"Germany’s Next Topmodel"

Vielfalt verkauft sich

Models beim Photocall von "Germany’s Next Top Model" beim Berlin E-Prix der ABB FIA Formula E auf dem Flughafen Berlin Tempelhof
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Diversity United? Models beim Photocall von "Germany’s Next Top Model" beim Berlin E-Prix der ABB FIA Formula E auf dem Flughafen Berlin Tempelhof

Am Donnerstag fand das Finale der 17. Staffel von "Germany’s Next Topmodel" statt. Die Castingshow bemüht sich um einen Image-Wandel. Das Motto lautet: Diversity. Doch offenbart sich die behauptete Vielfalt als Verhärtung des Identitätsdenkens

"Germany's Next Topmodel" (GNTM) war einmal vor allem dafür bekannt, "kleine Mädchen zum Weinen zu bringen" (Roger Willemsen) und durch ein konfektioniertes Schönheitsideal in die Essstörung zu treiben. Doch die Sendung ist um einen Imagewandel bemüht: Nicht nur verkündet Klum nun manchmal, Lust auf Burger oder Tsatsiki zu haben, sie hat überdies ein progressiv anmutendes Motto für ihre diesjährige Show gefunden: Diversity. Mitmachen dürfen nun nicht nur Frauen jeder Ethnie und Herkunft, sondern auch (fast) jeden Alters und Körpertyps. So treten dieses Jahr unter anderem zwei Damen über 60, eine Frau unter 1,60 Meter und eine stark tätowierte Teilnehmerin an. 

Das Konzept "Diversity" hat seinen Ursprung in der schwarzen Bürgerrechts- sowie in der Frauen- und Schwulenbewegung.  Mit dem Begriff verbindet sich die Forderung nach einer gesellschaftlichen Teilhabe von bisher Ausgeschlossenen. Vereinheitlichung soll zugunsten der tatsächlich bestehenden Vielfalt unter anderen in kultureller, ethnischer, geschlechtlicher und körperlicher Hinsicht aufgebrochen werden.

Die Diversity-Forderung erinnert insofern auf den ersten Blick an Adornos Kritik am "Identitätsdenken": Das in der westlichen Moderne vorherrschende Identitätsdenken verdeckt, so Adorno, durch Kategorisierungen gewaltvoll die Mannigfaltigkeit der Wirklichkeit. Stereotype strukturieren die Realität und erzeugen zugleich Herrschaft und Hierarchien. Was nicht ins Schema passt, wird unsichtbar. Auf die Modewelt bezogen bedeutet der Ruf nach Diversität eine Infragestellung der Norm des weißen, hochgewachsenen Size-Zero-Models. Denn die Folgen dieses Ideals, so die seit Jahren vorgetragene Kritik, reichen von Minderwertigkeitsgefühlen und Essstörungen bis zu Schäden durch Schönheitsoperationen und Aufhellungsprodukte.

Zwischen Aufbruch und Verhärtung

Doch so vielversprechend Diversity als Gegenmittel zur toxischen Norm auch klingt, bei GNTM zeigen sich deutlich die Nebenwirkungen: Das jeweilige Identitätsmerkmal (Alter, Körperform, Herkunft etc.) wird in der Sendung nämlich dauerthematisiert und die Teilnehmerinnen darauf reduziert. Die Kandidatinnen selbst sortieren sich gleich zu Beginn der Staffel entlang der Identitätskategorien in Freundschafts- und Wohngruppen, die Kunden wiederum belohnen eine "authentische" Darbietung der (Identitäts-)"story". Diversity führt hier nicht zum Einbruch des Unerwarteten und der Erschütterung der Ordnung durch die Einbeziehung des Ausgeschlossenen, sondern zu neuen Uniformierungen.

Es drängt sich der Eindruck auf, dass Diversität à la GNTM letztlich eine Verschärfung des Identitätsdenkens bedeutet: Zwar gibt es nun eine (begrenzte) Vervielfältigung der Kategorien, diese aber werden umso vollständiger mit ihren Objekten identifiziert und verstärken die Illusion einer adäquaten Repräsentation der Wirklichkeit. Klum kann nun behaupten: "Für mich gibt es keine Grenzen, für mich zählt nur, wer du bist." Tatsächlich zählen aber nur die schnell identifizierbaren Merkmale, die Person mit ihrer komplexen Geschichte, Uneindeutigen und zukünftigen Möglichkeiten ist nach wie vor völlig irrelevant. Während die alte, enggefasste Modelnorm offensichtlich "unrealistisch" (nichts anderes besagt "Ideal") war, täuscht das Diversity-Motto vor, reale Vielfalt restlos wiederzugeben.

Adorno sah zudem eine Wesensverwandtschaft von Identitätsdenken und Warenfetisch. Das Identitätsdenken hat "am Tausch (…) sein gesellschaftliches Modell, und er wäre nicht ohne es; durch ihn werden nichtidentische Einzelwesen und Leistungen kommensurabel, identisch." Wie das Identitätsdenken setzt auch der Warentausch die Dinge mit einer abstrakten Kategorie (Tauschwert beziehungsweise Preis) gleich und verdeckt ihre individuelle Beschaffenheit. Tatsächlich, so Adorno, ist die gesamte Erfahrungs- und Wahrnehmungsweise der Menschen im Kapitalismus hierdurch deformiert: Statt Freude an Dingen, Menschen und Tätigkeiten um ihrer selbst willen zu haben, drängt sich stets die Frage in den Vordergrund: Wofür ist das gut und wogegen lässt es sich tauschen?

Verquickung von Identitätsmerkmal und Tauschwert

Die Verquickung von Identitätsmerkmal und Tauschwert lässt sich wiederum bei GNTM in Reinform beobachten. Das jeweilige Merkmal wird mit einem markttauglichen Euphemismus versehen – best ager (alt), petit (klein), oder curvy (dick) – und zum Unique Selling Point erklärt. "Diversity" wird wiederum zum schlagenden Verkaufsargument für die Sendung selbst.

Hinzukommt: Die Affinität zwischen Diversity und Kapitalismus wird, wie der Literaturwissenschaftler Walter Benn Michaels feststellt, durch einen weiteren Aspekt verstärkt, nämlich die Suggestion eines absolut fairen Marktes: Wo alle Diskriminierungen abgeschafft sind, bleibt scheinbar nur noch die die untrügliche Gerechtigkeit des Wettbewerbs. Auch bei GNTM gilt weiterhin: "Nur eine kann es werden" und jede Runde werden Teilnehmerinnen aussortiert. Doch dank Diversity scheint es, als könne nun jede durch hinreichende Anstrengung in den Modelolymp gelangen.

Der Hinweis, dass die Sendung Diversity in einer verzerrten und extrem kommerzialisierten Form praktiziert, ist ebenso naheliegend wie richtig. Doch zeigen sich hier auch problematische Tendenzen der gesellschaftlich verbreiteten und als progressiv geltenden Form der Diversität: Auch diese insistiert auf der Betonung der Diskriminierungskategorien, die zunehmend als Tauschmittel zum Erreichen bestimmter Ziele eingesetzt werden. Vielfalt lässt sich nicht durch die Ersetzung einer einzigen durch zehn, 20 oder 100 Kategorien erreichen (auch nicht durch deren „intersektionale“ Kombination). Vielversprechender wäre es, das Bewusstsein für den Spalt zwischen medialen Repräsentationen und der Wirklichkeit offenzuhalten.