Wie ein Boot bei unruhiger See hüpft das Auto durch eine unwirtliche Wüstenlandschaft den löchrigen Weg entlang. Links und rechts gleiten zinnoberrote Vulkanhügel und Sand vorbei - als Küstenstreifen oder zu Dünen aufgeworfen. Vor geraumer Zeit hat sich die Schnellstraße in eine Buckelpiste verwandelt und nun vollends in der karg-körnigen Steppe verflüchtigt. Ratlos will man den Rückweg antreten, als in flirrender Ferne eine Fata Morgana erscheint: ein keck lächelndes Haus.
Wo sich laut Google Maps eigentlich nichts Nennenswertes befindet, an der rauen Westküste im Norden von Fuerteventura, taucht es auf. Dort, wo sich wegen der haushohen Wellen Surfer an mörderischen Spots tummeln, zeichnen sich beim Näherkommen schlanke Gestalten mit Hüten am Horizont ab: Zinnen und Türme auf welligen und abgeschrägten Dächern.
Es ist keine optische Täuschung, sondern vielmehr ein Hybrid: halb naturnahe Finca, halb Fantasiegebilde, umgeben von alten Dattelpalmen und einer niedrigen Mauer. Das Ganze lässt an Salvador Dalís Malerei, Antoni Gaudís Ikonen oder Lewis Carrolls "Alice im Wunderland" denken.
Zum Staunen
Überall erstaunte, hervorlugende Gesichter, die einen frohlockend begrüßen. Eingänge, Torbögen und Fenster wie aufgerissene Augen oder zu einem "O" geformte Münder. All das inmitten von blühender Aloe, Bougainvillea und kanarischem Ginster. Ein zirzensisches Ensemble, umspült von Weite. Dahinter versinkt das Meer im Kobaltblau des Himmels. Verzögert durch die Ölkrise in den 1970er-Jahren wurde es 1978 geschickt auf einer Anhöhe zwischen dem alten Leuchtturm Faro de Tostón und dem einst verschlafenen Fischerdorf El Cotillo erbaut.
Kaum einer weiß, dass sich unmittelbar angrenzend unterhalb der Steilküste die Playas de Los Lagos erstrecken, lauschige Buchten mit hellem Strand, die von der Brandung durch vorgelagerte Lavasteine abgeschirmt werden. Entworfen hat den surreal anmutenden Komplex der spanische Architekt und bildende Künstler Antonio Padrón Barrera: als Wohndomizil und Hommage an die sprödeste Kanareninsel und ihr einzigartiges asketisches Antlitz.
Schon der Baske Miguel de Unamuno schwärmte im Exil, Fuerteventura sei "eine Oase in der Wüste der Zivilisation". 1924 war der bekannte Philosoph aus Salamanca auf das Eiland verbannt worden, weil er das spanische Militärregime kritisiert hatte. Winzig ist das Museum, ehemals ein Hotel, das den Schriftsteller heute ehrt. Wirklich viel hat selbst Puerto del Rosario, die Hauptstadt der Insel, an Kultur nicht zu bieten.
Ein Haus wie Crema Catalana
Allein das durch Feuer und Sand geformte, unendliche Ruhe und Freiheit suggerierende "leere Land" lockt jedes Jahr Scharen von Touristen - genauso wie die beständig milden Temperaturen. Der in El Hierro geborene Antonio Padrón Barrera, der erst im fruchtbaren Tal El Golfo aufwuchs und danach in der Altstadt von Las Palmas auf Gran Canaria, war sich dieses Reichtums früh bewusst. Und er versucht bis heute, ihn zu bewahren.
Obwohl er zunächst Bauwesen sowie Industrie- und topografisches Zeichnen studierte, begann er bald, seine Formensprache an anderen Parametern auszurichten. Wohl auch, da er seine Heimat verließ, um zu reisen. In Großbritannien und auf dem spanischen Festland arbeitete er für Architekten, darunter Spínola y Trapero oder Pablo Pintado y Riba. Dann kehrte er 1969 auf die kanarischen Inseln zurück, um eine möglichst ressourcenschonende, mit der Natur verbundene Architektur zu schaffen.
Mit Felsen, Wüste und Meer im Einklang: Nicht nur farblich fügt sich Barreras irrwitzige Finca nahe El Cotillo in ihren Karamelltönen katalanischer Dessertspeisen mühelos in die Landschaft ein. Bauchig wirken die auf mehreren Ebenen liegenden Gebäude. Es ist, als hätte der kontinuierlich auf Fuerteventura wehende Passat die Ecken und Kanten abgeschliffen - ebenso, wie Wind und Wetter die älteste Insel des Archipels gestutzt haben, die vor knapp 20 Millionen Jahren entstand und seither stark erodiert ist.
