Glenn Martens' Premiere in Paris

Das neue Margiela hat die Erwartungen übertroffen

Der Designer Glenn Martens hat in Paris seine erste Haute-Couture-Kollektion für Maison Margiela präsentiert. Dabei zeigte er Demut vor der Tradition, aber auch Lust auf modische Abenteuer. Ein voller Erfolg

Eines der vielen Debüts neuer Kreativdirektoren fand zur aktuellen Haute-Couture-Woche in Paris statt. Der Belgier Glenn Martens, geboren 1983, zeigte seine erste Kollektion für Maison Margiela. Gegründet von seinem Landsmann Martin Margiela in den späten 1980er-Jahren, faszinierten und irritierten die Shows des avantgardistischen Hauses von Anfang an. Die erste Modenschau galt als ein bewusster Bruch mit den Konventionen der Modewelt ihrer Zeit. Statt Glamour und Prestige stellte die Marke den kreativen Prozess des Gestaltens in den Vordergrund. 

Margiela stellte damals einige wichtige Motive vor, die während der gesamten Geschichte des Hauses beibehalten wurden. Zu den markantesten zählen schmale, aber spitz zulaufende Schultern, Kleider, die so konzipiert sind, dass sie bequem falsch herumgetragen werden können, sowie mehrlagige Ensembles - alle versehen mit charakteristischen Details wie sichtbaren Nähten und offenen Säumen. 

Martin Margiela schlug eine neue Form der Kommunikation durch Mode vor. Er entschied sich bewusst für Anonymität, arbeitete überwiegend mit auf der Straße gecasteten Models. Einige davon schickte er mit vollständig verdecktem Gesicht über den Laufsteg. Margiela gilt heute als Pionier und Visionär, ohne den die Modewelt eine andere wäre.

Bereit für den nächsten großen Schritt

2009 verließ der Gründer sein Haus stillschweigend. Fünf Jahre später übernahm der britische Designer John Galliano - nachdem er wenige Jahre zuvor wegen antisemitischer Äußerungen in der Modewelt in Ungnade gefallen war. Eine Überraschung, und dann auch wieder nicht. 

Die zentralen Narrative wie Dekonstruktion und Anonymität behielt er bei, baute jedoch eine gewisse Theatralik ein. Diese stach besonders in seiner letzten, gefeierten Artisanal-Show im Januar 2024 heraus, die einem viktorianischen Delirium glich. Anfang diesen Jahres wurde dann bekannt gegeben, dass Glenn Martens die wichtige Position des Kreativdirektors bei Maison Margiela übernehmen würde.

Gelernt hat dieser unter Walter Van Beirendonck, einem Sechstel der berühmten Designergruppe "Antwerp Six". Später war er Assistent bei Jean Paul Gaultier in Paris und seit 2020 stilprägend als kreativer Kopf bei Diesel. Martens war also bereit für den großen Schritt in ein Couture-Haus. Bekannt für das Spiel mit Geschlechtern und asymmetrischen Silhouetten, verbindet er High Fashion mit Streetwear und transformierte Y/Project und auch Diesel zu relevanten, wenn nicht gar gehypten Marken. 

Ähnlich wie sein belgischer Vorgänger liebt er konzeptuelle Ansätze, provoziert gern, hat Ideen, die viele überzeugen. Aber konnte er das auch mit seiner ersten Maison-Margiela-Schau zeigen? Einem Defilee, das auch noch direkt auf die heute schon legendäre letzte Galliano-Show folgte?

Pappmaché und Masken 

Martens zeigte Demut und Respekt vor denen, die vor ihm da waren und präsentierte zeitgleich eine Kollektion, die uns laut der berühmten Modestylistin und Ex-Chefredakteurin der französischen "Vogue" Carine Roitfeld "die Lust auf Mode zurückgegeben hat." Also offenbar alles richtig gemacht. 

Die Location glich der Veranstaltungsstätte von Martin Margielas letzter Modenschau 2008. An den Wänden Pappmaché aus Altpapier - laut Martens verbanden sich die verfallenden Oberflächen der kostbaren Tapeten mit den bemalten und Patchwork-artigen Techniken, die Margiela in seiner ersten Kollektion verwendet hatte. 

Auch ein Drittel seiner 49 Looks hatte Martens upgecycelt: aus Papier, Fotokopien, Handbemaltem, Modeschmuck und Zinnplatten. Die ersten Looks bestanden aus klarer Plastikfolie, die zum Couture-Kleid geformt wurde. Wie geblasenes Glas solle das aussehen, so Martens, doch erinnerten die Ensembles auch an Martin Margielas "Dry Cleaning"-Kollektion. Spitze Schultern, gerade Silhouetten – und Masken. Jeder einzelne Look kam mit einer Gesichtsbedeckung - Schleier, Kopfskulpturen, Visiere. 

Neues altes Erfolgsrezept

Für ihn sei es typisch belgisch, Schönheit in etwas Hässlichem zu finden, erklärte der Designer vor seinem Debüt. "Aber wir werden eine andere Form von Opulenz und Reichtum finden - und hoffentlich wird sich jemand mit ein wenig mehr Frechheit darauf einlassen", erklärte Martens der "Vogue" seinen Ansatz. Es gehe nicht um in tausenden Stunden handbestickte Kleider. Wichtig sei, den Geist des Hauses beizubehalten. "Der Grund für den Erfolg einer Luxusmarke liegt in ihren Gründungswerten und Codes - und genau die muss man als neuer Kreativdirektor respektieren. Das wirklich Schöne ist dann, sie sich zu eigen zu machen und auf neue Weise in die Welt zu tragen", so Martens. Die Ausführung dieses Konzepts: spektakulär.

Kleider, die sich wie ein Tornado aus glänzend-metallischem Stoff um die Models formten, ihre Körper umschlangen; der Mensch als Auge des Mode-Orkans. Dazu aus bemalten Lederresten zusammengesetzte bodenlange Mantelkleider, mit Federn besetzt, und bedruckte Blazer und Röcke. Martens schnürte die Taillen einiger Models in superschmale Korsagen-Konstruktionen, die man mit zwei Händen umfassen könnte und die über verhüllenden, fließenden Designs saßen. 

Spitze und Transparenz übersetzte Martens in edgy Ganzkörper-Abendroben, kombinierte komplett mit Edelsteinen besetzte Anzugjacken zur simplen schwarzen Hose, wusste Rüschen einzusetzen, ohne die abstrakte, disruptive Couture zu verniedlichen. 

Die Erwartungen übertroffen

Plakative Blumenprints versteckte er unter Plastikfolie, knüpfte Netzkleider aus tausenden Perlen-Freundschaftsbändern. Glenn Martens weiß, mit Material-Vielfalt und -Bearbeitung zu protzen, Silhouetten klar und trotzdem entrückt zu gestalten, zu entführen und trotzdem auf dem Boden zu bleiben. Mit einer belgischen Kunstfertigkeit, die ihn ganz nah an seinen Vorgänger heranrückt. 

"Eine der schönsten Empfindungen überhaupt ist es, auf etwas zu warten - und nicht enttäuscht zu werden", schrieb der Instagram-Account @1granary nach dem Finale. Und recht haben sie. Denn weniger enttäuscht war man lange nicht nach einer Modenschau.