Alexandra Bircken in Berlin

An der Schnittstelle

Die Haut als fragile und formbare Verbindung zur Welt ist das zentrale Thema in der Kunst von Alexandra Bircken. Nun erkundet sie in einer spektakulären Installation im Berliner Kindl-Zentrum die Grenzen des Körpers 

"Warum sollten unsere Körper an der Haut enden?" Das ist eine zentrale Frage, die die feministische Naturwissenschaftshistorikerin Donna Haraway 1985 in ihrem "Cyborg Manifesto" stellt. Darin schlägt sie das Ende der Abgrenzungen zwischen Tier, Mensch, Maschine, Natürlichem und Technologischem vor. Haraways Denken ist ein radikaler Angriff auf das anthropozentrische Weltbild, die Vorstellungen von Familie, Gender, Fortpflanzung. Ihr Bild des Cyborgs ist keine Mensch-Maschine, sondern eine mythische Denkfigur, die helfen soll, das Verhältnis zwischen Gesellschaft, Wissenschaft und Technologie neu zu definieren.

Cyborg-Körper sind für Haraway "Landkarten der Macht und Identität". Dasselbe könnte man über Alexandra Birckens Skulpturen und Installationen sagen. Das zentrale Thema der 1967 geborenen Künstlerin ist die Haut als Membran, als Organ und Bekleidung, aber auch als Grenze zwischen dem Innen und Außen. Aus textilen Materialien, Maschinenteilen, Holz, Stahl, Latex schafft sie schamanische, organisch-technoide Konstruktionen, die Vorstellungen des Körperlichen kritisch hinterfragen und erweitern. Bircken, die zur Art Week als erste institutionelle Einzelausstellung in Berlin eine raumfüllende Installation für das Kesselhaus des Kindl entwickelt, gehört heute zu den wichtigsten Objektkünstlerinnen der Gegenwartskunst. Zeitgleich mit der Berliner Ausstellung widmet ihr das Münchner Museum Brandhorst eine große Retrospektive.

Dabei bildet die Mode und nicht die Kunst Birckens Ausgangspunkt. Sie geht 1990 mit dem Modedesigner Lutz Huelle und dem Fotografen Wolfgang Tillmans nach London, um am Central Saint Martins College Mode zu studieren – in genau jenem experimentellen Lehrgang, der auch Alexander McQueen und John Galliano als Designer hervorgebracht hatte. 1992 verewigt Tillmans sie und Huelle auf dem ikonischen Porträt "Lutz & Alex", auf dem beide nackt in Latex- und Regenmänteln auf einem Baum sitzen, Inbegriff für den Aufbruch der Techno- und Ravekultur. Es ist die Ära der Dekonstruktion und Materialexperimente, in der Mode verkörpert von Martin Margiela, der Bircken 1995 nach dem Studium auch anwirbt. Ihr späterer Umgang mit Volumen, Körper, Leere, Schichtungen wird hier sicher geprägt.

Objekte, die den Körper nicht mehr als Rechtfertigung brauchen

Aber es ist auch die Ära der beginnenden Digitalisierung, der geopolitischen und technologischen Dekonstruktion, in der sich politische Fronten, Genderbilder und soziale Systeme auflösen, umstülpen oder neue Verbindungen eingehen – Themen, die Birckens spätere künstlerische Arbeit bestimmen. Mit ihrem damaligen Partner Alexander Faridi betreibt sie ein eigenes Modelabel und ist dann als Designerin für Jean-Charles de Castelbajac in Paris erfolgreich.

Ihre künstlerische Karriere beginnt Anfang der 2000er in Köln in ihrem eigenen Studio, wobei immer mehr Objekte entstehen, "die den Körper nicht mehr als Rechtfertigung brauchten", wie sie sagt. Ihre frühen Arbeiten können aus gestrickten und gewebten Partien zusammengenäht sein und auf einen Rahmen aus Zweigen aufgespannt werden. Dann beginnt Bircken, Readymade-Objekte wie Wäscheständer, Elemente aus Gips oder Beton, Schneiderpuppen, Motorräder und aus Ästen gefügte Gitterstrukturen in ihre Arbeit einzubeziehen, den gesamten Raum als Körperform zu aktivieren. 2017 löst sie Aufsehen aus, als sie die nach der Geburt ihrer Tochter 2011 in Formaldehyd eingelegte Plazenta als einen Hybrid aus Skulptur und Produktionsdesign ausstellt und in Anspielung auf Gustave Courbets berühmtes Gemälde "L’origine du monde" nennt - und diesen Ursprung zurückfordert und in sich selbst verortet.

In "Eskalation" (2014/2016/ 2017/2019), einer ihrer großformatigsten Arbeiten, trägt ein riesiges aus Leitern bestehendes Gestell eine Gemeinschaft schwarzer Latexkörper, die, auf leere Häute reduziert, schlaff und machtlos über die Sprossen hängen – wie die erschöpften, gepeinigten Körper spätkapitalistischer, rassistischer Ausbeutung. Auch in der Berliner Installation sind solche Latex-Hüllen ein zentrales Thema. Unser Körper ist umkämpft: Er ist online, überwacht, vernetzt, Bürger, Demonstrant, Mutter. Er wird wie ein Sklave objektiviert, technologisch oder spirituell erweitert und grenzenlos gemacht. Er ist ein Ort der Gewalt, der Liebe, der Dekonstruktion – aber vor allem, das macht Birckens Werk deutlich, Produktionsstätte der Utopie.