Filmporträt des Malers Heinrich Vogeler

Von der Utopie zum Gulag

In Worpswede tauchte der Maler Heinrich Vogeler um 1900 in eine ganzheitliche Jugendstilwelt ab. Wie es ihn aus diesem idealisierten Kunst-Disneyland in die Sowjetunion verschlug, zeichnet jetzt ein konfus mit der Jetztzeit flirtendes Doku-Drama nach

Er war die ultimative Verkörperung eines spätromantischen Schwärmers. Gleichgesinnte, die nach der Natur malten, um das einfache Leben zu finden, fand er in Worpswede - wobei "einfach" für ihn hieß, das dank einer Erbschaft erworbene Bauernhaus in ein märchenhaftes Gesamtkunstwerk aus selbst entworfenen Tapeten und Möbeln, Bestecken und Gläsern, perfekten Blumenbeeten und farblich abgestimmter Kleidung für die Bewohner zu verwandeln. Dass sich nicht alle diesen Luxus leisten konnten, fiel dem betuchten Kaufmannssohn erst allmählich auf, sein dekorativer Stil, den das Bürgertum liebte, widerte ihn irgendwann an und noch vor dem Ersten Weltkrieg schenkte er das "Schmuckstück" den Arbeitern und Bauern.

Dass sich Heinrich Vogeler, wie so viele andere damals urplötzlich vom Weltekel befallene Künstler, freiwillig zum Dienst an der Waffe meldete, endete nicht mit der Zerstörung der verhassten alten Verhältnisse, sondern einem von ihm fotografisch und zeichnerisch festgehaltenem Zerfall aller Hoffnungen auf einen "Neuen Menschen". Der einst so auf ultimative Veredelung bedachte Vogeler landete in der Psychiatrie, rappelte sich nur mühsam auf und mutierte zum linken Aktivisten.

Die neue Utopie hieß jetzt: Eine gerechte Gesellschaft jenseits der eigenen Selbstdarstellung aufbauen. Der KPD war das nicht linientreu genug. Die sowjetischen Kulturfunktionäre störte die Vergangenheit des immer noch unter der Oberfläche allzu individualistischen Revolutionärs nicht. Sie bedienten sich des deutschen Kommunisten für ihre Propagandakunst.

Eine überreiche Lebensgeschichte

Stalins Säuberungen konnte er noch entkommen. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht wurde Vogeler aber nach Kasachstan deportiert, wo er in einer Kolchose schuftete und 1942 mit 70 Jahren an Unterernährung und Erschöpfung starb. Eine solch an historischen Einschnitten überreiche Lebensgeschichte, gespickt mit einem Freundeskreis, zu dem Rainer Maria Rilke oder der Maler Otto Modersohn und dessen spätere Frau Paula Becker gehörten, schreit geradezu nach einer emotionsgeladenen Verfilmung.

Regisseurin Marie Noëlle, die zuletzt das Leben von "Marie Curie" verfilmte, zieht es jedoch vor, den dramatischen Stoff in malerische Naturszenen, dahin plätschernde Spielfilm-Elemente, Archiv-Fotos, an der Grenze zur Karikatur gezeichnete Figuren und dokumentarische Teile zu zerpflücken, in denen Schriftsteller Klaus Modick, Vogelers Sohn Jan, seine Urenkelin Daniela Platz, eine Schweizer Psychoanalytikerin oder Künstler Norbert Bisky darüber reflektieren dürfen, was Kunst darf und wie äußere Umstände das Werk mitunter beeinflussen können.

Noëlle schreckt sogar nicht davor zurück, Auguste Rodin im Atelier der zeitgenössischen Künstlerin Sophie Sainrapt erscheinen und ihre Arbeit an einem weiblichen Akt begutachten zu lassen. Was uns diese Geisterbeschwörung über Vogelers Wandlungsfähigkeit mitteilen soll, bleibt schleierhaft. Das gilt auch für Hologramme, die sich in Worpsweder Garten materialisieren, sphärische Chöre und überflüssige Animationen. Und wenn sich Hauptdarsteller Florian Lukas vor einem frisch aus dem Drucker kommenden Porträt Vogelers verneigt, kollabiert die Begegnung von Realität und Fiktion an der Schlichtheit der ins Theaterhafte strebenden Regieeinfälle. Da ist man schon fast erleichtert, wenn die Kamera "einfach" mal über die Gemälde streift, nach Sichtachsen sucht und die eine oder andere Collage simuliert. "Meine Kunst ist tot, mein Leben ein Irrtum", resümiert der alte Heinrich Vogeler. Aber was hätte man aus diesem Scherbenhaufen machen können!