Tobias Zielony im Interview

„Ich habe Sympathie mit der Occupy-Bewegung“

Herr Zielony, für Ihren neuen Zyklus „Manitoba“ haben Sie Jugendliche mit indianischen Wurzeln aus dem kanadischen Winnipeg fotografiert. Viele davon sind Mitglieder in Straßen- und Gefängnisgangs. Wie kamen Sie auf diese Gruppe?
Ein Kurator hat mir von diesen Gangs erzählt. Ich fand das gleich sehr spannend. Aber ich wusste kaum etwas über die kanadische Geschichte und das Schicksal der „First Nations“. Mit Klischees aus Winnetou-Filmen kommt man da nicht weiter. Deshalb war ich in meiner Annäherung auch sehr tastend.

Wie haben Sie Zugang zu den Jugendlichen gefunden? Gangs lassen doch eigentlich keine Fremden in ihren Kreis.
 
Der Regisseur Noam Gonick, der mit Laiendarstellern den Film „Stryker“ über indianische Gangs in Winnipeg gedreht hat, hat mir einige Kontakte vermittelt. Aber natürlich waren die Jugendlichen am Anfang skeptisch. Geholfen hat, dass ich aus Europa komme, kein weißer Kanadier bin und sie schnell gemerkt haben, dass ich nicht auf der Suche nach einem romantisch verklärten Indianerbild war. Am wichtigsten war allerdings, ihnen Bilder von Jugendlichen und Gangs zu zeigen, die ich an ganz anderen Orten wie Marseille oder Los Angeles gemacht hatte. Sie haben sofort verstanden, was ich suche, und dann habe ich einfach mit ihnen rumgehangen.

In Fotoreportagen werden Bewohner aus sozialen Brennpunkten oft in Schwarz-Weiß-Aufnahmen festgehalten, um die Tristesse ihrer Existenz zu betonen. In Ihren Arbeiten erscheinen die Protagonisten in prächtigen Farben, oft hell erleuchtet vom Licht der Straßenlaternen. Warum haben Sie sich für diese Ästhetik entschieden? 
Ich finde das Leben, das diese Leute führen, gar nicht so traurig. Die haben auch Spaß, die haben einen Alltag, auch wenn der vielleicht andere Regeln hat. Mir ging es beim Fotografieren auch darum, mich formal vom klassischen Bildjournalismus wegzubewegen, der mit diesen eingeübten Interpretationen und Zuschreibungen arbeitet. Ich suche mir andere Referenzen, etwa den Film. Die andere Ästhetik in meinen Bildern hatte aber auch ganz praktische Gründe. Die Gangs sind einfach viel nachts unterwegs, und weil ich ohne Blitz fotografiere, war ich auf das Licht von Straßenlaternen und Leuchtreklamen angewiesen. Dadurch tritt die fotografierte Person extrem in den Vordergrund, der Kontext verunklart sich. Die Person könnte überall stehen: in Los Angeles, Bristol oder Halle-Neustadt. Das ist eine Idee, die vielen meiner Serien zu Grund liegt. In „Manitoba“ stößt dieses Verfahren natürlich an seine Grenzen. Schließlich definieren sich die Jugendlichen, die ich fotografiert habe, gerade über ihren spezifischen  Hintergrund, ihre indianische Herkunft. 

Den Kontext holen Sie auf anderem Wege wieder in die Serie: Neben den Jugendlichen fotografierten Sie Landschaften, Architektur und die Schwitzhütten im Gefängnishof, die Teil eines Reinigungsrituals sind. Sogar Exponate aus dem Manitoba Museum of Man and Nature haben Sie abfotografiert.
Die Serie ist auch der Versuch einer Ortsbeschreibung, die auf mehreren Ebenen stattfindet. Denn Manitoba ist ein Ort, der sich geografisch nicht so leicht eingrenzen lässt, obwohl es ein Bundesstaat in Kanada ist. Es heißt, die Indianer, die auf diesem Land zuerst lebten, haben eine elementare Beziehung zur Natur. Auf den Fotos sieht man, wie weiße Siedler die Landschaft mit Schienen und Straßen und Häusern verändert haben. Das Museum gehörte für mich in die Serie, weil es eine historische Ebene eröffnet und weil es ein Ort ist, der viel über Manitoba erzählt. Denn der Konflikt, der mit der Kolonialisierung begann und bis heute im Alltag präsent ist, ist hier an jeder Stelle spürbar. Bei den Bildern, die im Museum entstanden, geht es auch um die Frage der Repräsentation und die Geschichtsschreibung der dominanten weißen Mehrheit. Das Museum ist der zum Scheitern verurteilte Versuch, die Geschichte der Indianer und der weißen Siedler gleichberechtigt nebeneinander zu stellen. Gerade da, wo diese beiden Perspektiven kuratorisch aufeinander krachen, wird es für mich spannend.

