Neuer Woody-Allen-Film

Realität frisst Nostalgie

Noch vor zwei Jahren hätte man den Woody-Allen-Film "A Rainy Day In New York" gar nicht so schlecht finden können. Durch die #MeToo-Debatte wird die anachronistische Komödie aber zur Provokation 

Ob sein neuer Film ganz charmant ist, eher enttäuschend oder doch mal wieder richtig gut – diese Frage begleitet Woody Allens Werk seit den Klassikern der 70er-Jahre. "A Rainy Day in New York" ist seine Nummer 49; und gerade wird nicht mehr diskutiert, ob man den neuen Allen sehen muss oder nicht – sondern ob man ihn sehen darf, ohne in der #MeToo-Debatte auf der falschen Seite zu stehen. In den USA geht es sogar darum, ob man ihn überhaupt sehen kann. Hier findet die Komödie keinen Verleih, seit Amazon die Rechte zurückgegeben und einen Deal über drei weitere Filme aufgekündigt hat.

Allen ist in den vergangenen zwei Jahren zum Risiko geworden: Mit dem Weinstein-Skandal haben auch die Vorwürfe von Allens Adoptiv-Tochter Dylan neues Gehör gefunden. Die hatte 1992, als Siebenjährige, angegeben, von Allen unsittlich berührt worden zu sein. Er bestreitet das, auch mit Hinweis auf ein entlastendes Gutachten. Die Anschuldigung steht im Zusammenhang mit dem Trennungskrieg zwischen Allen und Mia Farrow. Allen hatte seine Partnerin für deren Adoptivtochter Soon-Yi Previn verlassen, mit der er heute verheiratet ist.

Ein Riss in der Filmfamilie

Hat Woody Allen im Sommer '92 seiner Tochter Dylan sein Gesicht in den Schoß gedrückt? Hat Mia Farrow dem Mädchen den Übergriff eingeredet? Der Staatsanwalt hielt das schon damals für unbeweisbar und hat den Vorwurf nicht vor Gericht gebracht. Die Farrows spaltet die Frage bis heute. Einer von Dylans Brüdern, Ronan, glaubt der Schwester. Ein anderer, Moses, dem Vater. In Woody Allens Filmfamilie setzt der Riss sich fort. Für das Ensemble von "A Rainy Day in New York" bedeutet das: Timothée Chalamet, Selena Gomez und Rebecca Hall haben ihre Gagen an Organisationen wie "Time’s Up" gespendet, die gegen sexuelle Gewalt kämpft; Jude Law und Cherry Jones verteidigen den Regisseur. Elle Fanning schafft es, diplomatisch dazwischen zu bleiben.

Tatsächlich erweist der Film sich durch ein unglaubliches Timing als Sprengstoff. Gedreht wurde im September und Oktober 2017 – genau in dem Zeitraum also, als zwei Zeitungsartikel (einer davon aus der Feder von Allens Sohn Ronan Farrow) den Weinstein-Skandal und damit die #MeToo-Bewegung lostraten. Im Kino ahnt man nun die Panik, die sich am Set breitgemacht haben muss.

Mit fataler Präzision verhandelt der Film exakt das Kernthema der Debatte: Elle Fanning spielt in "A Rainy Day in New York" eine unbedarfte Studentin, der Hollywoods einflussreichste Männer an die Wäsche wollen. Und der das im Grunde gefällt. Man kann verstehen, dass Amazon den Stoff für unverkäuflich hält. Bei der Premiere steht die Komödie im Licht eines Bewusstseinswandels, den am ersten Drehtag niemand vorhersehen konnte.

Von einem Casanova zum nächsten 

Vor zwei Jahren hätte man den Film vielleicht als gar nicht so schlechte Variation des Woody-Allen-Repertoires beschrieben: Im Zentrum stehen Gatsby und Ashleigh, ein junges Liebespaar beim Wochenend-Trip nach New York. Sie will ihren Lieblingsregisseur für die Uni-Zeitung interviewen, er seiner Freundin das romantische New York präsentieren, Jazz-Kneipen und Kutschfahrt im Central Park inklusive. Am Ende bleibt dann doch jeder für sich, weil Ashleigh von einem Midlife-Crisis-Casanova an den nächsten gerät, um am Ende in Unterwäsche aus der Wohnung eines weltberühmten Ehebrechers zu fliehen.

