Streaming-Tipps

11 Kunst-Filme, die sich im Oktober lohnen

Die Geschichte der Supermodels, Alter als Reizthema in der Kunst und Christos Jahrhundertprojekt in Italien: Das sind unsere Streaming-Tipps des Monats



Die Kunst des Alterns

Ältere Menschen geben kein gutes Bild ab. Zumindest war das bisher in der Kunstgeschichte so. Dort werden sie oft als groteske oder vor sich hin vegetierende Schreckensfiguren gezeichnet. Etwa bei Francisco de Goyas Gemälde "Die Alten" von 1810. Dort porträtiert der Künstler ein betagtes Paar als halbtote Skelette. Dass sich die Darstellung jedoch zum Glück verändert, zeigt der Arte-Beitrag "Alte, Körper, Kunst – Kann Kunst uns mit dem Alter versöhnen?". Dieser ist Teil der Serie "Flick Flack – Eine Frage der Perspektive", die sich in kurzen Videos mit kulturellen Phänomen auseinandersetzt und versucht, sie neu zu bewerten.

In dem Video werden zunächst einige Beispiele der Kunstgeschichte gezeigt, bei denen alte Menschen, meistens sind es Frauen, zu Monstern oder gar Außerirdischen verfemt werden. Darunter sind einige bekannte Werke, etwa von Dürer oder eben Goya.

"Vermutlich wurden die Menschen damals einfach nicht so alt und waren, wenn sie alt wurden, in keinem guten Gesundheitszustand", mutmaßt die junge Künstlerin Charlotte Abramow. Im Gegensatz zu den "Alten Meistern" feiert sie das Reife in ihrer Kunst. Sie fotografierte ihren Vater, nachdem er einen Monat im Koma gelegen und davon neurologische Schäden davongetragen hatte. Daraus entstanden fantastische surreale Bilder, die eintauchen lassen in die Welt des Senioren. Denn er nimmt alltägliche Dinge teilweise ganz anders wahr als seine junge Tochter.

Der Film gibt der Sichtweise der Künstlerin auf das Altern Raum und versucht so, den Dürern und Goyas etwas entgegenzusetzen. Auch ein 63-jähriges Model kommt zu Wort, sie bezeichnet sich selbst als Teil des "Silver Activism", einer neuen Bewegung für die Akzeptanz älterer Körper. Das kurze Video schafft es mit Leichtigkeit und Witz, die Grusel-Vorstellungen von Falten und grauen Haaren zu enttarnen. Es macht Hoffnung, indem es diesen pessimistischen Bildern Künstlerinnen entgegensetzt, die das Altern feiern.

"Alte, Körper, Kunst – Kann Kunst uns mit dem Alter versöhnen?", Arte-Mediathek, bis 2028


Als Christo übers Wasser ging

Woran glauben wir eigentlich noch? In einer durchrationalisierten Welt bleibt uns bloß die Kunst. Berühmtheiten wie Marina Abramovic oder Ai Weiwei werden, wenn nicht gerade geschmäht, zu Erlöserfiguren stilisiert. Auch der 2020 verstorbene Christo zählt, während die Politik vor allem Unheil zu stiften scheint, zu den mutmaßlichen Heilsbringern. Er selber sah das gewiss nicht so. Insofern steckt im Filmtitel "Christo: Walking on Water", soweit er auf das Matthäus-Evangelium anspielt, auch etwas Ironie.

Andererseits entspricht die Überschrift dem Inhalt. 16 Tage lang konnten Besucher des oberitalienischen Iseosees wie Jesus übers Wasser gehen. Andrey Paounovs Dokumentarfilm beschreibt die Genese der "Floating Piers"-Außeninstallation: ein System von schwimmenden Stegen ohne Geländer, drei Kilometer lang, gefügt aus 220.000 Kunststoffwürfeln und bespannt mit orangefarbenem Polyamidstoff ("dahliengelb"). Zwischen dem 18. Juni und dem 3. Juli 2016 verliefen die Piers vom Ufer des Iseosees zu der großen Insel Monte Isola und von dort zur kleinen Isola di San Paulo. Dramaturgisch geschickt enthüllt Paounov die verzweigte Gesamtanlage erst in den finalen Minuten. Christo steigt in einen Hubschrauber, um sein Werk aus großer Höhe zu betrachten.

Respekt vor dem Künstler und seinen Intentionen sieht man "Walking on Water" in jedem Filmbild an. Christo, der seit dem Tod seiner Ehefrau Jeanne-Claude 2009 die Großprojekte solo betrieb, erscheint im Film weder als Heiland noch Zauberer, sondern als Realisator eines hochkomplexen, von technischen, witterungsbedingten wie lokalpolitischen Hindernissen erschwerten Vorhabens.

