Museum für Gegenwartskunst, Basel

Zwischen Nacht und Tag

In einem Interview löste der Schriftsteller Alberto Moravia die Schauspielerin Claudia Cardinale von ihrer aufgeladenen Erscheinung, indem er sie zum Gegenstand erklärte. Das tat er, indem er eine minutiöse Untersuchung ihres Körpers anging. So zerstückelte sich die Idee ihrer Schönheit, gerade weil Moravia sie selbst aufforderte, die Oberfläche ihrer eigenen Form zu reflektieren. Das Gespräch wechselte dann auf eine andere Ebene. Moravia unterschied den Tag, an dem die Dinge objektiv sichtbar und existent sind, von der Nacht, wenn alles subjektiv und schwarz ist, die Dinge verschwinden.

Die 1972 in Dänemark geborene Kirstine Roepstorff geht in ihrer Arbeit der Erscheinung der Dinge auf ähnliche Weise nach. Im Museum für Gegenwartskunst Basel versammelt sie in ihrer "Wunderkammer der Formlosigkeit" unterschiedlichste Exponate in sieben thematisch gegliederten Räumen. Jedes Thema – von To Be bis To Form – ist gleichzeitig Zustandsbeschreibung und Aufforderung. So in den Räumen arrangiert, verhalten sich die einzelnen Exponate nicht anders als wären es Stoffe oder Fotografien, die sie gerne in ihren eigenen collagierten Arbeiten verwendet. Dabei scheint es vor allem nebensächlich, dass es sich bei diesen Elementen mal um ein antikes Fetischobjekt, eine afghanische Kamelglocke oder den mobilen Ausstellungskoffer („Boîte-en-Valise“, 1949) von Marcel Duchamp handelt. Durch die Unbefangenheit der Künstlerin, die alles ineinander mischt, entgeht sie knapp der drohenden Wolke aus Kitsch und Esoterik und erzeugt stattdessen eine aufrichtige Stimmung der Andacht.

Wie dick doch hier aufgetragen wird!
Roepstorffs Praxis hängt nicht nur Verklärtes, sondern auch etwas Kaltschnäuziges an. Es ist ihre eigene Vermischung zwischen Nacht und Tag, die sie in diesen Räumen ausstellt. Die Künstlerin spielt mit dem Pendel in unserem Kopf. Das Metronom ist angemacht. Es tickt. Erst schlägt es links, und eingenommen blickt man durch ein Bataillon aufgestellter Birkenstämme, deren fleckige Oberfläche im kitschigen Halbdunkel seltsam auszubleichen scheint. Gleichzeitig lassen sich Bilder von glühendem Ausdruck an den Wänden erkennen, sogleich schlägt das Pendel rechts herum und kalte Erkenntnis stellt sich ein, wie dick doch hier aufgetragen wird. Auf der einen Seite hängt erhaben Sophie Taeuber-Arp, gegenüber protzt ein dunkler Max Ernst. Es sind eben doch nicht bloß Stofffetzen und bröckelnde Farbe, sondern bedeutungsschwangere Werke großer Meister. Trotz dieser überladenen Gesten denkt Roepstorff gerne in abstrakten Begriffen über ihre Kunst.

„Farben ziehen mich vor allem wegen der Räume an, die sie zwischen sich entstehen lassen,“ sagt sie. Das sind zum Beispiel die Hohlräume zwischen den Birkenstämmen. Oder ebenjene vorgestellten Bedeutungsräume, die sich zwischen einem Taeuber-Arp und dem Vernissage-Publikum oder einem geschnitzten Elfenbein-Dildo und dem Journalisten einstellen. Ihr Umgang mit den Objekten in ihrer Wunderkammer lehnt sich an dieselbe Idee der Bedeutungsfreiheit, die Moravia anstrebte, es geht um den Gegenstand und seine Form, nur das Roepstorff selbst die Bedeutung, die den Gegenständen inneliegt, zu abstrahieren sucht, indem sie sie als Werkzeug benutzt und zum Teil ihrer Arbeit erklärt. Sie regt uns an über die Form von Bedeutung nachzudenken.

Vom Taumel der Wahrnehmung
Dabei stellt sich die Frage, ob diese verzwickten Gedankengänge tatsächlich halten, was sie versprechen. Gerade wenn in das dichte Wirrwarr einzelne Werke der Künstlerin selbst verwebt sind, stellen sich im Taumel der Wahrnehmung einzelne Stolpersteine ein. Ob diese nun absichtlich stören, mag in manchem Fall wohl Hoffnung bleiben.

Im siebten Raum werden ausschließlich eigene Arbeiten der Künstlerin gezeigt. Neben einer beeindruckend flächendeckenden Stoffarbeit finden sich hier auch ihre bekannteren Collagen, die Zeitungsausschnitte mit anderen Materialien verbinden. In diesem Oberlichtssaal mit seiner aufdringlichen Deckenkonstruktion gelingt Roepstorff ihr Kunststück zwischen Raum, Form und Bedeutung erneut und mit scheinbarer Verzückung. Überall von der Decke hängt etwas, auf dem Boden stehen die Dinge und an den Wänden klammert sich die Vielfalt ihres arrangierenden Schaffens. Sie stülpt ein Übermaß an Formen in den gegebenen Raum, dessen strikte Ordnung löst sich auf, neue Räume entstehen. Das geht soweit, dass ein Museumswärter schon mal die Orientierung verliert.

"Dried Dew Drops: Wunderkammer of Formlessness" im Museum für Gegenwartskunst, Basel, bis 30. Januar 2011