Die Ausstellung "Worin unsere Stärke besteht - to be continued" im Schloss Biesdorf in Marzahn-Hellersdorf ist gar nicht so leicht zu fassen. Sie hat viele Schichten und bildet einen sich ständig ausdehnenden Möglichkeitsraum. In diesem werden Verbindungen gezogen, Fragen angeregt und Erkenntnisse geformt.
Wie ihr Titel verrät, knüpft die Schau an die im Jahr 2022 ebenfalls von Andrea Pichl kuratierte Ausstellung "Worin unsere Stärke besteht. 50 Künstlerinnen aus der DDR" an. Das Thema Sichtbarkeit für Positionen aus Ostdeutschland ist natürlich noch nicht abgeschlossen. Auch diesmal haben alle der insgesamt 36 Beteiligten unterschiedlicher Generationen eine biografische Verbindung zur Deutschen Demokratischen Republik: Wenige Jahre vor dem Fall der Mauer im Osten geborene Künstlerinnen kommen hier genauso zu Wort wie solche, die maßgeblich zum Kunstgeschehen des vergangenen Staates beitrugen.
Es geht also auch dieses Mal weder um eine Schau über "DDR-Kunst" noch um eine Historisierung. Ausgehend von der Annahme, dass es von Bedeutung ist, woher eine Künstlerin oder ein Künstler kommt, widmet sich die Zusammenstellung vielmehr der Frage, wie Biografien Zugänge zu bestimmten Themen prägen. Interessant ist, dass es keine Angaben dazu gibt, wann die Künstlerinnen geboren wurden. Ist eine Besucherin oder ein Besucher mit den Namen nicht vertraut, geben allein die Entstehungsjahre der Werke und die knappen inhaltlichen Informationen Hinweise zur Einordnung in die Generationen.
Lebendige Geschichte
Diese Entscheidung erscheint sinnvoll, insbesondere mit Blick auf die im Titel angedeutete Schwesternschaft. "Worin unsere Stärke besteht" ist eine Zeile aus dem "Solidaritätslied" von Bertolt Brecht und Ernst Busch, das während der Weltwirtschaftskrise zwischen 1929 und 1931 für den Film "Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt?" entstand. Auch jene Künstlerinnen, die die DDR nur als Kleinkind erlebt haben, wurden entsprechend sozialisiert und sind durch das Aufwachsen in dieser Übergangszeit geprägt. Nicht das Trennende, sondern das Verbindende steht hier im Fokus.
So beschäftigen sich beispielsweise die Arbeiten von Ingeborg Lockemann, Luise Schröder und Ute Richter mit der künstlerischen Aneignung (vergessener) Geschichte: Richters Recherche-basierter Film "Gertrud oder Die Differenz" (2022) erinnert an die "Schule der Arbeit", eine 1928 durch Gertrud Hermes in Leipzig eröffnete Reformanstalt der Arbeiterbildungsbewegung, die 1933 von den Nazis beschlagnahmt wurde. Ihre Geschichte hat mehr mit der Gegenwart zu tun als man auf den ersten Blick vielleicht vermuten mag. Es geht um Zugang zu Bildung, die Notwendigkeit, die Gegenwart zu verändern und um Instanzen, die jede Anstrengung in diese Richtung verhindern wollen.
Luise Schröder widmet sich in der Video-Arbeit "Relationen - Strömungen in Bewegung" (2025) den Erfahrungen und Aktivitäten nicht-staatlicher Frauen- und Lesbengruppen in der DDR. In einer Siebdruck-Serie erinnert sie an Orte, die für diese Aktivistinnen zentral waren.
Zwillings-Figuren
Ingeborg Lockemann lässt sich in der Fotoserie "Ausflug in Berlin" (1998) von einer nigerianischen Ibeji-Figur durch die Hauptstadt begleiten. Die Serie kontrastiert Einblicke in die Sammlung des damaligen Ethnologischen Museums mit Inszenierungen der Künstlerin: Wir sehen Aufnahmen vollgestellter Regale im Depot, mit Plastikplanen abgedeckte Objekte und die ursprünglich der Yoruba-Gemeinde entstammende Ibeji-Figur zwischen vielen weiteren Artgenossen. Dann sitzt die Statue im Auto, ihren Blick auf das deutsche Nationaldenkmal Siegessäule gerichtet. Wir sehen sie mit der Künstlerin an einer Ampel, bei einem Besuch im Afrikanischen Viertel, mit der Tochter am Frühstückstisch.
Mit Blick auf die Sensibilität, die man inzwischen diesen Artefakten gegenüber entwickelt hat, ist es fraglich, ob sich diese Arbeit heute noch einmal so realisieren ließe. Doch setzt die Serie ein Nachdenken über den Umgang mit Kulturgütern in Gang. Während die Figuren als Objekt im Museum von ihrer eigentlichen Funktion weit entfernt sind, verweist Lockemann auf die lebenspraktische Bedeutung, die sie eigentlich haben.