Der Film wirkt durch klug austarierte Kontraste: Arbeit am Projekt und öffentlichkeitswirksame Auftritte. Konzentrierte Stille und unvermeidbarer Trubel. Rückschläge und Etappensiege. Doch bietet "Christo: Walking on Water" weit mehr als ein filmisches Surrogat des verpassten Kunsterlebnisses. Es zeigt die Mühen der Realisierung und  – Teamarbeit hin oder her – warum Künstler eigentlich doch Ausnahmemenschen sind. "Künstler sein ist kein Beruf", erklärt Christo am Filmbeginn einer Schülergruppe. "Es gibt keine festen Arbeitszeiten. Du bist keine Sekunde lang nicht Künstler."

"Christo - Walking On Water", 3-Sat-Mediathek, bis 24. Oktober


Mit Oskar Schlemmer die Puppen tanzen lassen

Der Bayerische Rundfunk lässt in einer Neufassung von Oskar Schlemmers experimentellem Bühnenwerk "Das Triadische Ballett" Marionetten tanzen. Die Videoproduktion ist ab sofort in der ARD-Mediathek zu sehen, eine Ausstrahlung im Fernsehen ist im Weihnachtsprogramm geplant.

"Das Triadische Ballett" des Bauhaus-Künstlers Schlemmer wurde 1922 in Stuttgart uraufgeführt. Dort traten Schlemmer und seine Bühnenpartner Albert Burger und Elsa Hötzel in Kostümen auf, die wie abstrakte Plastiken aussahen und die Bewegungen der Tanzenden bestimmten. Schlemmer schuf damit eine neue Maschinen-Ästhetik.

Ausgangspunkt für die Videoproduktion von BR-Klassik war eine Neufassung als Puppentheater mit 18 Fadenmarionetten nach Schlemmers Originalentwürfen auf dem diesjährigen Würzburger Mozartfest. Im Film werden Nahaufnahmen von diesen und den noch existierenden Ballett-Originalkostümen in unterschiedliche Szenerien von Bildern der Bauhauszeit gesetzt. Die Pianistin Ragna Schirmer spielt dazu die von Schlemmer ausgewählte Uraufführungssuite und interagiert dabei auch mit den Puppen.

"Das Triadische Ballett", ARD-Mediathek, bis 2033


Was, wenn eine Mutter ihr Kind tötet?

Ausdruckslos steht Laurence Coly (Guslagie Malanda) hinter der Brüstung der Anklagebank. "Können Sie uns sagen, warum Sie Ihre Tochter töteten?", fragt die Richterin. "Ich weiß es nicht. Ich hoffe, dass der Prozess mir hilft, es zu verstehen", antwortet die Angeklagte seelenruhig. Während der Verhandlung sagt sie aus, nachts ans Meer gefahren zu sein, um ihr Kind am Strand auszusetzen. Laurence wusste, dass die Flut das 15 Monate alte Mädchen verschlingen würde. Fischer hatten die Leiche am nächsten Morgen gefunden.

Die französische Regisseurin Alice Diop drehte ihren Film "Saint Omer" (benannt nach der nordfranzösischen Stadt, in der der Prozess abgehalten wird) nach einer wahren Geschichte. Sie zeigt die Verhandlung als nervenzerrendes Kammerspiel um Laurence, die ihre Tat gleich gesteht, sie aber nicht erklären kann. "Saint Omer" wurde bei den Filmfestspielen in Venedig mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet und ging für Frankreich bei den diesjährigen Oscars als bester ausländischer Film ins Rennen.

Es ist ein schlichtes Werk, das mit wenigen Personen auskommt und überwiegend im Gerichtssaal spielt. Die Geschichte, die es erzählt, ist jedoch gewaltig. Die Kraft des Films liegt in der Reduziertheit der Handlung, die beständig, aber ergebnislos um die Frage kreist: Warum tötet eine Mutter ihr Kind?

"Saint Omer", auf Mubi


Kunst und Verbrechen

Da sage nochmal jemand, ein Studium der Kunstgeschichte mit Spezialisierung auf die Renaissance würde zur Armut oder zum Verschwinden in staubigen, dunklen Archiven verdammen. Die Kunsthistorikerin Florence Chassange (Éléonore Bernheim) arbeitet im Louvre, wandelt in lichtdurchfluteten Hallen unter der Pyramide und löst nebenbei Kriminalfälle mit Fantasie (ihr erscheinen tote Maler) und konzentrierten Blicken in ihre schlauen Bücher. Durch Zufall wird sie zu Beginn der französischen Serie "Art of Crime" Zeugin eines Mordes im Schloss von Amboise nahe des Grabes von Leonardo da Vinci und arbeitet seitdem mit dem betont kunstbanausigen Polizisten Antoine Verlay (Nicolas Gob) zusammen.

