Trigger-Warnungen und Kontextualisierung

Weichspüler für die Kunst

Trigger-Warung in der Berliner Galerie KOW
Foto: Raimar Stange

Trigger-Warung in der Berliner Galerie KOW

Trigger-Warnungen und Kontextualisierungen sind heute im Kunstbetrieb an der Tagesordnung. Aber sind sie hilfreich oder entmündigen sie das Publikum?

Vor Kurzem sah ich in der Berliner Galerie KOW den Film "Proof of the Unthinkable" (2022) von Mario Pfeifer. Der mutmaßlich rassistische Mord an dem Schwarzen Oury Jalloh, der 2005 in einer ostdeutschen Gefängniszelle verbrannt ist, wird dort mit unter die Haut gehenden Bildern minutiös aufgerollt. Bis heute nämlich sind die Umstände dieses Todes ungeklärt. Bevor ich nun den verdunkelten Galerieraum betreten konnte, sollte ich eine "Trigger-Warnung" lesen, die darauf hinwies, dass dieser beeindruckende Film "traumatisierend" für mich sein könne. 

Auch in der Galerieszene ist jetzt also mehr und mehr Usus, was in vielen Museen und anderen Ausstellungshäusern längst alltägliche Praxis ist: Die vermeintlich ach so sensiblen Besucher werden vor allzu großen emotionalen Erschütterungen gewarnt – aber ist nicht gerade eine solche "Erschütterung", die bewusst bis an die Grenzen des Ertragbaren gehen soll, von jeher eine feste Größe in der Rezeption von Kunst, die anderes ist, als nur ein formales oder konzeptuelles Spiel?

Können wir uns zum Beispiel vorstellen, vielleicht wird uns bald nichts anderes mehr übrig bleiben, Goyas durchaus immer noch aufwühlenden und gerade jetzt aktuellen 82 Radierungen "Die Schrecken des Krieges" (1810 – 1814), erst nach einer Trigger-Warnung betrachten zu können? Oder muss etwa Richard Wagners "Tristan-Akkord" (1865) ein wegweisender Vorläufer der Atonalität, künftig im Programmheft zur Aufführung alarmierend angekündigt werden, damit das so gerne auf Harmonie geeichte Ohr nicht in Mitleidenschaft gezogen wird? Und gar der Schocker: das längst legendäre aufgeschnittene Auge in dem Filmklassiker "Der andalusische Hund" (1929) von Luis Buñuel und Salvadore Dalí ...

Homöopathische Kunst

Eine homöopathische Kunstauffassung, die im vorwarnenden Schongang die Wirkung von Kunst verdünnt, liegt offensichtlich dem soften Masterplan der Trigger-Warnungen zu Grunde. Und eben diese Auffassung motiviert wohl auch die aktuellen Forderungen nach dem Kontextualisieren von Kunst, die jüngst zum Beispiel bei der Documenta 15 und der 12. Berlin Biennale des öfteren gestellt wurden. Ganz so als ob man den Besuchern nicht (mehr) zutraut, selber denken und sich selber informieren zu können, soll ihr Auffassungsvermögen jetzt durch informative Didaktik vorformatiert werden, damit politisch brisante, vielleicht gar fragwürdige Kunstwerke auf jeden Fall im politisch ordnungsgemäßen Sinne verstanden werden.

Vergessen scheint da außerdem, dass Kunst, im Gegensatz zur bloßen Information, vor allem auch dadurch charakterisiert ist, dass sie eben nicht in einer eindeutigen Direktheit gestaltet ist und daher auch nicht in einer einzig "richtigen" Weise zu interpretieren ist. Dass diese "offenen" (Umberto Eco) Se(h)mantiken dann eigentlich nur bei politischer Kunst moniert werden, ist auffallend – und erschreckend: Selberdenker oder gar Abweichler scheinen derzeit nicht erwünscht zu sein.