Dieser Maler ist da offenbar etwas auf der Spur. Auch wenn sich dieses Etwas im besten Falle noch gar nicht exakt benennen lässt. Ha, was passiert denn da? Das ist aber schon allerhand! Rasch werden sonderbare Situationen abfotografiert und zwecks Austausch geteilt. Der Jargon ist gleich ganz weit weg.
Und tatsächlich geschieht in Adrian Mudders Bildern eine Menge, das man in genau dieser Zusammensetzung so noch nicht gesehen und deshalb auch nicht beschrieben hat. Gut, damit einmal in großer Anzahl konfrontiert zu sein – wie jetzt im Kunstverein Münsterland in Coesfeld, der die Werkschau "Hunger/Durst" ausrichtet.
Die erste Begegnung mit Adrian Mudder fiel in die frühe Corona-Pandemie. Magische Anziehungskraft entfalteten da seine Szenerien illuminierter Kneipen und anderer menschlicher Zusammenkünfte, immer aus einiger Entfernung eingefangen. Aber auch Autoscheinwerfer oder später die Leuchtreklame einer Total-Tankstelle: Wenige Airbrush-Punkte genügen dem Maler, um Partikel von Lichtdunst auf die Leinwand zu werfen. Oder Nebelschwaden über eine Fußballwiese ziehen zu lassen.
Vielleicht ist Zynismus die Kehrseite von Kitsch
Auch in Coesfeld ist jetzt wieder sehr vieles erleuchtet. Das Wasser glitzert, genau wie die Regenpfütze. Wie schafft es Adrian Mudder, dass all dies niemals kitschig ausschaut? Vielleicht ist Zynismus ja die Kehrseite von Kitsch, letzterer nicht ohne die Verachtung des Unperfekten zu haben. Vom zynischen Cool aber ist dieser Kosmos Myriaden Lichtjahre entfernt.
Cool im malerischen Sinne kann er schon sein: Mit ein, zwei Strichen erscheinen da ein Reh und ein Fußballtor auf der Wiese. Hervorragend auch die nächtliche Versammlung am Lagerfeuer, magisch illuminiert vom Schein der Taschenlampen einiger herbeigeeilter Polizisten. Da bricht ein lakonischer, niemals boshafter Humor durch, der ganze Bilder trägt.
Weiteres Licht ins Dunkel bringen dann noch die Smartphone-Displays. Einerseits dienen sie oft als Element seiner Bildmotive, andererseits als praktische Arbeitsoberfläche. Adrian Mudder, 1986 geboren und an der Kunstakademie Braunschweig ausgebildet, lebt und arbeitet heute in Leipzig. Er ist ein offenbar ziemlich produktiver Maler – in jedem Fall einer, der seine Arbeit nicht künstlich beschränken möchte.
Zwischen David Hockney und 90er-Geschenkeladen
Unterwegs zeichnet er seit 2017 auf dem Smartphone. Manche Bilder dienen als Vorlage für spätere Malereien, umgekehrt scheint auch die analoge in die digitale Malerei zurückzuwirken. Mehrere Dutzend dieser Arbeiten sind auch im Kunstverein zu sehen. Blumen und Blicke aus dem Fenster, das Spiel mit Unschärfe und präzisem Strich haben durchaus Ähnlichkeit mit David Hockneys bekannten "Smartphone Drawings" (die Mittel und Möglichkeiten des Telefons sind ja auch begrenzt). Hier rücken zusätzlich Texte ins Bild, die schwarzhumorig vom Künstleralltag berichten. Oder immer wieder dieses Leuchten.
Neben Alltagsszenerien gibt es noch eine wörtlich fabelhafte, ganz und gar anti-illusionistische Welt, aus der Adrian Mudder schöpft, bevölkert von Tieren und anderen belebten Wesen. Niedlich, aber nicht unerträglich süß.
Man könnte das eine "verdiddlte Welt" nennen – in Erinnerung an die gleichnamige Diddl-Springmaus, die in deutschen Schulen und Geschenkeläden der 1990er-Jahre vor aquarelliertem Farbverlauf auftauchte. Eine Art Transformierung jener genuinen Neunziger-Ästhetik mit BRD-Einschlag in eine dann aber völlig eigene Sprache.
Alle rauchen, auch die Schnecken
Motivisch geht es bei Adrian Mudder mal weniger und mal noch unschuldiger zu. Alle rauchen, auch die Schnecken. Menschen bleiben vielleicht zwangsläufig im Ungefähren (der Maler als junger Mann, mit der Künstlersozialkasse oder der Zeichenrolle kämpfend). Scharf konturiert in Acryl, Airbrush, Gouache und neuerdings immer öfter Keramik sind hingegen andere Wesen. Oft laufen Tiere über schiefe Ebenen, rauchen eben schleimige Kriechtiere oder werden Flamingos gewürgt. Dazu Garnelen, Enten, Espressokocher mit Gesicht. Sie blicken melancholisch oder auch verdutzt: wissen vielleicht halt auch nicht immer so genau, was sie hier überhaupt tun. Die dann doch wieder ultimative, menschliche Erfahrung.
In diesem großen, gut verwinkelten Raum informieren sich digitale und analoge Malerei, Alltag und Fantasma gegenseitig. Man muss sich fast ein wenig anstrengen, nicht schon ins frei flottierende Assoziieren zu kommen, bevor ein Bild überhaupt zu Ende erfasst ist. Die Wesen, die dem Künstler in einem Restaurant-Szenario um den Kopf schwirren, die entrückten Sonderbarkeiten, drängen auch in den Ausstellungsraum.