Alle Gerüchte haben sich als falsch herausgestellt: Die Nachfolge von Claudia Roth als BKM, wie man den Posten der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien abkürzt, ist eine ziemliche Überraschung. In der Kulturszene standen die Wetten auf Joe Chialo am höchsten, der als Berliner Kultursenator radikale Kürzungsrunden verkünden musste. Dabei wurde er vom Regierenden Bürgermeister, seinem CDU-Kollegen und (im Gegensatz zu Chialo) tatsächlichen Politprofi Kai Wegner, wohl über den Tisch gezogen und selbst erst spät über das Ausmaß informiert.
Chialo wollte zum Bund, weg von Berlin. Dass er sich dabei auch abfällig über Teile der Kulturszene geäußert hat, schien ihn in den Augen mancher CDU-Politiker geradezu für das Amt zu qualifizieren. Denn was ansteht, ist ein Kulturkampf von rechts gegen die angeblich linke Kulturszene.
Eine Umfrage unter Galeristen, Sammlerinnen und Konzertbesuchern würde zwar wahrscheinlich ein anderes politisches Spektrum zeigen. Aber kämpfen lässt sich eben nur mit Klischees und Unwissen, sonst müsste man es Debatte oder sogar Deliberation nennen, wie die Soziologie sich die öffentliche Meinungsbildung auf Augenhöhe einst gewünscht hat.
Kampfansage schon vor der Wahl
Wie weit wir von einer Debatte entfernt sind, die den Namen verdient, und wie tief wir bereits im Kulturkampf stecken, zeigt nun die tatsächliche Wahl des BKM: Wolfram Weimer soll der neue Kulturstaatsminister werden. Er ist kein CDU-Mitglied, gilt aber als der Partei nahestehend. Seine Vita verrät nichts über Kultur, aber viel über Medien.
Weimer gründete die Zeitschrift "Cicero", leitete die "Welt" und den "Focus" und rief mit seiner Frau anschließend einen eigenen Zeitschriftenverlag ins Leben, in dem Titel wie etwa "Wirtschaftskurier", "Markt und Mittelstand" und "Business Punk" erscheinen. Die Geschäftsführung der Weimer Media Group übergibt er seiner Frau Christiane Goetz-Weimer, ließ er heute eilig mitteilen. Er selbst verlasse die Unternehmensgruppe mit sofortiger Wirkung. So sind Interessenkonflikte zwischen Unternehmer und Kultur- und Medienpolitiker zumindest auf dem Papier nicht mehr gegeben.
Man darf wohl höchstens ein bisschen gespannt sein, wie der Neue zur grundsätzlichen Idee der Kulturförderung steht, die ja gerade deshalb gefördert wird, weil sie auf dem Markt/im Business auch als "Punk" nicht überleben kann. Dass die CDU in ihrem Wahlprogramm die Kultur weitgehend auf heimatverbundene Tradition zurückbinden wollte und in einem Drittel des Dokuments die Vertriebenenverbände hofierten, war allerdings schon vor der Entscheidung für Weimer eine Kampfansage.
Die ungeschützte Berufsbezeichnung "Kulturfreund"
Dessen Büro ist direkt dem Kanzleramt angegliedert, er steht also keinem eigenständigen Ministerium vor. Die Nachbarschaft zum Kanzler dürfte ihm schon vertraut sein, das ist fast wie am Tegernsee, wo der offenbar zu Reichtum gelangte Zeitschriftenmann Weimer unweit vom ehemaligen Aufsichtsratsvorsitzenden des weltweit größten Vermögensverwalters Black Rock wohnt, dem zukünftigen Kanzler Friedrich Merz.
Der erste, verständliche Reflex nach so einem Besetzungscoup, den niemand auf dem Zettel hatte, ist, nach Weimers Kulturqualifikationen zu fragen. Oder zumindest, wenn man nicht fündig wird, nach einer Affinität zu suchen. Er selbst nennt sich "Kulturfreund", das ist allerdings eine in Deutschland ungeschützte Berufsbezeichnung und nicht weiter zu verifizieren.