Eine Ibeji-Figur bietet der Seele eines verstorbenen Zwillingskindes auf der Erde ein Zuhause und stellt eine Verbindung zwischen Diesseits und Jenseits dar. Sie wird von der Mutter gepflegt und versorgt und bewahrt die Familie vor Unheil. Diese Objekte sind in den Alltag der Angehörigen integriert, daran erinnert Lockemann in ihrer Arbeit.
Gemalte Erinnerungsräume
Eine eindrucksvolle Auseinandersetzung mit Geschichte und der eigenen Vergangenheit findet bei Gabriele Worgitzki statt. Werke ihres Zyklus "Westen" werden zusammen mit einem für die Ausstellung erstellten Wandbild gezeigt. Die Kunst basiert auf privaten Familienfotos aus der Zeit der Ausreise ihrer Familie aus der DDR und der Ankunft im Notaufnahmelager in Gießen. Deutlich und doch teilweise schemenhaft-verschwommen zeigen sich die Erinnerungen als einerseits real, andererseits unfassbar. Sie sind unsichtbare Spuren, die Erlebnisse in den Menschen hinterlassen und sich in seine Persönlichkeit einschreiben.
Um Hinterlassenschaften geht es auch in Ricarda Roggans Film "Protokoll Stadt N" (2022). Die Erzählerin führt hier durch die verfallenen Überreste einer einst für Fortschritt und Wohlergehen stehenden Welt. Die Aufnahmen entstanden zwischen 1996 und 1998 während ihrer Recherche zu einer fiktiven Übungsstadt, die regelmäßigen Zivilschutz-Trainings diente. Diese wurden in Schulen und Betrieben durchgeführt, um sich auf etwaige Angriffe (Stichwort Kalter Krieg, Wettrüsten, Atombedrohung) vorzubereiten. "Protokoll Stadt N" beschäftigt sich mit den Normen und Werten, den politischen Ideen und Utopien, die der DDR zugrunde lagen. Und damit, wie diese im Verhältnis zum tatsächlichen Alltag standen.
Jede der in der Ausstellung gezeigten Arbeiten öffnet einen eigenen Raum, ganze Bücher ließen sich mit den hier aufgeworfenen Themen füllen. Man arbeitet sich durch die verschiedenen Schichten dieser Schau. Immer wieder tut sich ein weiterer Aspekt auf, der betrachtet werden möchte.
Utopie und Alltag vereint
Zu diesem Gefühl der extremen Dichte, das die Kooperation zwischen dem Schloss Biesdorf und dem Museum Utopie und Alltag erzeugt, tragen auch die zahlreichen Werke aus dem Beeskower Bestand an Kunst aus der DDR bei. Die hier aufbewahrten Objekte - zahlreiche Gemälde, Druckgrafiken, Zeichnungen, Plastiken - wurden vormals durch den Kulturfonds der DDR finanziert oder angekauft und in öffentlichen Gebäuden gezeigt.
Nach 1990 hatten diese Werke keine Eigentümer mehr, weshalb 1995 auf der Burg Beeskow das Sammlungs- und Dokumentationszentrum Kunst der DDR gegründet wurde. 2021 entstand das Museum Utopie und Alltag, das nun das Kunstarchiv mit dem Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR vereint.
Aus diesem Museum stammen unter anderem die Arbeiten aus der Mappe "Silberblick 1" (1989). Für diese luden die Kunstwissenschaftlerinnen Hiltrud Ebert und Gabriele Muschter viele Künstlerinnen, Fotografinnen und Grafikerinnen dazu ein, sich gegenseitig zu porträtieren. Zu sehen sind die allesamt im November 1989 entstandenen Porträts von Tina Bara und Angela Hampel, Maria Sewcz und Ellen Fuhr, Evelyn Richter und Nuria Quevedo, Steffie Wendt und Petra Kasten, Gundula Schulze und Tanja Zimmermann, Jana Richter und Christine Wahl, Christine Schlegel und Karin Wieckhorst.
Frauenbilder im Umbruch
Ohne die damals notwendige Druckgenehmigung erstellt, zeigen die Porträts ein Frauenbild, das von den offiziellen Vorstellungen der DDR abweicht. Die Werke sind Teil eines subkulturellen Aufbruchswillens, der sich in sogenannten Samisdat-Zeitschriften (alternativen, nicht systemkonformen, oftmals auch verbotenen Magazinen), in privaten Wohnzimmern oder Ateliers seinen Weg bahnte.
Zu sehen sind außerdem so wunderbare Werke wie das am Eingang gezeigte Ölbild "Lebensstadien der Schauspielerin Lotte Loebinger" (1986/87) von Karin Sakrowksi, "Porträtplastik Anna Seghers" (1968/86) von Sabina Grzimek, "An Gret Palucca" (1985) von Emerita Pansowowa sowie Doris Kahanes Porträt der Widerstandskämpferin Greta Kuckhoff. All diese Beispiele verdeutlichen, wie die Künstlerinnen das von offizieller Seite propagierte normative Menschenbild aufbrachen und ihm eine differenziertere Sicht gegenüberstellten.
Wer noch immer einen einseitig getrübten Blick auf in der DDR entstandene Kunst hat, bekommt hier einmal mehr Gelegenheit, sich eines Besseren belehren zu lassen. Oder nein, nicht belehren, sondern sich besinnen.