Neben den Fotos haben Sie auch einen Super-8-Film über den Ausstieg eines Gefängnis-Insassen aus seiner Gang gemacht. Die Kamera wackelt, das Bild ist manchmal ganz schwarz und der Dialekt des Erzählers ist mitunter schwer zu verstehen. Wollten Sie die Geschichte als wirren Alptraum erzählen, aus dem der Erzähler erstaunlicherweise doch aufgewacht ist?
In der Erzählung bleibt einiges unklar. Dass der Film so dunkel ist, war ein Unfall, weil ich nur diese Kamera zur Verfügung hatte und das Material nachher ziemlich schlecht war. Aber im Nachhinein finde ich das Ergebnis genau richtig. Es geht nicht darum, herauszufinden, was wirklich passiert ist. Das ist auch gar nicht möglich. Man muss immer die Frage stellen: Wer erzählt hier und was könnte das bedeuten?

Gerade jetzt, da in Nordafrika, Großbritannien und Spanien die Jugend rebelliert hat, ist das Interesse an Jugendthemen groß. Eine gute Zeit für Ihre Bilder, nicht wahr?
 
Natürlich fand ich sehr spannend, was in Großbritannien passiert ist. Aber es hat mich nicht überrascht. Ich hatte auch nicht das Bedürfnis, mich wie ein Bildreporter hinzustellen und Fotos von Steine werfenden Jugendlichen zu machen. Es ist nicht meine Arbeit, Gewaltausbrüche zu dokumentieren. Mich interessieren tiefer liegende, länger anhaltende gesellschaftliche Bewegungen. Die sind oft gar nicht so einfach sichtbar zu machen.

Gibt es eine gemeinsame Erfahrung von Jugendlichen aus verschiedenen Weltteilen, die sie jetzt zum Rebellieren bringt? 
Bestimmt. Sie teilen alle das Gefühl, in der Mehrheitsgesellschaft keine Rolle zu spielen. Keine Stimme zu haben, nicht gehört zu werden und am Reichtum einer mehr oder wenigen kleinen Minderheit nicht teilzuhaben.  

Meinen Sie die Jugendlichen aus Manitoba haben etwas mit den jungen Menschen gemeinsam, die jetzt die jetzt die Wall Street besetzen wollen?

Es ist ein weiter Weg vom Rumhängen an Tankstellen zum politischen Aufstand. Den Jugendlichen, die ich fotografiert habe, fehlt oft die Bildung und die Hoffnung auf Erfolg, um wirklich aufzubegehren. Sie haben nicht gelernt, für ihre Rechte zu kämpfen. Aber auch da ist es falsch zu pauschalisieren. Denn auch in Kanada gibt es einen offenen Kampf der "First Nations" für ihre Rechte. Als ich in Manitoba war, haben Mitglieder eines Reservats Gleise besetzt, die durch ihr Land führen. Und in Ontario kommt es immer wieder zu gewalttätigen Ausseinandersetzungen der Mohawk-Indianer mit der Polizei im Kampf um Landrechte. Mit der Occupy-Bewegung habe ich sehr viel Sympathie. Jetzt, da ich in Frankfurt bin, werde ich auf jeden Fall mal bei dem Camp vor der Europäischen Zentralbank vorbeigehen.

Tobias Zielony: „Manitoba“, Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main, bis 15. Januar 2012