Italienisches Design in Berlin

Arrivederci, Bauhaus-Realismus!

Spielerischer Maximalismus und keine Angst vor Farben: So kommt das Design der italienischen "Alchimia"-Bewegung daher. Von der Lust am Objekt kann man sich jetzt im Berliner Bröhan Museum anstecken lassen

Knallbunte Farben springen einen an. Was die Objekte sind, die solcherart farbfroh daherkommen, ist schon weniger klar auszumachen. Das Berliner Bröhan-Museum hat sich in eine Abfolge von Schaufensterdekorationen verwandelt. Dargeboten wird: das Design von "Alchimia".

So nannte sich eine italienische Gruppe von Gestaltern, Künstlern, Architekten und auch Theoretikern, die sich in den späten 70er-Jahren zusammenfand, genauer im Jahr 1976, und bis 1992 Bestand hatte. Doch dem Charakter des Designberufs in Italien als einer freischaffenden Tätigkeit entsprechend gab es keine feste Gruppenzugehörigkeit, sondern eher Wahlverwandtschaften. Produktgestalter waren in Italien nicht fest in die Unternehmen eingebunden, es gab sie im strengen Wortsinne nicht einmal. Das ästhetisch so anspruchsvolle italienische Design wurde traditionell von Architekten und Künstlern geschaffen.

Die Nachkriegsmoderne, die gerade in Italien zu einer völligen Umgestaltung zumindest der nördlichen Landesteile geführt hatte, mit ihren ökonomischen Zentren in Mailand und Turin, flachte in den 1960er-Jahren ab. Die Gesellschaft geriet in eine tiefe Krise, Studentenbewegung, Terrorismus von links und von rechts lauten die entsprechenden Schlagworte. Unter Architekten bildeten sich Kollektive wie "Superstudio", die visionäre Stadtentwürfe ohne Rücksicht auf Verwirklichung propagierten.

Geboren im Geist der Postmoderne 

In diesem historischen Kontext entstand "Alchimia", geboren "im Geist der Postmoderne", wie Ausstellungskurator François Burkhardt im begleitenden, dickleibigen Katalog schreibt. Burckhardt, soeben 89 Jahre alt geworden, aber mit der drahtigen Erscheinung eines dreißig Jahre Jüngeren, ist eine regelrechte Design-Legende. Von 1971 bis 1984, also mit Beginn vor mehr als einem halben Jahrhundert, leitete er in West-Berlin das IDZ, das Internationale Design-Zentrum, das mit Geldern der Industrie ausgestattet war und in der Halb-Stadt überhaupt erst einmal vorführte, was Design im internationalen Vergleich eigentlich ist und leistet.

Burkhardt, gebürtiger Schweizer und Kosmopolit, hat überall schon gearbeitet, und so ist auch die jetzige Ausstellung eine Kooperation, und zwar mit dem ADI Design Museum in Mailand, das sie im Anschluss übernehmen wird. Im Zuge der famosen und wohl auch unerwarteten Wirkung von "Alchimia" eroberte sich italienisches Design für einige Jahre die angesagten Einrichtungshäuser, und so sieht man jetzt im Bröhan-Museum alte Bekannte wieder, die damals, so um 1980 herum, wie Fanale einer anderen, spielerischen, zweckfreien Kultur wirkten. 

Ettore Sottsass war der bekannteste Designer, Alessandro Mendini ein weiterer Kopf der Bewegung, Michele de Lucchi, Andrea Branzi zählten dazu, Achille Castiglioni, so viele große Namen. Von ihnen stammen die herrlich unpraktischen Regale und Sideboards, die schon beim Hingucken so unbequemen Stühle, alle überzogen mit Laminat in grellen, künstlichen Farben oder aber abstrakten Mustern in Schwarz-Weiß. Dazu Teekannen, aus denen man nie etwas auszugießen wagen würde, verdrehte Stehlampen und waghalsige Beistelltischchen.

Ein sehr poetisches Moment

"Das große Verdienst von Alchimia bestand darin, dass es die Designwelt vom Bauhaus-Rationalismus befreite, der all die Jahre zuvor dominiert hatte, und dass es neue Elemente und Impulse einführte", hat ein italienischer Chronist der Bewegung geschrieben. Ihn zitiert Bröhan-Direktor Tobias Hoffmann in seinem Katalogbeitrag und lenkt damit den Blick auf den deutschen Anteil an der italienischen Design-Offensive. Die nämlich entwarf Kollektionen unter dem ironischen Titel "Bau Haus" oder eignete sich Gemälde von Kandinsky an, um sie zu Stoffmustern zu verfremden. 

"Anything goes", das war doch der Schlachtruf der (angelsächsischen) Postmoderne; aber nirgendwo ist er so konsequent, aber zugleich so sympathisch nahbar ausgerufen worden wie in den Entwurfsbüros von Mailand. Wie das? Weil die Italiener ein sehr poetisches Moment hatten, weil sie die Freiheit von wirtschaftlichen Zwängen wie von Nützlichkeitserwägungen konsequent auslebten.

"Für Alchimia müssen Objekte gleichzeitig 'normal' und 'anormal' sein“, heißt es im "Manifest" der Gruppe von 1984: "Ihre gewöhnliche Komponente lässt sie in den Alltag, die Realität und das Bedürfnis nach Gleichförmigkeit einfließen. Ihre außergewöhnliche Komponente hebt sie aus der Gewohnheit heraus und verbindet sie mit dem Unerwarteten, dem Zufall, der Differenz und der Übertretung." Das ist eine recht genaue Charakterisierung dieser schillernden Objekte, die durch ihre bloße Existenz von einem Überfluss künden, der möglich ist, nicht allein materieller Art, sondern ebenso im Geistigen wie im Emotionalen.

Ein Design, das einfach nur Design sein will

Wohl am schönsten kam dieser Überfluss in den Objekt-Präsentationen der Gruppe zum Ausdruck, und so ist die Berliner Ausstellung denn auch wie eine Folge der Mailänder Schaufenster gestaltet, die im Katalog abgebildet sind – nicht zu betreten oder zu berühren, fern und nah zugleich, ein Versprechen für Künftiges. 

Irgendwer muss die Sachen damals gekauft haben, und auf welchen Dachböden, in welchen Kellern mögen Originale darauf warten, wieder als Licht zu kommen! Einstweilen mag ein Besuch im Bröhan-Museum genügen, um in die Welt eines Designs einzutauchen, das einfach nur – Design sein will.