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10 Kunst-Filme, die sich im Juni lohnen

Eine Hommage an den Visionär Ilya Kabakov, die vielen Bilder einer Mutter und Kunst als politische Waffe: Das sind unsere Filme des Monats
 

Wie viel Realität steckt noch in Bildern?

Es fing harmlos an: Der Papst spazierte plötzlich in weißer Daunenjacke durch die Straßen. Schnell wurden KI-generierte Bilder jedoch politisch. Wem kann man noch trauen? Was ist echt, was fake? Diese Fragen stellt das Video "KI: Der Polizist mit den sechs Fingern" der Arte-Reihe "Mit offenen Augen". Die regelmäßig erscheinende Serie beschäftigt sich mit (politischen) Bildern von früher und heute, indem sie ihre Entstehung aufdeckt und ihre Wirkung erklärt.

Ausgangspunkt für die Folge über KI-generierte Bilder ist eine gefälschte Aufnahme, die eine Teilnehmerin der Demonstrationen gegen die Rentenreform in Frankreich und einen Polizisten zeigt, die sich innig umarmen. Das konstruierte Foto war von einem Amateurfotografen auf Twitter gepostet worden und rief schnell auf der ganzen Welt Empörung hervor. Das Bild wirkt wie das perfekte Pressefoto: Im Vordergrund eine emotionale Szene mit einem Polizisten, der einer Demonstrantin schützend die Hand auf den Rücken legt. Im Hintergrund ein weiterer Mann in Uniform, der ernst aus den Nebelwolken hervorschreitet. Das einzige Problem: Der Polizist hat sechs Finger.

Das Arte-Video entschlüsselt den Fake behutsam, indem es das konstruierte Foto erst beschreibt und danach sowohl seinen Ersteller, den Fotografen Anthony, sowie einen Neurowissenschaftler zu Wort kommen lässt. So gelingt der Balanceakt zwischen berechtigter Warnung vor Fake-Bildern und KI als Faszinosum, das einen neuen künstlerischen Raum öffnet.

Besonders spannend sind die historischen Bezüge zu anderen Demonstrationen, die Anthony bei der Erschaffung seines Bildes erwähnt. Dort entstanden teilweise echte Bilder von sich umarmenden Demonstrantinnen und Demonstranten und Uniformierten, die ihn zu seiner Kreation inspiriert hätten. Wieso der gutgemeinte Fake dennoch Angst auslöst, erklärt der Neurowissenschaftler. Dabei zeigt er, dass das KI-Prinzip, zu manipulieren und zu faken, kein neues Phänomen ist, schon vorher wurden politische Bilder "bearbeitet" und konstruiert. "KI: Der Polizist mit den sechs Fingern" ist ein kurzer, informativer Film, der nicht zum Ziel hat, zu verteufeln. Vielmehr zeigt er Gefahren und Potentiale von KI-Bildern auf und schult den Blick auf Deepfakes.

"KI: Der Polizist mit den sechs Fingern", Arte-Mediathek, bis 2028

KI generiertes Bild aus dem Februar 2023, das in Frankreich für Aufregung sorgte
Foto: Midjourney

KI generiertes Bild aus dem Februar 2023, das in Frankreich für Aufregung sorgte


Pınar Öğrenci macht Inventur 

1975 drehte Želimir Žilnik den heute legendären Film "Inventur - Metzstrasse 11". Darin gehen nacheinander alle Bewohner eines Münchner Mietshauses eine Treppe herunter und stellen sich in ihrer Muttersprache vor. In dem Gebäude wohnen damals vor allem sogenannte Gastarbeiter aus Italien, der Türkei, Griechenland oder Yugoslawien - und das Video ist eine frühe (und damals noch sehr seltene) Würdigung einer diverser werdenden deutschen Gesellschaft.

Rund 45 Jahre später hat die in der Türkei geborene Künstlerin Pınar Öğrenci dem Film ein Update verpasst und eine eigene Version in Chemnitz gedreht. Diesmal gegen die Protagonistinnen und Protagonisten eine Treppe in einem Haus hinauf und sprechen nicht nur über ihre Herkunft, sondern auch über ihr Engagement gegen Rassismus und für Kultur in ihrer Heimatstadt. Vielleicht ist das die Erkenntnis der letzten Jahrzehnte. Zusammenleben funktioniert nicht einfach so, wenn Neuankömmlinge wie Gäste behandelt werden, die bitte bald wieder gehen und es sich nicht zu bequem machen sollen. Das Miteinander muss ständig verteidigt werden.

