Ella Littwitz in Berlin

Seife, Schlamm und heiliges Wasser

Die israelische Künstlerin Ella Littwitz stellt die Vorstellung von Grenzen als unverrückbare Linien in Frage. In ihrer Ausstellung in der Galerie Alexander Levy sucht sie nach Bildern für Trennung, aber auch nach Verbindendem

Das Auge erkennt keine Unterschiede. Der getrocknete Schlamm sieht hier wie dort gleich aus. Er bedeckt die zwei langen Textilbahnen und bildet stellenweise rissige Formationen, die an ein ausgedorrtes Flussbett erinnern. Die Stoffe haben heiliges Wasser berührt – beziehungsweise, einer der beiden hat heiligeres Wasser berührt als der andere, wobei nicht klar ist, welcher nun erhabener ist… Es ist kompliziert.

Die Künstlerin Ella Littwitz tauchte die Geotextilien, die normalerweise zum Zweck der Bodenstabilisierung und zum Erosionsschutz verwendet werden, an zwei gegenüberliegenden Ufern in den Fluss Jordan. Eine Stoffbahn wurde in Qasr El Yahud durchs Wasser gezogen, die Zweite am gegenüberliegenden, Bethanien genannten Ufer. Die beiden, nur wenige Meter voneinander entfernten, Orte markieren eine sowohl in geografischer als auch in politischer und religiöser Hinsicht besondere Stelle: Hier, wo der Fluss einen Grenzabschnitt zwischen Israel (Qasr El Yahud befindet sich in palästinensischem Autonomiegebiet, ist jedoch nur von israelischem Gebiet aus zugänglich) und Jordanien markiert, überquerte das Volk Israel den Fluss auf dem Weg ins Gelobte Land. Hier wurde der Überlieferung nach außerdem Jesus getauft.

An diesem aufgeladenen Ort unterzog die Künstlerin die beiden Stoffe einer symbolischen Taufe. Da es jedoch umstritten ist, an welcher Uferseite Jesus die Weihe empfing, ist es eben nicht sicher, welches der beiden Tücher in heiligerem Wasser schwamm. Ist eine der beiden Stoffbahnen also authentischer als die andere?  

Es gibt immer eine Schnittmenge, einen gemeinsamen Kern

Die Arbeit "High Degree of Certainty" (2020) ist in der Galerie Alexander Levy direkt dem Eingang gegenüber installiert und bildet eine starke Einführung in die Praxis der Künstlerin Ella Littwitz (geboren 1982 in Haifa, Israel). Sie untersucht die historischen, (geo-)politischen und nationalen Verknüpfungen von Territorien sowie die (Re-)Konstruktion nationaler Identitäten und stellt die Vorstellung von Grenzen als unverrückbare, trennende Linien in Frage. Oder wie Noam Gal es in seinem die Ausstellung begleitenden Text wunderbar formuliert: "Es fängt damit an, dass Du einfach kein Wort von dem glaubst, was uns über die Grenze zwischen einem Land und einem anderen (…) erzählt wird."

Dieser Unglaube und die Infragestellung der Unabänderlichkeit von Grenzen findet sich in jeder einzelnen Arbeit der Ausstellung "Pillar of Salt". Und obwohl Littwitz sich hier konkret auf die Grenze zwischen Jordanien und ihrem Heimatland Israel bezieht, könnte man sagen, dass sämtliche Grenzen zwischen Ländern, Nationen und Religionen in den Werken präsent sind.

So ist beispielsweise die mittig im Ausstellungsraum gezeigte Arbeit "The curse and the blessing or region bounded by two functions" (2021) einerseits sehr ortsspezifisch, andererseits auf viele Regionen und Nationen übertragbar. Für diese Arbeit verwendete sie Seife aus Nablus (Westjordanland, Palästina) und Schlamm aus Qasr El Yahud. Die Seifenstücke und Schlammbriketts wurden zu zwei sich gegenüberstehenden Formationen aufgestapelt. In der Mitte überschneiden sie sich und bilden einen gemeinsamen, abgeschlossenen Raum. Das Unterschiedliche ist so unterschiedlich nicht, scheint die Arbeit zu sagen, es gibt immer eine Schnittmenge, einen gemeinsamen Kern.

Objekte kurz vor dem Kollaps

Zumeist verweisen die im Galerieraum installierten Objekte auf die Orte, denen sie entnommen wurden und stellen gleichzeitig ihre vormalige Funktion in Frage: "This Line" (2020) zeigt einen Teil der Bojenkette, die entlang des Flusses Jordan die Grenze zwischen Jordanien und Israel markiert. Da hier zwei tektonische Platten verlaufen, befindet sich der Fluss in fortlaufender Veränderung, eine Tatsache, auf die der daneben hängende Auszug des israelisch-jordanischen Friedensvertrags reagiert. Der Vertrag wurde 1994 geschlossen und hält fest, dass der Status des Grenzgebietes, das 1967 unter die Kontrolle des israelischen Militärs kam, in jedem Fall unverändert bleibt. Die Grenze muss gegebenenfalls dem gewandelten Flussverlauf angepasst werden. Die Künstlichkeit einer zwischen zwei Ländern gezogenen, sie trennenden Linie wird durch die an dieser Stelle auftretenden geografischen Besonderheiten hervorgehoben: Die Idee einer durch den Menschen definierten Grenze steht der unkontrollierbaren Natur entgegen. Doch auch die Tatsache, dass ein Teil der Bojenkette entwendet und im Galerieraum installiert wurde, stellt das Konzept der unveränderlichen Grenze infrage.

Littwitz‘ Arbeiten dehnen sich in Raum und Zeit aus. Sie existieren in einem weitverzweigten Netz aus konkreten historischen und geografischen Bezügen und gehen gleichzeitig über diese Verweise hinaus, lassen sich auf anderen Zeiten und Orte anwenden. Die Geschichte der von der Galerie nicht weit entfernten Berliner Mauer kommt in den Sinn, die mexikanisch-amerikanische Grenze, die immer undurchdringlicher werdenden EU-Außengrenzen, Nordirland, Nord- und Südkorea und natürlich der dieser Tage wieder hochaktuelle Israel-Palästina-Konflikt.

Die verrosteten, von Geschossen zerfressenden Fässer der Arbeit "If everything that exists has a place, place too will have a place" (2020) kommen wie ein Symbol für die Konflikte in diesen Gebieten daher: Die Fässer, die die Künstlerin von einem Schießübungsplatz entwendete, wo sie als Grenzmarkierungen dienten, scheinen kurz vor dem Kollaps zu stehen. Sie verweisen nicht nur auf den Ort, an dem sie nun fehlen und auf ihre Funktion, die sie nicht länger innehaben. Sie werden auch zum Bild der Zerstörung, die in Kauf genommen wird um die Idee einer Grenze, einer Nation, einer Religion – einer bestimmten Erzählung - durchzusetzen.