Neue Nationalgalerie Berlin

Wirklichkeit nach Schema

Gar nicht lange her, da wurde in Berlin viel geschimpft, dass die großen deutschen Gegenwartskünstler hier zu selten gezeigt werden. Dann wurde häufig von Andreas Gursky geredet, dessen Retrospektive in München zu sehen war, aber mal wieder nicht in einer Berliner Institution, nicht in der Neuen Nationalgalerie. Es ging dabei gar nicht so sehr um den Status als Hauptstadt, der auch durch künstlerische Repräsentanz eingelöst werden müsse. Entscheidender war, dass die Künstler und ihre Galerien in die Stadt gezogen waren, in den Museen aber kaum vorkamen.
 
Der Künstler Thomas Demand arbeitet seit 1996 in Berlin, und von hier aus hat er sich einen Namen in der Welt gemacht. In seinem Atelier neben dem Hamburger Bahnhof baut er mit einer Schar von Mitarbeitern zumeist lebensgroße Kulissen aus Papier und Karton, die er abfotografiert und dann zerstört. 40 großformatige Fotografien von solchen Modellen stellt er nun in der Neuen Nationalgalerie aus, einige davon wurden eigens für die Ausstellung produziert. Es ist der nächste Streich des neuen Nationalgalerie-Direktors Udo Kittelmann.
 
Die Ausstellung hat das Zeug zum echten Hit. Sie schafft es in die Tagesthemen und sorgt gewiss für Schlangen am Eingang am Eröffnungswochenende, das vor uns liegt. Wie die ewige Referenz Gursky eignet sich der Bildhauer, der stets nur Fotografien ausstellt, hervorragend für eine große Schau in der Halle des Mies-van-der-Rohe-Baus: Er arbeitet konzeptuell, so dass das Publikum nicht nur schauen kann, sondern auch denken darf. Er lässt dennoch genug zum Staunen übrig; die technische Raffinesse und der Aufwand der Produktion sind überwältigend. Und die Arbeiten verweisen auf Architekturen - sie stehen also in einen Bezug zum Ausstellungsort, zu seinem Anspruch und seiner Geschichte.
 
„Nationalgalerie“ hat der 46-jährige Künstler seine Schau ganz selbstreferenziell betitelt. Im Jubiläumsjahr des Mauerfalls und der Republikgründung erinnert Demands Galerie des Nationalen an die Brüchigkeit dieses „Nation“ genannten Konstrukts aus Herkunft, Territorium, „Volk“, Tradition und Staat. Jetzt, da eine neue Generation von Künstlern erstmalig die höchsten nationalen Ehrungen einfährt, meldet sie Zweifel an – an der Nation selbst. Kittelmann kündigt an, mit seinen Ausstellungen diesen Bezug zum Wesen einer Nationalgalerie auch künftig hier aufrecht zu erhalten. Sicher ist diese explizite Beschäftigung mit dem Ort auf die Weile ermüdend, aber bei Demand gewinnen die einzelnen Bilder dadurch.
 
Der Künstler führt uns Orte vor, die künstlich wirken. Sie kommen einem irgendwie bekannt vor, aber es sind nicht die Sphären des Offiziellen, in denen sich die Macht des Staates offenbart. Hier zeigt sich vielmehr die Gegenmacht der Medien. Da ist eine Badewanne, dem Tatort nachgebildet, an dem Uwe Barschel ums Leben kam; das Bild „Klause“ mit einer verdörrten Topfpflanze erinnert an die lebensfeindliche Kneipe, in der vor acht Jahren ein Kind verschwand, ein Bild eines zerlegten Raumes an die Erstürmung der Stasi-Zentrale in der Berliner Normannenstraße.
 
Stationen einer eher blinden Geschichte in diesem Kreuzweg Deutschlands so vorgeführt zu bekommen, hat etwas Ergreifendes. Die Bilder sind auf Vorhänge angebracht, die die Halle in Galerien teilt; man hört die Stimmen der anderen Besucher hinter den dicken Stoffen, was das Unheimliche und die konspirative Stimmung noch verstärkt. Wie entsteht Wirklichkeit, nach welchen Schemata läuft Erkenntnis ab?
 
Das Panorama der Republik aus Pappe nachgebaut, die Ausstellungsarchitektur, das ambitionierte Begleitprogramm zum Thema „How German is it?“ – die Schau ist perfekt. Fast perfekt. Hätte man sich nur nicht Botho Strauß hinzugeholt. In Glasvitrinen liegen dicke aufgeschlagene Folianten, darin liest man verschwurbelte, tiefsinnige Aphorismen des Schriftstellers, die zu den Bildern entstanden. Zu der Demand-Arbeit „Archiv“ etwa fällt ihm ein: „Ordnung ist die Unwahrscheinlichkeit und daher eine Erscheinungsweise der Kunst.“ Damit sortiert Strauß selbst wieder ein, was doch gerade so schön in der Luft hing.
 

18. September 2009 bis 17. Januar 2010, mehr unter www.neue-nationalgalerie.de