Pınar Öğrenci "Inventory", Berlinische Galerie online

Pınar Öğrenci "Inventory", 2021, Film Still
Foto: © Pınar Öğrenci

Pınar Öğrenci "Inventory", 2021, Film Still


Das politische Erwachen der Josephine Baker

In der Hauptausstellung "The Milk Of Dreams" auf der Venedig-Biennale war 2022 auch ein stummes Tanz-Video der Charleston-Ikone Josephine Baker (1906 - 1975) von 1925 zu sehen. Kuratorin Cecilia Alemani adelte sie damit in einer ihrer "Zeitkapseln" als feministische Vorreiterin des 20. Jahrhunderts. Nachdem sie lange vor allem als aufreizendes Revue-Girl wahrgenommen wurde, wird der im Mittleren Westen der USA geborenen Baker nun auch in ihrer Wahlheimat Frankreich große Hochachtung zuteil. Im November 2021 zog sie als erste schwarze Frau in die Ruhmeshalle "Pantheon" ein. Gerade ist eine große Würdigung in der Bundeskunsthalle in Bonn zu sehen

Auch der Film "Josephine Baker, Ikone der Befreiung" widmet sich der erstaunlichen Karriere der Varieté-Tänzerin - und zeigt, wie aus dem jungen Mädchen, das in ihren Shows auch rassistische Klischees der Europäer bediente, eine Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus und eine Bürgerrechtlerin wurde. Die Dokumentation folgt ihrer Geschichte bis in ihre Kindheit, die von Rassentrennung und Gewalt gegen Schwarze geprägt war. Aus diesen Erfahrungen stammt wohl auch Bakers Entscheidung, ihre Berühmtheit für soziale Gerechtigkeit einzusetzen. 1963 ergriff sie beim "Marsch auf Washington" neben Martin Luther King als einzige Frau das Wort - und wird doch erst jetzt als wichtige politische Figur anerkannt.

"Josephine Baker, Ikone der Befreiung", Arte-Mediathek, bis 13. November

Josephine Baker während ihres "Ziegfeld Follies"-Auftritts von "The Conga", Winter Garden Theater, New York, 1936
Foto: dpa

Josephine Baker während ihres "Ziegfeld Follies"-Auftritts von "The Conga", Winter Garden Theater, New York, 1936


Die Assoziationsschleifen der Angela Schanelec

Für ihre eigenwillige Verarbeitung des Ödipus-Mythos hat Angela Schanelec auf der vergangenen Berlinale einen Silbernen Drehbuch-Bären gewonnen. Während "Music" zurzeit noch im Kino läuft, ist der ebenfalls mit Bärensilber ausgezeichnete Vorgängerfilm "Ich war zuhause, aber..." von 2019 bei Mubi abzurufen. Das "aber" im Titel kann für den Zweifel stehen, der Schanelecs Geschichten insgesamt prägt: Das fängt schon bei der spröden Erzählweise an, die dem Publikum viel Interpretationsleistung abverlangt.

So viel scheint allerdings sicher: Astrid, die Hauptfigur des Films, lebt in Berlin, ihr 13-jähriger Sohn Phillip war weggelaufen, nun ist er wieder da. Warum er spurlos verschwand, können sich weder seine Lehrer noch Astrid erklären. Die alleinerziehende Mutter möchte wohl manchmal Amok laufen, aber es reicht nur für einen Wutanfall in der Küche – nachdem ihre kleine Tochter dort eine Sauerei veranstaltet hat – und eine leidenschaftliche Diskussion über Schauspiel, Körperlichkeit und Wahrheit mit einem Theaterregisseur (wie Jürgen Gosch einer war, Schanelecs Mann, der 2009 an Krebs starb).

