"From Dawn Till Dusk" in Bonn

Der Mensch ist dem Menschen ein Schatten

Das Bonner Kunstmuseum fächert in der Ausstellung "From Dawn Till Dusk" das Motiv des Schattens in der zeitgenössischen Kunst auf. Und findet neben dem Licht auch die dunklen Flecken der Gegenwart

Spätestens seit der Renaissance ist der Schatten, der je nach Lichtverhältnissen ein Eigenleben zu führen scheint, aus der Kunst nicht wegzudenken. Nicht zuletzt, weil in dieser Aufbruchszeit das Studium von Hell und Dunkel zum festen Bestandteil in der Malerei-Ausbildung wurde. 

Ein Schatten, der sich nicht loswerden lässt, kann als mysteriöser Begleiter gesehen werden; oder als zweites Ich, angsteinflößender Gegner und Metapher für existenzielle Krisen. Im Extremfall kann er sogar für gegenaufklärerische Tendenzen stehen. Insofern ist das Thema der Ausstellung "From Dawn Till Dusk" im Kunstmuseum Bonn in einer Zeit der Verschwörungstheorien, Fake News, Wissenschaftsfeindlichkeit und autoritärer Demagogen hochaktuell.

Doch nicht alle der 40 Positionen folgen diesem politischen Deutungsstrang. Manche, wie etwa Ólafur Elíasson, begnügen sich mit einem leichtfüßigen Blick auf das physikalische Phänomen. Seine Installation "Your uncertain shadow (growing)" besteht aus Halogenlampen, die auf dem Boden an einem Ende des Saals aufgestellt sind. Sie sind auf eine leere Wand gerichtet und warten auf die Aktivierung durch das Publikum, das sich mit dem Eintritt in den Raum auf einer Schattenbühne bewegt.

Schattenboxen

Im Vergleich zu diesem eher harmlosen optischen Spielplatz schlägt die Videoinstallation der 2013 verstorbenen Iranerin Farideh Lashai düstere Töne an und liefert posthum den Kommentar der Stunde. Sie basiert auf Goyas ikonischer Druckserie "Schrecken des Krieges". Lashai entfernte die Figuren und ließ nur die Landschaftselemente übrig, um sie in einem abgedunkelten Raum mit animierten Bildern zu präsentieren, die von einem beweglichen Scheinwerfer darauf projiziert werden. Bei Beleuchtung erscheinen Goyas Figuren flüchtig auf den Drucken, dann verhüllt der Schatten wenige Sekunden später die Brutalität ihrer Taten. 

Im zentralen Raum des Museums folgt Kara Walker in einem Scherenschnitt der Geschichte der Sklaverei. Es geht um Folter, Unterdrückung und sexuellen Missbrauch. Metaphysische Ängste des Individuums gilt es dagegen bei Vito Acconci durchzustehen. Wenn sich der Videokunst-Pionier dabei filmt, wie er verzweifelt gegen den eigenen Schatten boxt, scheint sich sein Körper in einem sinnlosen Kampf in der Tradition der Sisyphus-Sage zu verausgaben. Der gelenkige Schatten gewinnt immer, mag Acconci noch so verbissen gegen seinen Konkurrenten ankämpfen. 

Christian Boltanski hängt Figuren an Fäden und lässt im Luftzug ihre Abbilder an den Wänden tanzen, während Hans Peter Feldmann für sein "Schattenspiel" einen Tisch mit allerlei Kram beleuchtet hat. Seine verträumte Laterna magica im Monumental-Format bringt er mit Drehtellern in eine schwebende Bewegung und zitiert damit ganz nebenbei Platons Höhlengleichnis.

Der Schatten als Ursprung der Malerei

William Kentridge übernimmt ebenfalls die Rolle des Schatten-Dirigenten. Er lässt zum Akkordeonspiel eines Johannesburger Straßenmusikers einen Zug von Figuren aus schwarzem Tonpapier vorüberziehen und kommentiert damit nie endende Phänomene wie Flucht und Vertreibung. 

Marlene Dumas lässt sich von Plinius dem Älteren inspirieren, der in seiner "Naturalis Historia" die Legende aufgriff, dass die Malerei ihren Ursprung in der Nachzeichnung des Schattens eines Menschen hat. Ihre Serie "The Origin of Painting" nimmt Bezug auf die Anekdote über das korinthische Mädchen, das die Silhouette ihres Geliebten auf der Wand bannte, um Dualitäten wie Leben und Tod, Unschuld und Erfahrung oder das öffentliche und private Selbst zu beleuchten. 

Der Fotograf Lee Friedländer gibt sich schließlich im "Selbstporträt" in seinen Konturen zu erkennen - oder besser als Beschattender, dessen dunkle Umrisse auf dem Rücken einer Frau im pelzbesetzten Mantel zu erkennen sind. Die Fülle der Perspektiven entwickelt eine eigene Überzeugungskraft. 

Am Ende des Rundgangs ist der Schatten weder ein Werkzeug der Vertuschung noch ein Wahrnehmungs-Katalysator. Ein wenig Angstlust gehört dazu, seine Schwelle anzusteuern, schließlich gilt die Schattenwelt auch als Reich der Toten. Man tritt zurück ins sommerliche Licht. Vielleicht ohne neue Erkenntnisse - auf jeden Fall aber satt gesehen an allen Stufen einer drohenden Menschheitsdämmerung.