Ping-Pong-Mania

Die Kunst des Tischtennisspiels

Ping-Pong ist ein fantastisches Spiel. Das fühlen Menschen auf der ganzen Welt, auch viele Künstlerinnen und Künstler. Aber was hat eine Tischtennisplatte im Kunstmuseum verloren? 

Die Kunstwelt spielt oft verrückt, noch öfter spielt sie Ping-Pong. Diesen Eindruck konnte man jedenfalls in letzter Zeit in Museen bekommen, etwa in den Retrospektiven von Rirkrit Tiravanija und Lenora de Barros. Mit partizipativen Ping-Pong-Arbeiten beleben sie karge Ausstellungsräume und bringen Menschen aus allen Himmelsrichtungen an einen Tisch – oder besser gesagt: an eine Platte. 

Auch in Start-ups sorgen Tischtennisplatten für das optimale Betriebsklima, in Parks können wir mit ihnen die Zeit totschlagen. Über den Sommer wird an jeder Ecke Ping-Pong gespielt, aber was kann eine Tischtennisplatte im Museum, was sie im Park nicht kann? Als Vorreiter der Relational Art ist Rirkrit Tiravanija ständig auf der Suche nach neuen Wegen, die Kunstinstitutionen dieser Welt inklusiver und gastfreundlicher zu gestalten. Zu seinen Ausstellungen gehören immer eine Menge Leute, gutes Essen und manchmal eben auch Tischtennisplatten. Bei seiner Retrospektive "Das Glück ist nicht immer lustig" stand im Lichthof des Gropius Baus in Berlin seine Arbeit "untitled 2024 (tomorrow is the question)" (Morgen ist die Frage), bestehend aus vier bedruckten Tischtennisplatten, die durchgehend bespielt werden durften. 

Die relational artists, zu denen Tiravanija seit der ersten Stunde gehört, haben in den 1990er-Jahren neue Ausstellungsmodelle entwickelt und das traditionelle Museum durch ihre Praxis einem größeren Publikum geöffnet. Das gelingt ihnen bis heute vor allem durch Mitmachaktionen verschiedener Art, die zunächst oberflächlich oder gefällig aussehen können, wie eine Runde Ping-Pong – aber im entsprechenden Kontext trotzdem etwas bewirken. 

Insbesondere Tiravanija hat viel zur andauernden Dekolonisierung westlicher Kunstmuseen beigetragen. Er ist überzeugt, dass Kunst nicht aus dem Pinsel eines "Genies" auf die Leinwand fließt, sondern eher spontan zwischen Menschen entsteht. Deshalb will er seinem Publikum immer auf Augenhöhe begegnen, ungefiltert und nahbar, was bei künstlerischen Ping-Pong-Turnieren mindestens genauso gut funktioniert wie am Esstisch.

Über die Jahre haben immer mehr große Museen die Relational Art als Kunstform akzeptiert, auch Tiravanija ist dort längst ein willkommener Gast. Daher könnte man sich fragen, ob Ping-Pong, gesellige Kochabende oder ähnliche Aktionen heute noch kritisch genug sind, um die Kunst voranzubringen. Den Besucherinnen und Besuchern des Gropius Baus machte das Spielen aber bestimmt nicht weniger Spaß, nur weil sich manche ein politischeres Werk gewünscht hätten. Abgesehen davon, bleiben schweißglasierte Körper und breites Grinsen in den meisten Museen ein seltener Anblick. Insofern steckt in Tiravanijas "untitled 2024 (tomorrow is the question)" vielleicht immer noch ein kritisches Element, besonders im face-off mit rechten Miesepetern.

Ping-Poesie

Tiravanija spielt seinem Publikum den Ball zu. Sollen andere unter sich ausmachen, ob eine Tischtennisplatte ins Museum gehört oder nicht. Bei "untitled 2024 (tomorrow is the question)" geht es eben nicht um seine Definition von Kunst, wichtiger ist was zwischen den Spielerinnen und Spielern passiert. Die Arbeiten der brasilianischen Künstlerin und Dichterin Lenora de Barros betonen das Zwischenmenschliche mindestens genauso stark wie Tiravanija. Davon zeugt ihre multimediale "Ping-Poem"-Serie aus Installationen, Fotoarbeiten und visuellen Gedichten. De Barros begreift Ping-Pong als eine Metapher für zwischenmenschliche Kommunikation. Aus gewöhnlichen Tischtennisplatten, -bällen und -schlägern formt sie ein Medium der Konkreten Poesie, die neben Wörtern und Klängen auch visuelle Elemente einschließt. So helfen uns ihre "Ping-Poems", die Komplexität sozialer Beziehungen besser zu verstehen. 

Wie poetisch Ping-Pong sein kann, zeigte de Barros einmal mehr bei ihrer Retrospektive "To see aloud" (laut sehen) im Badischen Kunstverein in Karlsruhe. Neben mehreren Arbeiten aus ihrer "Ping-Poem" Serie stand hier wieder eine Tischtennisplatte im Raum, präsentiert als "Ping-Poem-Table". Damit konnten Besucherinnen und Besucher eigene "Ping-Poems" dichten, ihren Kunstbegriff erweitern oder, wie im Gropius Bau, einfach miteinander spielen, ohne zu viel nachzudenken. Schließlich zwingen uns weder de Barros noch Tiravanija zu unserem Glück. Wer keine Lust hat mitzumachen und lieber in Ruhe "schöne" Gemälde betrachten will, findet auf der Museumsinsel immer eine weniger actionreiche Alternative.