Gatsby weint sich unterdessen bei Chan aus, der Schwester einer Verflossenen. Getragen wird der zwischen Boulevard und Melancholie changierende Spaß von einem traditionell tollen Ensemble: Timothée Chalamet beispielsweise funktioniert wunderbar als Allen’scher Vorzeige-Nostalgiker. Und das in diesem Fall auch deshalb, weil der Figur in Selena Gomez (als Chan) mal eine ruppige Pragmatikerin gegenübersteht, der das Drehbuch die knalligsten Pointen zuspielt.

Die Unbefangenheit ist endgültig verflogen

Auch Elle Fanning macht ihre Sache erwartbar gut. Ihre Ashleigh ist ein weiblicher Nerd, der mit viel Filmbildung und wenig Lebenserfahrung durch Hollywood-Partys stolpert und dabei weniger aus Berechnung denn aus reiner Ungeschicklichkeit sexuelle Signale in Serie sendet. Einmal zückt sie den Studentenausweis, um zu beweisen: Sie sieht zwar wie 15 aus, ist aber trotzdem schon volljährig. Aua. Diese Figur wäre schon immer grenzwertig gewesen.

Unter dem Eindruck von MeToo ist die nötige Unbefangenheit für Allens Geschichte aber endgültig verflogen. Dialogsätze über die Anziehungskraft alter Männer wirken genauso unbehaglich wie das Figurenarsenal, zu dem gleich mehrere Sex-Workerinnen gehören. Das ist ganz sicher nicht die richtige Assoziation zur Geschichte vom Hollywood-Macho und dem Mädchen.

Die Figuren waren mal brüchiger

Viele Gesten des Films sehen nun unfreiwillig provokativ aus. Er fühlt sich wie eine Trotzreaktion auf die Ablehnung an, die den Regisseur in Wahrheit erst nach dem Dreh eingeholt hat. Die Schwächen reichen allerdings tiefer. Es gab in Allens Schaffen mal eine Phase, in der er seine Kunstfigur brüchiger zeichnete und sie nicht mehr mit der schnellen Pointe ins Recht setzte. "Husbands and Wives" (1992), der Film, in den die Trennung von Mia Farrow platzte, erscheint wie eine Bilanz der eigenen Ratlosigkeit.

Als Allen sein filmisches Alter Ego später von jüngeren Darstellerin spielen ließ, zum Bespiel von Kenneth Branagh in "Celebrity" (1998), war das auch eine Möglichkeit, die unsympathischen Seiten des Charakters stärker auszuloten. Davon ist heute nichts zu spüren. Wenn diesmal Timothée Chalamet den "Woody" macht, dann nur, weil der echte mit seinen 84 Jahren eben nicht mehr als Student durchgeht.

Allen wird anachronistischer

Martin Scorsese hat gerade vorgeführt, wie ein Alterswerk die Themen eines ganzen Künstlerlebens noch einmal neu deuten kann: "The Irishman" greift die Fragen von Macht und Gewalt all seiner Mafia-Dramen auf – nun aber sprichwörtlich aus der Perspektive des Pflegeheims und des nahenden Todes. Woody Allen gelingt diese Selbstreflexion nicht. Obwohl gerade seine Figuren biografisch aufgeladen sind wie die kaum eines anderen Regisseurs, obwohl sie seit Jahrzehnten von ihrer Sterblichkeit besessen sind, vermeidet Allen den Blick auf sich und sein Alter.

De Niro, Pesci, Pacino werden in "The Irishman" nachdenklicher, die Allen-Figur wird nur anachronistischer: Sein "Stadtneurotiker" hatte das 30er-Jahre-New York, nach dem er sich sehnte, zumindest als Kind noch erlebt. Gatsby hängt in "A Rainy Day" nun Fantasien nach, die er nur noch aus alten Filmen kennt. Gerade weil sie durch MeToo so ins Straucheln gerät, führt die Komödie vor, wie sehr sich die Zeiten geändert haben. Was denkt der Regisseur darüber? Wie verändert es Allens Blick auf seine Figur? Womöglich werden wir es nie erfahren. Einen Film scheint er darüber nicht machen zu wollen. Und die Autobiografie, die er der "New York Times" zufolge auf den Markt bringen wollte, haben offenbar mehrere Verlage als Kassengift abgelehnt.