Dass Weimer promoviert hat, ist dagegen sicher, die Bezeichnung Doktor steht auch vor dem Autorennamen seines jüngsten Buches, "Das konservative Manifest - Zehn Gebote der Neuen Bürgerlichkeit". "Dr. Wolfram Weimer" steht da wirklich auf dem Umschlag, als wären wir in der titeldevoten Republik Österreich, die bis heute Mühe hat, die höfische Vergangenheit loszulassen, oder eben im Wirtschaftsleben, wo die akademischen Titel weit über den irdischen Dingen auf den Teppichetagen sogar im Alltag genannt werden. In der Kultur wirkt der Titelfetisch befremdlich, selbst Professoren schreiben das nicht auf ihre Bücher.
Politische Weichen werden neu gestellt
Nach bisherigem Verlauf der großen Kulturkampflinien hätte man denken müssen, dass die Linke und besonders die Grünen die Spaßbremsen der Nation seien, Stichwort Verbotspartei, Grillgegner, Dieselverbieter. Dass die moralische Wende nun ausgerechnet in "Zehn Geboten" wie die berühmteste Verbotstafel der Kulturgeschichte formuliert wird, macht etwas stutzig.
In der "FAZ" hat Feuilletonchef Jürgen Kaube dem Manifest Weimers in einem kurzen Text viele Fehler und Sonderbarkeiten vorgehalten, von falschen Vornamen bis zur Einschätzung, die Renaissance "amoralisch" zu nennen. Das ist lustig zu lesen und scharf formuliert. Vielleicht verkennt aber selbst ein Geist wie Kaube, dass die eigentliche Qualifikation von Doktor Weimer in der Augen der CDU gerade nicht die fachliche Kompetenz ist, sondern eben die Bereitschaft zum Kulturkampf.
Unter dem großen Begriffszelt der Sparrunden werden vielerorts auch in der Kultur politische Weichen neu gestellt. Da die Kulturförderung in Deutschland Ländersache ist, wird die angeblich linke Kultur von konservativ dominierten Regierung überproportional geschröpft. Aber die Aufgabentrennung zwischen Bund und Ländern, die im Grundgesetz festgehalten ist, wirkt in der Praxis schon lange nicht mehr so ganz intakt. Der Bund ist, zum Glück, auch für die Kultur ein wichtiger Player geworden. Und die Bedeutung des BKM hat laufend zugenommen, nicht nur wegen der besonders unter Monika Grütters gestiegenen Budgets.
Wissenschaftlerinnen oder Künstler sind nicht unbedingt mutiger als Durchschnittsbürger
Das betrifft nicht nur die vielen Töpfe, die in den letzten Jahren tendenziell Projekte und Institutionen in der sogenannten Fläche gefördert haben, also auf dem Land. Es geht auch um internationale Schaufenster: Der Bund ist nach dem Skandal um die Documenta Fifteen in den Aufsichtsrat der Ausstellung zurückgekehrt. In Italien fungiert mittlerweile ein rechtskonservativer Ex-Journalist als Präsident der Venedig-Biennale, Pietrangelo Buttafuoco gilt als verlängerter Arm von Giorgia Meloni.
Damit sind die zwei weltweit wichtigsten Kunstausstellungen indirekt in mindestens rechtskonservativer Hand. Das wird erst dann zu einem Problem, wenn diese Konstellationen zu Eingriffen in die künstlerische Leitung führen. Oder auch, wenn sich künstlerische Leitungen beeinflussen lassen.
Wie wir aktuell aus den USA wissen, sind Wissenschaftlerinnen oder Künstler nicht unbedingt mutiger als wir Durchschnittsbürger, die wie andere Überlebenswillige auch mal in vorauseilendem Gehorsam Entscheidungen treffen. Aber wer will denn gleich in die USA blicken, wo sich reiche Freunde Posten zuschanzen, ohne dafür qualifiziert zu sein, das wäre nun wirklich übertrieben.