Sohn Phillip probt Hamlet für eine Shakespeare-Schulaufführung, ein Stück über die zweite Generation, die an den Taten der Eltern erstickt. Schanelec zeigt Menschen, die feststecken, die nicht handeln und auch nicht flüchten können. Mitunter zeigt sie auch Tiere: einen Esel, einen Hund, der ein Kaninchen jagt und frisst. Lebewesen, für die "Dramaturgie" und "Plot" irrelevant sind. Manche Szene wirkt wie eine Parodie auf die "Berliner Schule", so eine wirklich lustige Lehrerkonferenz, in der über Phillips Zukunft diskutiert wird: Gesenkte Köpfe, stumpfe Dialoge, zelebrierter Stillstand. "Wollen wir nicht lieber Feierabend machen?", fragt eine erschöpfte Lehrkraft. Schwer zu sagen, wohin der Film will. Aber wohin will die Melancholie?

"Ich war zuhause, aber...", bei Mubi

Filmstill aus "Ich war zuhause, aber"
Foto: Nachmittagfilm

Filmstill aus "Ich war zuhause, aber"


Die schmerzliche Suche nach dem "Eigenen"

Die Filmemacherin Melanie Lischker begibt sich in ihrem Debüt auf die Suche nach der Geschichte ihrer früh aus dem Leben gegangenen Mutter. Das Dokumentarformat "Bilder (m)einer Mutter" (2020) beruht auf über 100 Stunden Super-8- und Videomaterial ihres Vaters seit den 70er-Jahren. Abschnitte aus dem Tagebuch der Mutter erzählen die Geschichte zu den Bildern.

Die Aufnahmen aus dem privaten Archiv werden stellenweise durch historische TV-Ausschnitte unterbrochen, die die politische Lage der Zeit hinsichtlich der Rechte für Frauen veranschaulichen: Wie beispielsweise die Rede der Grünen-Abgeordneten Waltraud Schoppe im Bundestag im Jahr 1983 – die eine ausreichende Rente für Frauen fordert, die keine Lohnarbeit geleistet haben, "weil es keine Lohnarbeit für sie gab" und fordert, den "täglichen Sexismus einzustellen" –, die nur durch Gelächter aus den Reihen der schwarzen Anzugträger quittiert wird.

Die Dokumentation zeigt die Versuche einer Frau, als zweifache Mutter an der Seite eines Mannes, der seine Karriere zielstrebig genauso durchzieht, wie er sich das vorgenommen hat, ihr "eigenes Glück" zu finden. Schon ihre strengen Eltern in der bayerischen Heimat "hänseln" sie für ihren Wunsch, Künstlerin zu werden. Deren Autorität bringt sie dann doch "zur Vernunft". Sie beginnt ein Lehramtsstudium, dessen Abbruch sich als Beginn einer erfolglosen Suche nach dem so sehnlich erwünschten "Eigenen" herausstellen soll. Gegen Ende des Films entfremdet ein Schicksalsschlag die Mutter immer mehr von Mann und Kindern, der sich jedoch gleichzeitig auch als ungewöhnlicher und dabei sehr trauriger Weg herausstellt, für eine kurze Weile endlich doch für sich allein glücklich zu werden.

Lischkers Film ist bewegend. Umso mehr, weil er durch die Einordnung in die historischen Emanzipationsbewegungen zeigt, dass die individuelle Geschichte ihrer Mutter nur ein Beispiel von vielen Lebenswegen ist, die aufgrund von Ungerechtigkeiten und Zwängen nicht so verlaufen sind, wie es möglich gewesen wäre. 

"Bilder (m)einer Mutter", Arte-Mediathek, bis 15. Juli

Filmstill aus "Bilder (m)einer Mutter", 2020
Foto: Koberstein Film

Filmstill aus "Bilder (m)einer Mutter", 2020


Wie Albert Speer fast ein Filmstar wurde

40 Stunden lang sprach der damals 26-jährige Andrew Birkin, Bruder von Jane Birkin und spätere Drehbuchautor von "Der Name der Rose" oder Luc Bessons "Johanna von Orleans", mit Albert Speer über dessen Bestseller-Memoiren. Mit dem ranghöchsten Hitler-Freund also, der 1946 in Nürnberg der Todesstrafe entging. Das Studio Paramount erkannte in dem "guten Nazi", wie Speer sich selbst gern und hartnäckig inszenierte, ein Potential und plante 1971 einen Spielfilm, für den Birkin ein Drehbuch verfassen sollte. Auf seine Tonbänder hat nun die israelische Regisseurin Vanessa Lapas zurückgegriffen, die schon 2014 mit "Der Anständige" anhand von Briefen und Tagebucheinträgen ein verstörendes Psychogramm von Heinrich Himmler entworfen hat.

