Unterwegs auf der Art Moscow

Zwischen Vergnügen und Vernunft

Denkt man an zeitgenössische Kunst in Moskau, fällt einem auch Andrej Jerofejew ein, der Ausstellungsmacher, der küssende Polizisten und Lenin am Kreuz ausstellte und 2009 dafür vor Gericht kam. Das Klima auf der diesjährigen Art Moscow, die noch bis zum 25. September im „Central House of Artists“ stattfindet, ist keineswegs so repressiv: Nackte Marienfiguren, Pornografisches, Hologramme von medizinischen Absonderlichkeiten sind auf der 15. Ausgabe der internationalen Kunstmesse zu sehen. "International" heißt hier, dass von 40 Galerien die Hälfte aus Russland kommt. Galerien aus der Ukraine, aber auch aus Italien, der Schweiz und Japan sind vertreten.
 
Die XL Galerie aus Moskau selbst zählt mit ihren konzeptionellen und fotografischen Arbeiten zu den Interessanteren dieser Messe, die Fotografien von Anna Jermolaewa zeigt. Die Mironowa Gallery aus Kiew, Ukraine, bietet Schwarzweißfotografie aus den 60er-Jahren an: William John Kennedy aus den USA, der Künstler wie Robert Indiana und Andy Warhol porträtierte, hat aus seinen Negativen aber erst im letzten Jahr Prints gemacht. Vier Andys mit Marilyn-Siebdruckvorlage, atmosphärisch mit zugelaufenen Kanten abgezogen, gibt es für 9.000 Euro, die Auflage beträgt 60.

Außerdem ist David Datuna ein Künstler der Galerie, kürzlich ging bei einer Sotheby’s Auktion ein Werk von ihm für 80.000 US-Dollar weg. Datuna verschafft den Durchblick, mit zahllosen Brillengläsern, die er vor collagierte russische und amerikanische Flaggen und Zeitungsartikel montiert. Wobei nicht alle Kunst auch gleich eine Frage der Perspektive aufwirft, manchmal auch nur der Dioptrien.
 
Die figurative Malerei ist bei einer Messe dieser Liga klar im Vorteil, und die nackte Schöne auch. Die neueste Ausgabe des Sujets: Dank Flatscreen kann man sie jetzt in Bewegung versetzen und als lasziven Dauergast mit nach Hause nehmen. Der Schwarzweiß-Fotograf Sergei Borisov bei der RuArts Gallery, Moskau, hat seine Methode unterdessen seit dreißig Jahren nicht verändert: In seinen inszenierten Aufnahmen von Menschen, die auf Denkmälern turnen oder sich anderweitig im öffentlichen Raum vergnügen, sind zwischen den frühen und den aktuellen Aufnahmen kaum Unterschiede auszumachen, doch gerade dadurch entwickelt sich eine eigene Chronik.
 
Zu den guten Arbeiten von bleibender Qualität zählen auch die die satt-farbigen Siebdrucke von Yajoi Kusama, die bei Whitestone aus Tokio angeboten werden: In 120-er Auflage zu 9.700 Euro ist so ein gepunkteter Kürbis angenehm unaufgeregt zwischen vielen extrem grellen und aufgepeitschten Motiven auf dieser Messe.
 
Wer an zeitgenössische Kunst in Moskau denkt, denkt auch an Dascha Schukowa und ihre Kunsthalle Garage, die aktuell ein derart zurückgenommenes Programm hat, dass man es kaum für möglich hält. Grell und aufgepeitscht ist hier gar nichts, sondern bei fast völliger Dunkelheit wird nur eine einzige Fotografie gezeigt: „Die zwei Wege des Lebens“. Der schwedische Fotografie-Pionier Oscar Gustave Rejlander machte 1857 diese Fotomontage aus dreißig Prints, angelehnt an Raffaels Allegorie „Schule von Athen“ von 1511. Die beiden zentralen Figuren darin stehen einerseits für Bildung und Mildtätigkeit, andererseits für Egoismus und Sünde.

Der große Zwist zwischen Vergnügen und Vernunft lässt sich offensichtlich immer wieder aktualisieren, aber nie lösen – auch das zeigt die Art Moscow.

Die Art Moscow läuft noch bis zum 25. September