Berliner Futurium

Die Zukunft, die sie meinen

Die neue Regierung aus SPD, Grünen und FDP nennt sich "Zukunftskoalition" und hat ihren Koalitionsvertrag sicher nicht zufällig im Berliner Museum Futurium unterschrieben. Was kann man daraus ableiten?

"Es ist viel passiert, bis heute, bis jetzt. Und nun? Wie machen wir weiter? Wie soll die Zukunft sein, in der wir leben wollen?", fragt das Futurium in Berlin direkt zu Beginn seiner Ausstellung. Eine Frage, die sich wohl auch Olaf Scholz (SPD), Christian Lindner (FDP), Annalena Baerbock und Robert Habeck (Die Grünen) sowie deren Parteien in den letzten Wochen der intensiven Koalitionsverhandlungen immer wieder gestellt haben. Bis ihre Antworten im Vertrag ausformuliert wurden und nun - wie man immer wieder hört - mit Beginn der neuen Legislaturperiode einen Beitrag zum Fortschritt leisten sollen.

Es gibt kaum Begriffe, die in der politischen Kommunikation so inflationär benutzt werden wie die verschiedenen Spielarten der Zukunft. "Regieren auf Augenhöhe mit der Zukunft" hieß es dieses Jahr beispielsweise im Wahlprogramm der Grünen, die FDP proklamierte in ihrem einen Aufbruch mit "Wie es ist, darf es nicht bleiben" und die SPD hat das ihrige neu tituliert. "Zukunftsprogramm“ nannte es sich in dieser Wahlperiode, "Aus Respekt vor deiner Zukunft." Eine mögliche Quintessenz findet sich nun im Koalitionsvertrag: "Mehr Fortschritt wagen." Aber bedeuten diese Floskeln, denen man schwer widersprechen kann, nicht für jede Partei etwas anderes?

Am Dienstag haben die neuen rot-gelb-grünen Koalitionspartner nun in den Räumlichkeiten des Futuriums ihren Koalitionsvertrag medienwirksam und in demonstrativer Eintracht unterschrieben. Dieser Ort mag auch praktische Gründe gehabt haben, liegt er doch nur einen Steinwurf vom Bundestag entfernt neben dem Berliner Hauptbahnhof. Doch das allein dürfte die Wahl der Örtlichkeit nicht erklären. Ein Museum, das sich dem Zukunftsthema verschrieben hat, passt zum Anti-Stillstand-Image, das sich die neue Regierung nach 16 Jahren Kanzlerinnenschaft von Angela Merkel gern verpassen möchte.

"Die Zukunft" gibt es nicht

Das Museum liefert schon jetzt mögliche Antworten auf seine Eingangsfrage, wie wir leben wollen. Es legt sich dabei auf keine konkrete Vision fest, sondern betont den Zukunftspluralismus. Darin zeigt sich einer der fundamentalen Unterschiede zwischen realer Politik und der Möglichkeit zur Spekulation, die so ein Haus bietet. Hier heißt es Zukünfte statt Zukunft. Wie die Wirklichkeit aussehen wird, hängt letztendlich von uns als Gesellschaft und den Entscheidungen ab, die wir treffen. Die auch die Regierung treffen muss. Der "Fortschritt" ist dort also keineswegs so eindeutig definiert, wie es Parteien oft vermitteln wollen. Deshalb ist man im Futurium auch nicht nur Betrachter oder Betrachterin, sondern wird aktiv zum Mitmachen und -denken eingeladen.

Unter anderem werden in der Ausstellung immer wieder drei Optionen für die eigene Zukunftsgestaltung in verschiedenen Bereichen genannt. Mit einem Armband, das man zu Beginn erhält, kann man sich individuell für eine der Möglichkeiten entscheiden. Auf einem in dem Accessoire enthaltenen Chip werden die Entscheidungen gespeichert und können am Ende ausgewertet werden. Dabei wird aufgezeigt, ob der eigene Fokus im Zukunftsdenken eher auf Mensch, Umwelt oder Technik liegt. Was in der Politik oft zu kurz kommt: Die Zukunft verändert sich je nach den Schwerpunkten, die man setzt.

Ein fiktionales Bild einer "Stadt der Zukunft" erläutert die Bedeutung von öffentlichem Personennahverkehr. Auch die Ampelkoalition erkennt diese an und hat sich unter anderem den Ausbau von Fern- und Regionalverkehr zum Ziel gesetzt. Das ist auch ein wichtiger Schritt, wenn es um den Klimaschutz geht, für den ebenfalls hohe Erwartungen formuliert wurden: Idealerweise soll bis 2030 der Kohleausstieg abgeschlossen sein (zuvor war als Frist 2038 angedacht), Strom soll bis dahin zu 80 Prozent aus erneuerbaren Energien gewonnen werden.

Das "Heute" vor lauter "Morgen" nicht vergessen

Utopische Vorstellungen? Das Futurium sagt Nein und zeigt, wie es gehen könnte. Die Ausstellung fühlt sich an wie ein Ort der Konstruktivität und Selbstreflexion, an dem eins aufs andere aufbaut. Die Vergangenheit von Technik und Umwelt wird als etwas begriffen, was die Gegenwart erzeugt hat, dann wird diese Gegenwart betrachtet und von ihr ausgehend überlegt, was Ansatzpunkte für Verbesserungen sein können. Vielleicht kann sich eine Regierung an diesem Vorgehen orientieren und versuchen, mit Bedacht an die Zukunftsformung zu gehen und vor lauter "Morgen" das "Heute" nicht zu vergessen.

Wobei natürlich in der politischen Realität nicht alles so geordnet und instagrammable aussieht wie in der Ausstellung, die sich über insgesamt 3000 Qudratmeter erstreckt und mit einem freundlichen Roboter beginnt. Hier stehen offenbar alle der Energiewende, klimafreundlichen Technologien und digitalen Neuerungen offen und positiv gegenüber. Auch das ist außerhalb des Museums anders. Die neue Regierung wird viel Überzeugungsarbeit bei denen leisten müssen, die Veränderung eher als bedrohlich empfinden. 

Der Eintritt in die von mehreren Wirtschaftsunternehmen und Stiftungen sowie der Bundesregierung getragenen Institution ist frei. Die Forderung nach generellem Gratis-Zugang zu Kultureinrichtiungen gibt es schon lange - vielleicht ist der Ort der Koalitionsbesiegelung also ein Anlass, sich dieses Thema noch einmal vorzunehmen. Als Vorbild für klimafreundliches Bauen taugt das Futurium aber nur bedingt. Zwar gibt es Photovoltaik-Anlagen auf dem Dach und ein Biogas-Blockheizwerk, diese decken laut "AD"-Magazin jedoch nicht mal ein Drittel des Energiebedarfes ab. Außerdem besteht der Kern des dunkel verglasten Hauses aus Beton - ein äußerst klimaschädliches Material.