Ausstellung "Wohnkomplex" in Potsdam

Einstürzende Neubauten

Zwischen Aufbruch, Ernüchterung und Abwertung: In seiner neuen Ausstellung "Wohnkomplex" zeigt das Potsdamer Kunsthaus Minsk differenzierte künstlerische Auseinandersetzungen mit dem Plattenbau-Erbe der DDR 

Als die Hasso-Plattner-Stiftung vor wenigen Jahren das ehemalige Terrassenrestaurant Minsk in Potsdam sanierte, stellte sie ein urbanes Ensemble wieder her, an dem sich einige Visionen der DDR-Stadtplanungskollektive noch heute erfahren lassen. Nicht nur Licht und Luft sind zentrale Qualitäten des Ortes, sondern auch die Tatsache, dass öffentliche Flächen für Erholung und Aufenthalt geschaffen wurden, etwa der Vorplatz. Einer der Architekten des Minsk war auch in die Planung von größeren Plattenbausiedlungen involviert. Nicht nur deshalb ist es folgerichtig, dass das 2022 eröffnete Kunsthaus diesem Thema nun eine Ausstellung widmet. 

Unter den 50 Arbeiten von 1970 bis heute finden sich Installationen, Malerei, Skulptur und Film. Kuratiert wurde die Schau durch den freien Kunstkritiker Kito Nedo, der in Leipzig aufgewachsen ist. Und vielleicht gleich mal vorab: Griffige Slogans sind hier nicht zu erwarten. Anders als die "Zeit" titelte, ist die Ausstellung weder "geil auf Beton", noch feiert sie irgendeinen Hype. Doch ebenso wenig ist sie eine Abrechnung mit den "Karnickelställen", wie ausgerechnet die "Berliner Zeitung" Plattenbauwohnungen kürzlich nannte

Dieser "Hau-drauf-Rhetorik" setzt die Ausstellung einen fragenden Gestus entgegen. Die Kölner Künstlerin Sabine Moritz etwa, die als Kind in Jena-Lobeda gelebt hat, zeigt eine bislang unbekannte Serie großformatiger Malereien aus den frühen 1990er-Jahren mit Straßenszenen oder Interieurs im Plattenbau-Gebiet. Die Leinwände bestechen durch höchst eigensinnige Perspektiven und Überlagerungen, an denen deutlich wird, dass diese Arbeiten nicht als Abbild zu lesen sind.

Auseinandersetzung mit dem eigenen Erinnern

Sie entstammen im Gegenteil einer Auseinandersetzung mit dem eigenen Erinnern. Und so erstaunt es nicht, dass Moritz im Gespräch berichtet, diese Leinwände seien frühe Versuche gewesen, die sie aufgegeben habe. Nur durch Zufall seien die Bilder der Vernichtung entgangen. Es klingt an, dass sie etwas unklare Gefühle im Zusammenhang damit hat, Arbeiten zu zeigen, die so viele Jahre verschüttet waren und sich von ihrem aktuellen künstlerischen Schaffen so sichtbar abheben. 

Es ist dieses Ringen mit den eigenen Erfahrungen, das sich durch die Ausstellung zieht. Die Berliner Künstlerin Wenke Seemann montiert in ihrer Videoarbeit Dokumente aus der Aufbauzeit der Rostocker Plattenbaugebiete Groß Klein und Lichtenhagen – nur um sie direkt wieder zu überschreiben. 

Auch für sie gab es einen interessanten Kippmoment von Erinnerung und erneuter Aufarbeitung. Sie hatte als Jugendliche in den 1990er-Jahren in einer Rostocker Plattenbausiedlung gelebt und war schließlich vor der rechten Gewalt in die Innenstadt geflohen. Lange danach entdeckte sie eine Fotosammlung ihres Vaters, die die Entstehungszeit der Neubaugebiete in den 1970er-Jahren dokumentierte. In der Durchsicht war sie überrascht, darin "einen Geist von Aufbruch und Erneuerung" zu sehen, von dem sie während ihrer eigenen Jugend so gar nichts mehr hatte spüren können. 

Eine Weigerung, etwas abzuschließen

Eine unmittelbare Befragung des Moments bieten die Aufnahmen des japanischen Fotografen Seiichi Furuya. Er hatte in den späten 1980er-Jahren in der DDR gelebt und zeigt eine überbordende Sammlung von Beobachtungen. Die Tatsache, dass er seine Aufnahmen immer wieder neu auswählt und hier als Projektion in zufälliger Reihenfolge zeigt, offenbart seine Weigerung, ein abgeschlossenes, lineares Narrativ zu entwickeln. Im Minsk präsentiert er nicht nur Szenen zwischen Neubaublocks, sondern auch snapshots aus dem DDR-Fernsehen, die wie in einem medialen Spiegelkabinett zur surrealen Begleiterscheinung des gelebten Alltags werden. 

Die ostdeutschen Plattenbausiedlungen entstanden im Rahmen eines gigantischen Programms, das die notorisch klamme DDR in vielen Städten durchführte. Das Besondere ist nicht nur die schiere Menge an Wohnungen, die ziemlich schnell hochgezogen wurden, sondern auch, dass die Haustypen stark standardisiert waren. Wenn ich das Foto eines Hauseingangs in Rostock sehe, kann es also sein, dass dieser exakt so aussieht wie sein Pendant im Wohnkomplex 3 in Leipzig-Grünau, den ich selbst als Kind jahrelang benutzt habe. 