In den einzelnen Folgen (gerade stehen drei Staffeln in der ZDF-Mediathek) führt die Geschichte großer Kunstwerke auf die Fährte von großen Verbrechern. Ein bisschen "Da-Vinci-Code" mit weniger Verschwörung und mehr Menschelndem. Die Dramaturgie ist ziemlich klassisches und definitiv nicht klischeefreies Krimi-Handwerk, und die Dynamik zwischen der kunstsinnigen Florence und dem grummeligen Antoine, der in die Abteilung Kunst-Kriminalität strafversetzt wurde, läuft etwas vorhersehbar auf Romantik hinaus - nein, nicht die Epoche.

Aber für eine Unterhaltungsserie nimmt "Art of Crime" die Kunst ungewöhnlich ernst, und die Liebe zu ihr lässt Menschen extreme Dinge tun. Nebenbei kann man durch die ausführlichen Dialoge zu realen Werken auch noch ein paar Einführungskurse Kunstgeschichte nachholen.

"Art of Crime", ZDF Mediathek, bis 23. Oktober


Wenn Kommerz die Street Art übernimmt

Bunt bemalte Wände in einer Stadt sind eigentlich ein Zeichen für eine lebendige Subkultur, schließlich hat die Kunstform Graffiti eine lange Tradition als Protestwerkzeug und Anti-Establishment-Ästhetik. Auch Berlin ist für seine Sprayerszene bekannt, gerade nach dem Fall der Mauer wurden die vielen freien Brandwände zur Spielwiese für Künstler. Auch heute gibt es weiterhin verschiedene Crews und Einzelpersonen, die illegal Züge und Gebäude besprühen, wie das RBB-Format "Schattenwelten" zeigt. So treffen die beiden Hosts Anja Buwert und Julius Geiler einige der "Phantome der Nacht", die sich unter den Namen Clit oder TBA Crew in der Stadt verewigen.

Längst haben jedoch auch kommerzielle Akteure den Wert von Street Art erkannt. Sie ist Touristenmagnet und wertet ehemals verrufene Viertel auf - was dann schnell zu steigenden Mieten und Verdrängung der kreativen Szene führen kann. Graffitikünstler werden so unfreiwillig zu Treibern der Gentrifizierung, oft stehen sie zwischen dem Wunsch nach gestalterischer Freiheit und der Notwendigkeit, mit ihrer Arbeit Geld zu verdienen.

Das Reportageformat stellt mehrere Fälle vor, in denen Street Art zur Aufwertung von Luxus-Immobilienprojekten benutzt wurde. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Agentur Xi-Design, die unter anderem handgemalte Werbung für große Unternehmen anbietet, sich gleichzeitig aber als Mitglied der künstlerischen Community in Berlin sieht. Am Ende bleibt die Frage: Wem gehört die Stadt und wer darf sie gestalten?

Der Film "Dose gegen Goliath – Killt Kommerz Kunst?" ist manchmal etwas raunend und dramatisch inszeniert (die Reporter sitzen gern in einem schummrig dunklen Büro und beugen sich verschwörerisch in Richtung Kamera), zeigt aber interessante und konkrete Zusammenhänge zwischen Kunst und Kapital. Hinter den bunten Wänden steckt mehr, als man denkt.

"Dose gegen Goliath – Killt Kommerz Kunst?", RBB-Mediathek, bis auf weiteres


Was die Models so super machte

Das bekannteste Model-Quartett aller Zeiten um Naomi Campbell, Cindy Crawford, Christy Turlington und Linda Evangelista hat auch einmal klein angefangen. Das zeigt die Dokumentar-Serie "The Super Models" auf Apple TV+. Sie erzählt die Geschichte hinter den Stars, die die Cover von "Vogue" und anderen Magazinen bis heute zieren. Dabei wirken die Laufstegstars erstaunlich menschlich.

Das gelingt, weil hauptsächlich Cindy, Christy, Naomi und Linda selbst zu Wort kommen. In vier Folgen à 60 Minuten rekonstruieren sie gemeinsam ihren Erfolg. Langweilig wird es dabei nicht, es gibt viel zu erzählen. Denn alle Karrieren der heute Mitte-50-Jährigen begannen schon im Teenager-Alter und kreuzten den Weg zahlreicher prominenter Designer und Fotografen. Nebenbei bekommt man so private Einblicke in die Zusammenarbeit mit Gianni Versace oder dem ikonischen Modefotograf Steven Meisel.