Auf der Ton-Ebene dominiert in ihrem neuen dokumentarischen Werk "Speer Goes to Hollywood" die Stimme des angehenden Filmstars - leider überlagert von einer Sprecher-Stimme, die wegen der Schädigung der Original-Bände das Transkript vorliest. Speer beantwortet freundlich bis charmant Birkins Fragen, die auch die brisanten Kapitel ansteuern. Eine Erklärung für sein angebliches Unwissen hat er stets parat, egal ob die Deportationen oder die Ausbeutung der Zwangsarbeiter zur Sprache kommen. Der Kontrast zum Archivmaterial könnte nicht größer sein. Lapa zeigt in einer virtuosen Collage Speers reumütige Talkshow-Auftritte, belastende Aussagen von Zeitzeugen während seiner Verteidigung bei den Nürnberger Prozessen, Aufnahmen von Zerstörungen des Krieges und dem Albtraum der Konzentrationslager.                                                         

Mit jedem Bild zerfällt das revisionistische Lügengebilde eines tief ins Dritte Reich involvierten Profiteurs, dessen Karriere bis zum Chefarchitekten und Rüstungsminister reichte. Mit welch manipulativen Mitteln der Konstrukteur einer zukünftigen NS-Hauptstadt Germania es beinahe geschafft hätte, die Geschichte alternativ umzuschreiben, veranschaulicht Lapa im Spiegel der Faszination, die er lange nicht nur in der verdrängungswilligen Bundesrepublik genoss, sondern auch auf einen jungen Engländer, dessen Schwester mit dem jüdischen Sänger Serge Gainsbourg liiert war, auszustrahlen vermochte.

Birkin war sich bei seinem "Whitewashing" sogar nicht zu schade, Speer im Drehbuch eine heruntergerechnete Zahl der bei seinen Projekten ums Leben gekommene Zwangsarbeiter anzubieten. Nicht so der für die Regie eingeplante Carol Reed. Der Brite durchschaute Speers wahre Absichten und riet von der Verfilmung ab. Paramount folgte seiner Einschätzung. Und ersparte so dem Studio - und auch der Öffentlichkeit - ein peinliches PR-Desaster.

"Speer Goes to Hollywood", 3-Sat-Mediathek, bis 13. September

"Speer Goes To Hollywood", Filmstill, 2021
Foto: Edition Salzgeber

"Speer Goes To Hollywood", Filmstill, 2021


Wer sind die Rebellen der Kunst?

Die ARD-Reihe "Rebels" stellt Akteure aus Popmusik, Comedy und Kunst vor, die ihr Metier auch aktivistisch nutzen. Die dritte Folge beschäftigt sich mit den Ideen Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) um Philipp Ruch, der daraus hervorgegangenen Radikalen Töchter und des Peng-Kollektivs. Sie sind subversiv, manchmal plakativ und manchmal an den Rändern der Legalität. Aber wie sang schon Danger Dan: "Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt".

Konzept und Regie stammen vom 28-jährigen Çağdaş Eren Yüksel, Autorinnen und Autoren sind überdies Bilal Bahadri, Dolunay Gördüm und Juliane Engelmann. Die Herausforderung: Die teilweise komplexen Aktionen der Kunstkollektive wie des ZPS einerseits exemplarisch verständlich zu machen als auch die Protagonisten ihre generellen Anliegen vortragen zu lassen.

Im Falle von "Flüchtlinge Fressen" wurden im Jahr 2016 Migranten aufgerufen, sich von Tigern fressen zu lassen, sollte die Bundesregierung die Einreise von Geflüchteten verbieten. Es habe auch ein weißer Löwe zur Auswahl gestanden, erzählt der ZPS-Gründer Ruch, der habe aber keine Arbeitserlaubnis in Deutschland erhalten. Zugleich erzählt Philipp Ruch von seinem aufrichtigen humanistischen Anliegen. Dass das sehr glaubwürdig ist, die zynische Gladiatorenkampf-Kunstaktion aber möglicherweise nur in Bühnen- und Performance-Kennerkreisen dechiffriert und goutiert werden kann, das kann der Beitrag nicht auflösen. Das demonstrative, künstlerische Hinweisen auf Ungerechtigkeit hat es nicht leicht, so viel steht fest.