Form und Funktion im Gleichgewicht
Schon die Ureinwohner, die Majoreros, errichteten ihre Häuser flach und rund, um die Hitze draußen zu halten. Solch zentrale Elemente einer traditionellen Architektur, die auf Fuerteventura später vom Baustil der Spanier während der Kolonialzeit geprägt wurde, interpretiert Barrera neu.
Seine Bauweise, hinter der eine eigenwillige Philosophie steckt, entpuppt sich als Konglomerat diverser Querverweise und Bezüge. Changierend zwischen eleganter Funktionalität und überbordender Kreativität, fußen seine architektonischen Kunstwerke sowohl auf den Schriften des Schweizer Tiefenpsychologen Carl Gustav Jung und dessen These vom Unbewussten als schöpferischem Quell als auch auf den visionären Ideen eines Buckminster Fuller oder Friedensreich Hundertwasser.
Seine Vorbilder sind Architekten, die zugleich alles Mögliche waren: Erfinder, Wissenschaftler und Umweltaktivisten. Und die zu Lebzeiten mit ihren winkellosen Behausungen in einer "geometrisierten" Welt durchaus aneckten.
Eine ganzheitliche Herberge
Zwar zeigt sich Barrera weniger verspielt, bunt und radikal als Hundertwasser, der die gerade Linie regelrecht verteufelte. Und er ist nicht annähernd so futuristisch wie Fullers geodätische Kuppeln. Doch auch seine Architektur ist ganzheitlich gedacht.
Bevorzugt verwendet er lokale und umweltschonende Materialien, etwa mit Vulkanasche angereicherten Beton. Damit knüpft er an Fullers Konzept der "Ephemerisierung" an. Sprich: an das Prinzip, mit minimalen Mitteln eine Effizienz-Maximierung zu erreichen.
Ähnlich wie Hundertwasser, der Außenwände als dritte Haut verstand, die entgegen eines "Fensterdiktats" individuell zu gestalten seien, begreift Barrera seine Bauwerke als eine Art Außenskelett. Dieses hat die Aufgabe, sich den Bedürfnissen des Menschen anzupassen, ihn und seine Psyche adäquat zu beherbergen.
Architektur zum Anbeißen
Zum Anbeißen, wie Gebäck und von Zuckerguss überzogen, sieht Barreras "Casa de la Ilusión" aus, das 1985 auf der Halbinsel Jandía fertiggestellt wurde. Innen vermitteln die cremefarbenen, organisch gewölbten Treppen, Räume und Wände das Gefühl, ein wohlig warmes, irgendwie anschmiegsames Schneckengehäuse zu begehen. Arbeiten mit "sphärischen Formen" nennt Barrera das. Alles in diesem realen Schlaraffenland kreist um ein imaginiertes Zentrum.
Der Kontrast zwischen dem "Hänsel und Gretel Haus", wie es bei den Einheimischen heißt, und den All-inclusive-Hotels im Süden Fuerteventuras könnte kaum größer sein. Die Region gilt mit ihrer Touristik-Infrastruktur als Rentnerparadies.
Barreras märchenhafte Gebilde - jedes ein Unikat - lassen sich ebenfalls auf anderen Inseln der Kanaren finden, etwa auf Lanzarote, wo der 79-Jährige seit 1990 lebt. Noch immer ist hier der Geist des "Inselheiligen" zu spüren: der von César Manrique, der für Barrera wegweisend war.
Appell gegen Monotonie
Bis zu dessen Unfalltod vor fast 33 Jahren hielt er zu dem berühmten älteren Kollegen, Bildhauer, Universalschöpfer und Naturschützer freundschaftlichen Kontakt. Nicht zuletzt erinnern die mit Mosaiken verzierten Fenster, Fassaden oder Mauern an Manrique und ein lateinamerikanisches Erbe. Bei Barrera sind die Ornamente aus farbigen Glassteinen zusammengesetzt
Bei allem Traditionsbewusstsein ist Antonio Padrón Barreras Architektur jedoch nicht unbedingt als Denkmal zu verstehen. Vielmehr ist sie Kritik und Appell - zu mehr Mut, um die Monotonie einer insularen Bebauung aufzubrechen.