Folgen auf, Draper und Kollegen pendeln von hier in die Vororte. Aber manche Züge sind irgendwann auch mal abgefahren.