Die Gruppe Radikale Töchter bietet deshalb Workshops dazu an, wie man auf kreative subversive Ideen kommt. Jugendliche und junge Erwachsene lernen hier von Joseph Beuys, der sagte, die revolutionärste Kraft sei die Kunst. Das Metier deckt zumindest viele Aktionen und Handlungen noch mit der Kunstfreiheit ab, die andernfalls schon justiziabel wären. Zugleich wird klar, wie viel Hass und auch Gefährdung die Künstlerinnen und Künstler auf sich ziehen. Gute Ideen haben und clever sein reicht nicht aus, man braucht auch Idealismus und Unerschrockenheit.

"Rebels. Ich rebelliere, also bin ich", ARD Kultur, bis 2027

Foto: dpa
Foto: dpa

Installation der Künstlergruppe Zentrum für politische Schönheit im Juni 2016 in Berlin vor dem Maxim Gorki Theater

 

Leyla Piedayesh und die Kraft der Mode

Fünf kurze Folgen, fünf kreative und einflussreiche Frauen: Das zeigt ZDF Kultur in seiner neuen Porträtreihe "RoleModels". Unter ihnen ist auch die Modeschöpferin Leyla Piedayesh aus Berlin, die seit 20 Jahren ihr eigenes Label Lala Berlin bereibt, mittlerweile mit großem Team. Vor der Kamera spricht Piedayesh über die eigene Inspiration in der Mode, Mut, Selbstwirksamkeit und Erfolg – der für sie auch mit Unabhängigkeit zu tun hat.

Als junges Mädchen kam Leyla Piedayesh aus Teheran nach Berlin, wo sie ihren Platz in der deutschen Hauptstadt und in der Modewelt gefunden hat. In Zeiten einer ständigen Beschleunigung der Industrie und der daraus resultierenden Ressourcenknappheit konzentriert sich die Designerin explizit auf Slow Fashion. Für sie hat gutes Entwerfen mit einem unabhängigen Leben zu tun: beides enthält die Herstellung von etwas aus eigener Kraft - und das ist eine langsame Entwicklung. Auch eine Kollektion entsteht allmählich, Schritt für Schritt und durch verschiedene Begegnungen. Inspirationen für Muster, Farben und Drucke schöpft Leyla Piedayesh unter anderem aus den Musikclips der New-Romantic-Bewegung der 80er-Jahre.

Leyla Piedayesh folgt ihrem persönlichen Vorbild, der "Soulqueen" Aretha Franklin, die für sie auch eine Vorreiterin der Emanzipation ist. Beim Schallplatten Auflegen und leisem Mitsingen sendet Piedayesh einen friendly reminder, sich seine Träume eigenständig zu erfüllen.

"RoleModels - Leyla Piedayesh", ZDF Kultur

Modeschöpferin und Kreativchefin aus Berlin Leyla Piedayesh
Foto: ZDF

Modeschöpferin und Kreativchefin aus Berlin Leyla Piedayesh


Eine Reise durch Kabakovs Kosmos

Eine kleine Fliege sitzt auf dem Gemälde des Meisters. Er versucht sie zu verscheuchen. Bis er bemerkt, dass sein Lehrling das Insekt täuschend echt auf die Leinwand gemalt hat. Der Meister wird blass. Sein Schüler hat ihn übertroffen. Diese Legende erzählt man sich seit dem Mittelalter. Sie wurde Künstlern wie Giotto oder Karel van Mander zugeschrieben. Einig war man sich immer: Wer die Fliege für sich beanspruchen kann, der vermag Großes zu leisten.
 
