Kultkino in LA schließt

Es war einmal in Hollywood

Der Cinerama-Dome in Hollywood
Foto: CC via Wikimedia

Der Cinerama-Dome in Hollywood

Mit dem Cinerama Dome in Los Angeles wollte die Filmwelt einst dem Kinosterben in den 1960ern trotzen. Nun fällt das Hollywood-Denkmal der Pandemie zum Opfer. Oder gibt es doch noch Hoffnung?

Als Billy Wilder 1950 seinen finsteren Abgesang auf das alte Hollywood "Sunset Boulevard" nannte, sah sich die amerikanische Filmindustrie selbst am "Boulevards der Dämmerung": Mehr als sieben Millionen Fernsehgeräte wurden allein in jenem Jahr verkauft, mit dem Ergebnis, dass die Kinobesuche drastisch sanken – zwischen 1946 und 1956 um 50 Prozent. Trotzdem eröffnete am "Sunset Boulevard" 1963 noch einmal ein Kinopalast – der erste in Hollywood seit 33 Jahren.

In nur 16 Wochen wurde der "Cinerama Dome" errichtet, heute eines der Wahrzeichen der Traumfabrik. Die Vorstellung, dass eine Abrissbirne binnen weniger Stunden dieses Architekturjuwel vernichten könnte, versetzt derzeit nicht nur die Filmwelt von Los Angeles in Aufruhr. Als die Kinokette Pacific Theatres ankündigte, nach den Corona-Lockdowns keines ihrer Kinos wieder aufzumachen, schien auch das letzte Stündlein des Cinerama Dome geschlagen zu haben.

Schon einmal, in den 1990er-Jahren, drohte die Zerstörung, und dass damals wenigstens der Kuppelbau gerettet wurde, wenn auch nicht das ganze Ensemble, war ein harter Kampf. Zwar steht das Gebäude seither unter Denkmalschutz, aber das bedeutet in Kalifornien lediglich ein Jahr Aufschub, um mit dem Besitzer nach einer Lösung zu suchen. Damals versüßte man dem Besitzer den Erhalt mit einem kostenlosen Parkhaus.

Bezwingendes Baukasten-System

Jedem Hollywood-Touristen ist die weiße Halbkugel wohl aufgefallen, mit der die Firma "Cinerama Inc." seinerzeit auf revolutionäre Art dem Kinosterben trotzen wollte - mit Superbreitwandfilmen, vorgeführt auf einer gigantischen gebogenen Leinwand. Nicht weniger revolutionär als die Technik war die architektonische Verpackung: Inspiriert von R. Buckminster Fullers ikonischer Geodätischer Kuppel entwarf dessen ehemaliger Mitarbeiter Pierre Cabrol ein ebenso ökonomisches wie visuell bezwingendes Baukasten-System: Das Kino wurde aus 316 sechs- und fünfeckigen Klötzen gebaut, jeder etwa 3,70 Meter groß. Insgesamt wollte Cinerama 600 dieser spektakulären Kinos in solcher Systembauweise auf der ganzen Welt errichten – doch das weltweite Kinosterben war schneller.

Der Cinerama Dome war der letzte seiner Art. Als Teil des 15-Saal-Komplexes ArcLight Hollywood war es aus dem Alltag der Kinostadt Los Angeles nicht wegzudenken. Es lohnte sich immer zu schauen, ob ein neuer Film dort gespielt wurde. Ich erinnere mich an eine Vorführung von "Gone Girl" von David Fincher, bei der es mir schwer fiel, dem Film mehr Aufmerksamkeit zu widmen als dem Kino.

Das berühmte Cinerama-Breitwandverfahren, bei dem drei Projektoren parallel geschaltet wurden und jeweils ein Drittel des Gesamtbilds darstellten, war zwar schon bei der Eröffnung 1963 durch den breiten 70mm-Film ersetzt worden. Doch dafür musste man auch keine Nahtstellen im Bild ertragen, wie sie sich noch heute in Klassikern wie "How the West was Won" bemerken lassen.

Kinodenkmal in Hollywood

Das 70mm-Verfahren hat bis heute seine Fans, zuletzt drehte Christopher Nolan seinen Film "Tenet" in diesem Format. In Quentin Tarantinos "Once Upon a Time in Hollywood" spielt der Cinerama Dome selbst eine Rolle – als Schauplatz der Premiere des Films im Film, "Kratatoa, East of Java". Die Filmplakate dazu hingen noch im Kino, als Tarantinos Film dort anlief – stilecht in einer 70mm-Kopie.

Auch wenn die Nachrufe bereits geschrieben wurden - für eine neuerliche Rettung ist es vielleicht noch nicht zu spät. Schon fiel der Name Netflix als potentieller Käufer, dem schon ein anderes Kinodenkmal in Hollywood gehört, das Egyptian Theatre in Hollywood. Aber soll man sich ausgerechnet Rettung von einem Streamingdienst erhoffen, sind das nicht die Totengräber des Kinos?

Es würde mit dem Teufel zugehen, wenn in Beverly Hills im September das Academy Museum mit Renzo Pianos prächtigem Kuppelbau eröffnet – und sein legendäres Vorbild nach einem Jahr zu Staub zermahlen würde. Langfristig dürfte sich aber die bittere Wahrheit hinter der Symbolik nicht mehr leugnen lassen: Das Kino, die populärste Kunstform des 20. Jahrhunderts, wird wohl am Ende nur in den geschützten Kulturtempeln überleben – und das Schicksal der Oper teilen. So wird es wohl gewesen sein, wird man dann sagen. Once Upon a Time in Hollywood.