The Ruins of Detroit

Geliebte Apokalypse

Dokumentation oder Ruinenpornografie? Wie zwei französische Fotografen das tote Detroit sehen

Der Gigant ragt einsam in den Himmel, auf die Brache ringsum hat sich Schnee gelegt, Spuren von Menschen sind nicht zu sehen. Man betrachtet das Foto, das Yves Marchand und Romain Meffre von der Michigan Central Station schossen – nach der Eröffnung 1913 für Hunderttausende Arbeiter ein Eingangstor ins lärmende Detroit –; dann stellt man sich vor, man stünde dort, das eigene Atmen wäre das einzige vernehmbare Geräusch.

Ein totes Bauwerk allein mag die Fantasie beleben, aber das Ausmaß des Verfalls, das die beiden jungen Pariser in „The Ruins of Detroit“ dokumentieren, überwältigt. In ihrem langjährigen Projekt, 2005 begonnen, brachten es die Autodidakten zu formaler und technischer Perfektion. Fabriken und Schulen, Hotels und Kirchen, ganze Wohnviertel: eingestürzt, zugenagelt, wie auf der Flucht verlassen, von Plünderern durchwühlt.

Die Jahrzehnte des Niedergangs, die dem Boom der Motor City nach dem Zweiten Weltkrieg folgten, verwüsteten ihr Zentrum. Dieses Katastrophengebiet und seine postindustrielle Menschenleere sind inzwischen eine Attraktion. Die Michigan Central Station ist beliebtestes Motiv, eine Ikone. Um sie, umgeben von unversehrtem Schnee, aufzunehmen, mussten die Franzosen vermutlich Geduld beweisen.

Die Postapokalypse hat ihren Reiz, auch andere Fotografen, Journalisten, Architekten und Künstler strömen in die Stadt. Wenig Fans hat das Genre in Detroit selbst. Inmitten des architektonischen Totenkults vermissen die verbliebenen Einwohner Empathie für ihr Schicksal.

Unter Fotografen in den USA ist von „ruin porn“ die Rede. Kritisiert wird an der Aneinanderreihung stereotyper Ansichten etwa, sie setze das Werk der Abrissbirne medial fort. Unterschiede zwischen Jahrzehnten und Krisen, die jeweils besondere Geschichte, die hinter jeder Ruine stecke, würden plattgemacht. So dienen Fotos der Packard-Plant – der Luxuswagenhersteller schloss Ende der 50er – schon mal dazu, jüngste Einbrüche am Markt zu illustrieren.

Im unvermeidlichen Lamento über das Ende des American Dream, das die Bilderstrecken in eine Rahmenhandlung bette, gehe unter, dass nicht nur blinde ökonomische Kräfte gewirkt hätten. Es gebe durchaus Namen zu nennen, identifizierbare Schuldige, die durch Missmanagement oder mit krimineller Energie zur Misere beigetragen hätten. Tatsächlich begleiten Marchand und Meffre ihre Bilder mit ähnlich vagem Jargon. Sie sind vor allem der faszinierenden Ästhetik des Zusammenbruchs verpflichtet.

Ob den beiden die Einwände der Kritiker einleuchten? Derzeit arbeiten sie an einem neuen Projekt, einer Serie mit Fotos von US-Filmtheatern, die dem Verfall preisgegeben wurden. Schaurig-schöne Beispiele davon sind schon im Detroit-Buch zu sehen. Die Show ist aus, die Show beginnt.

Yves Marchand, Romain Meffre: „The Ruins of Detroit“. Auf Englisch. Steidl, 230 Seiten, 88 Euro