Aber "The Super Models" ist nicht nur für eingefleischte Fans. Auch Menschen, die nicht mit den Stars oder den genannten Modemarken aufgewachsen sind, werden durch die persönlichen Geschichten abgeholt. Denn vor allem geht es um vier junge Mädchen, die größtenteils durch Zufall in die Fashionbranche stolperten.

Beispielsweise erzählt Naomi Campbell, wie sie als junges englisches Mädchen allein in einen Flieger in die USA steigt. Zuvor hatte ihre Mutter ihr die rassistische Kolonialgeschichte Amerikas erzählt und sie gewarnt, dass sie anders behandelt werden würde, weil sie Schwarz sei. Und tatsächlich wird Naomi wegen ihrer Hautfarbe anfangs kaum gebucht. Besonders ungeschönt erzählt aber Linda Evangelista. Sie bringt Missstände der Modebranche und ihre eigenen Erfahrungen mit Missbrauch zur Sprache. Auch von ihren misslungenen Schönheits-OPs spricht sie offen.

Natürlich ist "The Super Models" zuallererst eine Ode an vier der prominentesten Frauen der 1980er- und 90er-Jahre. Doch das Format zeigt auch Abgründe und persönliche Leidensgeschichten. So wie alles Schöne seine Schattenseite hat. 

"The Super Models", Apple TV+


Mehr als nur Kunst-Aufpasser

Florenz in den frühen Morgenstunden, verschiedene Personen bewegen sich durch die menschenleeren Straßen, über die Ponte Vecchio hin zu einem der bekanntesten Museen der Welt – den Uffizien, wo wir die Museumsangestellten in das noch geschlossene Heiligtum begleiten. Die Arte-Miniserie "Museen erzählt von ihrem Aufsichtspersonal" nimmt uns in angenehm ruhiger Bildsprache mit in bekannte Häuser: Neben den Uffizien auch in den Prado in Madrid, das Centre Pompidou in Paris und das Wallraf-Richartz-Museum in Köln.

In den Uffizien lernen wir etwas über die "Venus de Medici" und wandelbare Schönheitsideale sowie die Geschichte der Porträtkünstlerin Rosalba Carriera und Frauen in der Kunst. Im Prado wird uns das Weltgerichtstryptichon von Hieronymus Bosch und im Centre Pompidou der Kiosk von Ben Vautier gezeigt.

Die Serie führt ihr Publikum auch in die nicht-öffentlichen Abteilungen der Museen, wo die oft wenig sichtbare Arbeit abseits der Ausstellungen passiert. So bekommt man exklusive Einblicke in die renommierte Restaurierungswerkstatt im Prado und das Depot der Uffizien. Schnell wird klar, dass unter dem Aufsichtspersonal Museum-Expertinnen und Experten sind, die über die Geschichte der Sammlungen und die einzelnen Kunstwerke genau Bescheid wissen. Viele haben Kunst oder Kunstgeschichte studiert und sprechen über die Highlights aus den Ausstellungen wie ausgebildete Vermittlerinnen.

Die Serie berichtet kaum von den Schattenseiten des Museumsalltags, sondern über das Glück, in ihrer Arbeit von Kunst umgeben zu sein, quasi "als wäre man im Zentrum der Welt", wie es in Florenz heißt. Spätestens beim ratlosen Museumsdirektor der Uffizien, der von einer Aufsicht darauf hingewiesen wird, welche Künstlerin – eben jene Rosalba Carriera – noch in der Porträtausstellung fehlt, oder der Direktor des Pompidou einer Angestellten die geplante Leihpolitik des Hauses aufschlüsselt, wirkt die Serie regelrecht utopisch.

"Museen erzählt von ihrem Aufsichtspersonal", Arte-Mediathek, bis 7. Dezember


Die verstörende Geschichte der "Zombie Angelina Jolie"

Eine iranische Teenagerin aus Teheran wurde Ende der 2010er-Jahre unter dem Namen Sahar Tabar auf Instagram berühmt. Zunächst behauptete sie, sich durch unzählige Schönheitsoperationen in eine extreme Version der US-Schauspielerin Angelina Jolie verwandelt zu haben. Später gab sie zu, dass ihr Gesicht auf den Fotos digital verzerrt wurde. Trotzdem wurde "Zombie Angelina Jolie", wie sie in internationalen Medien genannt wurde, ganz real von den iranischen Behörden unter anderem wegen Blasphemie verhaftet, im Fernsehen vorgeführt und ins Gefängnis geworfen.