Mit ihrer Serie "P2" nahm die Fotografin Sibylle Bergemann auf diese Typisierung Bezug. Sie hielt mehrere baugleiche Wohnzimmer in Berlin-Lichtenberg in einer systematischen Typologie fest, nicht unähnlich den Vorgehensweisen der Düsseldorfer Schule. So zeigt sie den immergleichen Blick in das immergleiche Zimmer, das nur jeweils ein anderes Interieur enthält - wie in einem nie endenden Traum. In der inszenierten Stille wird die Persönlichkeit der Bewohnerinnen und Bewohner spürbar, durch die Details der Einrichtung oder durch peinlich genaues Aufräumen. 

Melancholie, Humor und Präzision

Dass die Wohnungen in den Neubaugebieten für DDR-Bürgerinnen und -Bürger attraktiv waren, wird oft erwähnt (Stichwort Fernwärme) und ist wenig überraschend, wenn man bedenkt, wie sanierungsbedürftig der Rest der Republik war. Obwohl die Leute sowieso gern einzogen, bewarb die SED das Bauprogramm intensiv als großes sozialistisches Projekt, das ein neues, egalitäres Zusammenleben ermögliche. 

Eine Serie von Gemälden aus Halle-Neustadt, die Uwe Pfeifer in den frühen 1970er-Jahren schuf, zeigt den Alltag in den neuen Siedlungen in einer schwer bestimmbaren Mischung von Melancholie, Humor und Präzision – und hier wird auch die schiere Menge an Menschen sichtbar, die die entstandenen Stadtviertel bevölkerten. Wie deren innere Stimmung ist, lässt sich in den Gemälden nur erahnen. Deutlich sichtbar hingegen ist das Wirken einer gestaltenden Macht, die den Alltag der Figuren in klare Bahnen lenkt. 

Obwohl die Plattenbau-Gebiete bis in die späten 1980er-Jahre von vielen Menschen als "Wohnlösung" akzeptiert waren, erfuhren sie mit der Wende eine umfassende und scheinbar unumkehrbare Entwertung. Sie gerieten gar zum Inbegriff des Scheiterns der DDR. Diese Degradierung gewann ihre Wucht teilweise durch die bis zum Erbrechen in den Medien wiederholte Pauschalkritik an der "Platte".

Übrig blieb: Leerstand

Die nachhaltigste Bewertung des sozialistischen Großprojekts nahmen allerdings die Bewohnerinnen und Bewohner selbst vor – indem sie nämlich in Scharen wegzogen. Nicht sofort, aber doch schon bald nach der Wende wurden Alternativen verfügbar: von sanierten Altbaubeständen der Innenstädte bis hin zu neuen Reihenhäusern auf der grünen Wiese. Übrig blieben Leerstand, unbenutzte Spielplätze, verkommende Infrastruktur, wie sie der Berliner Maler Christian Thoelke in zwei riesigen, geradezu immersiven Leinwänden in der Ausstellung reflektiert. 

Nun ist es ja keine Spezialität des Ostens, Neubauviertel hervorgebracht zu haben, die später zu fiesen Brennpunkten geworden sind. Doch der ersatzlose Ausfall einer regulierenden Zivilgesellschaft und der Absturz hin zu radikalen Leerräumen, in denen rechte Gewalt grassierte, erfolgte im Laufe der Wende schnell und massiv. 

In einer Rauminstallation zeigt die Künstlerin Henrike Naumann (die im kommenden Jahr gemeinsam mit Sung Tieu den deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig bespielen wird) einen sehr lebendigen Blick auf den Terror, den marodierende Jugendliche mit Baseballschlägern anrichteten. Und sie stellt dem eine ebenso willenlose hedonistische Party-Crowd gegenüber, die sich mit Pillen und Musik den Kopf wegschießt. Die fein beobachteten Details der Raumeinrichtung verweisen auf verschiedene soziale Präferenzen und Möglichkeiten: Billigmöbel und Reichskriegsflagge auf der einen Seite, schickes Design auf der anderen. 

Eine eigentümlich gemischte Stimmung

Viele Arbeiten der Ausstellung zeichnen sich durch eine eigentümlich gemischte Stimmung aus. Manfred Pernice verfolgt wie ein Archäologe den Rückbau der "hässlichen Luise", einem Wohnblock in Berlin-Mitte. Der Leipziger Maler Sebastian Jung hantiert mit äußerst heiteren Farben, um dann jedoch Figurinen zu zeigen, die wütend, stumm und ohnmächtig sind. Der Berliner Künstler Markus Draper hat sich in einer großen Rauminstallation materiell und physisch mit dem Klischee der grauen Klötze befasst – wie auch mit den RAF-Terroristen, die in der DDR in ebensolchen Wohnblocks untergetaucht waren. 

Schnelle Antworten auf das "Rätsel Platte" sind also nicht zu finden, dafür umso mehr Zwischentöne und offene Enden. Und das ist nur angemessen, denn die Neubaugebiete in Plattenbauweise sind nicht nur helle oder dunkle Vergangenheit, sie sind komplexe Gegenwart und bis heute ein Zuhause für viele zehntausende Menschen.