Debatte hält an

Documenta startet in die fünfte Ausstellungswoche

Nach der Rückzugserklärung von Hito Steyerl sind die Arbeiten der Künstlerin nicht mehr auf der Documenta zu sehen. Zum Start der fünften Woche der Weltkunstschau gehen die Diskussionen um Konsequenzen aus dem Antisemitismus-Eklat indes weiter

Einen Tag nachdem die deutsche Künstlerin Hito Steyerl ihren Rückzug von der Documenta Fifteen in Kassel erklärt hat, waren ihre Arbeiten nicht mehr im Naturkundemuseum Ottoneum zu sehen. Sie seien am Freitagabend abgebaut worden, hieß es dort am Samstag. Steyerl hatte vor dem Hintergrund des Antisemitismus-Eklats um die Schau mitgeteilt, sich nicht mehr an ihr zu beteiligen. Die 56-Jährige, die zu den international wichtigsten Künstlerinnen zählt, begründete ihren Schritt gegenüber der dpa in Berlin mit dem Rückzug Meron Mendels. Der Leiter der Bildungsstätte Anne Frank hatte der Documenta-Leitung Untätigkeit vorgeworfen, nachdem auf der Ausstellung ein Banner mit antisemitischer Bildsprache entdeckt und abgebaut worden war, und erklärt, den Organisatoren nicht länger beratend zur Seite zu stehen

Das Internationale Auschwitz Komitee hat die Documenta-Verantwortlichen zum Dialog mit den Besuchern aufgerufen. "Jeder Documenta-Tag, den die Verantwortlichen weiterhin schweigend und untätig auszusitzen versuchen, ist ein verlorener Tag für die Zukunft der Documenta überhaupt", erklärte Christoph Heubner, der Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, am Samstag. Die Betroffenheit der Besucherinnen und Besucher der Ausstellung sei groß, sagte Heubner laut Mitteilung nach einem dreitägigen Aufenthalt mit Auszubildenden in Kassel. "Groß ist auch ihr Wunsch, die Documenta möge als Schaufenster in die Welt erhalten bleiben - aber als Schaufenster, dessen Kuratorinnen und Kuratoren niemanden diskriminieren oder ausschließen, wie diesmal geschehen."

Jetzt bleibe der Documenta nur die Flucht nach vorn. "Mit den Besucherinnen und Besuchern diskutieren und Gesprächsräume eröffnen für alle, die den Antisemitismus-Skandal und den borniert-hilflosen Umgang damit längst als das zentrale Desaster der Documenta Fifteen abgespeichert haben." Zu diesem Gespräch gehöre auch "die wichtige und bittere Erkenntnis, dass die Ausgrenzung israelischer und jüdischer Künstler aus dem weltweiten Kulturbetrieb viel weiter fortgeschritten ist, als bisher gedacht und - manchmal lautstark, manchmal diskret - effektiv betrieben wird."

Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hat den Umgang der Documenta-Leitung mit Vorwürfen als "verheerend" kritisiert und Konsequenzen gefordert. "Dass die Unterstützungsangebote des Landes Hessen und des Bundes zur Veränderung der Strukturen insbesondere im Hinblick auf die internationalen Auswirkungen ausgeschlagen wurden, ist völlig unverständlich", sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Auch die mangelhafte Kooperation mit dem Direktor der Bildungsstätte Anne Frank (Frankfurt am Main), Meron Mendel, zeige, dass "die Documenta-Leitung letztlich nicht an einem ernsthaften Dialog interessiert ist", sagte Klein. "Es zeugt zudem von mangelndem Respekt gegenüber dem Deutschen Bundestag, dass keine der verantwortlichen Personen vor dem Kulturausschuss erschienen ist und sich den berechtigten Fragen der Parlamentarier gestellt hat." Er habe "Verständnis dafür, dass sich inzwischen Kulturschaffende und -interessierte von der Documenta abwenden". Klein hofft, "dass dies nun endlich dazu führen wird, den Skandal adäquat aufzuarbeiten und die notwendigen Konsequenzen zu ziehen".

Auch das Documenta-Forum ruft die Verantwortlichen in Kassel sowie beim Bund und Land Hessen zu einer Fehleranalyse und zum Dialog auf. Für die antisemitischen Elemente sei die Weltkunstschau zu Recht kritisiert worden. "Der Schaden, welcher der Documenta damit zugefügt wurde, ist erheblich", erklärte das Forum am Montag in Kassel. "Leider haben eine Reihe Kasseler, Wiesbadener und Berliner Debatten der letzten Tage eher verstört, statt Klarheit zu schaffen. Statt eines orientierenden Dialogs der wichtigen Institutionen und der demokratischen Parteien war er eher von punktuellen Selbstdarstellungen und Betonierungen der jeweils individuellen Position geprägt."

Das Documenta-Forum ist eine Art Freundeskreis, der die Weltkunstschau unterstützt, aber auch eigene Projekte umsetzt. Man bedauere, dass die Bitte des Kuratoren-Kollektivs Ruangrupa um Entschuldigung "und ihre nachdenkliche, ernsthafte und reflektierende Haltung, eventuell inkriminierte Exponate zurückzunehmen, nahezu wirkungslos" geblieben sei. Mehr als 1500 Künstler seien Gäste Kassels. "Sie haben es nicht verdient, unter Generalverdacht gestellt zu werden", erklärte das Forum. "Sie zeigen uns eine andere Sicht auf die Kunst der Welt, das sollten wir wertschätzen und sie hier nach wie vor willkommen heißen."

Im Kern gehe es bei der Auseinandersetzung um die Freiheit der Kunst, die wie jede Freiheit ihre Grenzen habe und ohne Verantwortung nicht zu haben sei. Man respektiere die selbstkritische Sicht der Documenta-Verantwortlichen. "Ihre aufreibende Arbeit darf – gerade auch unter Corona-Bedingungen – nicht in Bausch und Bogen verurteilt werden", hieß es. "Statt jetzt vordringlich nach personellen Konsequenzen zu rufen, sollte eine Fehleranalyse erstellt werden." Angesichts der weit über Deutschland hinausreichenden Bedeutung der Ausstellung wäre zudem "dringend zu wünschen, dass die Verantwortlichen in Kassel, Wiesbaden und Berlin mehr miteinander als übereinander sprächen".