Diese Geschichte, die viele Facetten unserer hypermedialen Gegenwart berührt, erzählt das Künstlerduo Eva & Franco Mattes in ihrer Videoarbeit "Up Next", die im Sommer im Frankfurter Kunstverein zu sehen war. Der Film besteht aus Screenshots von Social-Media-Posts und Online-Schlagzeilen rund um Sahar Tabar. Dabei setzen sie dem Tempo und der Lautstärke eines nie versiegenden Nachrichtenfeeds eine formale Strenge entgegen.

Die Arbeit ist stumm, der Schnitt rhythmisch, aber für heutige Sehgewohnheiten eher langsam. Jede Etappe dieser bizarren Geschichte prägt sich erbarmungslos ein. Und erinnert an eine reale Person, die hinter allen digitalen und politischen Projektionen schon wieder aus dem Bewusstsein verschwunden ist. 

Eva & Franco Matthes "Up Next", bei Dis.art


Überall geniale Frauen

In der Arte-Serie “Geniale Frauen” reisen wir mit einem unsichtbaren Erzähler durch Kapitel der "Historie der Menschheit". Zu seinem Ärger tauchen in jeder Folge neben den üblichen glorreichen Männern widerspenstige Frauen auf, die ihren Platz in den Geschichtsbüchern einfordern. In kurzen Stop-Motion-Episoden erzählen bedeutende Wissenschaftlerinnen, Erfinderinnen, Politikerinnen, Künstlerinnen und viele mehr ihre Biografien und klagen jene an, die sie “vergessen” haben – meistens ihre männlichen Kollegen oder eben Historiker.

Damit wird ein zentrales Problem in der Kulturgeschichte beschrieben, denn es gab viele großartige Künstlerinnen – wir kennen sie nur nicht. Zum einen wurden ihre Werke männlichen Kollegen zugeschrieben, wie bei der Filmproduzentin Alice Guy, die wahrscheinlich den ersten Spielfilm der Geschichte drehte, oder sie wurden plagiiert, wie bei Dramatikerin Catherine Bernard durch ihren Kollegen Voltaire. Oder aber – ein Klassiker der Kunstgeschichte – sie wurden schlichtweg nicht erwähnt und ihre Passion wurde als Hobby abgetan, wie bei der Bauhaus-Fotografin Lucia Moholy. Eins wird deutlich: Von der Höhlenmalerei bis zur modernen Fotografie – Frauen haben den Lauf der Welt schon immer geprägt, nur haben Männer die Geschichte dazu geschrieben.

Die Serie leistet einen kleinen Beitrag, um unsere kollektive Erzählung umzukrempeln und macht Lust, diese sehr kurze Liste zu ergänzen. Wem 30 Folgen bei weitem nicht genug sind, kann sich auch den Podcast "Lost Sheroes" von Cosmo und ARD anhören.

"Geniale Frauen", Arte-Mediathek, bis 2027


Der Flughafen Tempelhof als Lebensraum 

Es gibt wohl kaum ein Architekturensemble, dass die Vielschichtigkeit der Stadt Berlin so sehr verkörpert wie der ehemalige Flughafen Tempelhof. Einst eine größenwahnsinnige Nazi-Anlage, wurde er zentraler Ort der Luftbrücke im Kalten Krieg, und heute ist das ehemalige Rollfeld ein öffentlicher Park und die größte Vergnügungsfläche der dicht bebauten Metropole. Dass die Nutzung der riesigen Hallen durchaus umstritten ist, zeigte kürzlich die Debatte um die temporäre, privat geführte "Kunsthalle Berlin", die in der lokalen Kulturszene große Empörung auslöste und schließlich "aus der Stadt gejagt" wurde.

Über eine der wichtigsten Funktionen des Flughafens in den vergangenen Jahren wird jedoch wenig öffentlich gesprochen: Die Rolle als Unterkunft für tausende geflüchtete Menschen. 2018 veröffentlichte Regisseur Karim Aïnouz den berührenden Dokumentarfilm "Zentralflughafen THF", der das oft unsichtbar bleibende Leben der Ankömmlinge zeigt. Vor der mächtigen Architekturkulisse erzählen verschiedene Bewohnerinnen und Bewohner von ihren Eindrücken, Träumen und der Härte eines fremdbestimmten Daseins als Bittsteller in Deutschland. Das hybride Monster THF rückt so wieder näher an die Funktionen eines Flughafens heran: Ein Ort zum Ankommen und Weiterreisen, für Tränen und Freude. 

"Zentralflughafen THF", auf Mubi