Auch ein Künstler unserer Zeit hatte die Fliege für sich entdeckt. Sie krabbelt, fliegt und summt sich durch sein komplettes Œuvre: Für den kürzlich verstorbenen Ilya Kabakov ist das Motiv eine Ikone seiner Heimat, der ehemaligen Sowjetunion. Überall seien Fliegen gewesen, sagt er, im Chaos, im Dreck, im Müll. Sie beherrschten den Lebensalltag, kamen durch jede Ritze und Ecke. Um zu beobachten, um zu nerven. Damit spielt der ehemalige Kinderbuchillustrator auf das politische Regime an. Gewählt hat er eine Bildsprache, die so realistisch wie phantastisch ist. Diesen phantastischen Realismus haben Kerstin Stutterheim und Niels Bolbrinker 2010 in dem liebevollen Dokumentarfilm "Fliegen und Engel" eingefangen.
 
Die Insekten, so erzählt der kräftige Mann mit dem graugelockten Haar und diesem verschmitztem Lächeln, erinnere ihn auch an die Form eines Autos. Das Auto als Abbild für rastlose Menschen, die keinen festen Grund mehr unter ihren Füßen haben. Es raschelt, wenn der Künstler seine Zeichnungen von Pergamentpapier befreit und in die Kamera hält: Fliegende Menschen über der Stadt. Sie heben ab, sie schweben, sie verflüchtigen sich. "Und die meisten werden einfach nur durchsichtig", sagt er.
 
Stutterheim und Bolbrinker lassen den Künstler und seine Frau Emilia Kabakov viel erzählen. Dazwischen werden Bilder aus Russland gezeigt. Hektische Menschen in überfüllten U-Bahnstationen. Dreck auf Straßen. Wohngemeinschaften in maroden Sozialbauten. Durch diese parallel laufenden Bilder spüren die Regisseure dem Leben Kabakovs nach, zeigen das Zusammenspiel zwischen Werk und Wirklichkeit. Am Ende des Films bleibt der Eindruck, dem Künstler sehr nahe gekommen zu sein. Ein Gefühl, das nicht schnell vergehen mag. Denn, so sagt Ilya Kabakov selbst: "Eine gemalte Fliege ist nur schwer zu verscheuchen."

"Fliegen und Engel", Vimeo On Demand, zum Kaufen und Leihen

Ilya Kabakov
Foto: The Ilya and Emilia Kabakov Foundation

Ilya Kabakov


Freude und Trauer mit Toni Erdmann

Der Film "Toni Erdmann" ist dieser Tage mit traurigen und schönen Nachrichten verbunden. Ende Mai ist der Titeldarsteller Peter Simonischek 76-jährig gestorben. Am Wochenende davor konnte Sandra Hüller, die Tonis Tochter spielt, einen doppelten Triumph auf dem Filmfestival von Cannes erleben: Hüller spielte die Hauptrollen in zwei Filmen, die dort die wichtigsten Preise gewonnen haben.

"Toni Erdmann" hatte 2016 ebenfalls an der Croisette Premiere. Erzählt wird die Geschichte des pensionierten Musiklehrers Winfried, der die Nähe seiner ihm entfremdeten Tochter sucht, indem er die Rolle des exzentrischen Aufschneiders Toni Erdmann improvisiert. Winfried alias Toni reist der zugeknöpften Unternehmensberaterin Ines nach Bukarest hinterher, wo diese einen wichtigen Job für die Erdölindustrie zu erledigen hat. Angesichts von Winfrieds zunehmend skurrilen Auftritten streckt Ines irgendwann die Waffen und lässt sich auf Tonis Schrägheiten ein.

Zu den Höhepunkten der aberwitzigen wie bewegenden Komödie zählen der Song "Greatest Love of All", den Ines als "fabelhafte Whitney Schnuck" zur Keyboard-Begleitung ihres Vaters singt, sowie ein Geburtstagsbrunch, der zur Nacktparty erklärt wird. Der dritte Spielfilm von Maren Ade ist ein Meisterinnenwerk, das zurecht beim Europäischen Filmpreis mit Auszeichnungen überhäuft wurde und (leider nur) beinahe den Auslands-Oscar gewann.

"Toni Erdmann", ARD Mediathek, bis 16. Juni

Sandra Hüller als Ines und Peter Simonischek als Winfried/Toni in einer Szene des Films "Toni Erdmann"
Foto: Komplizen Film/NFP/dpa

Sandra Hüller als Ines und Peter Simonischek als Winfried/Toni in einer Szene des Films "Toni Erdmann"