Die ehemalige First Lady Michelle Obama prägte 2016 auf einem Parteitag der US-Demokraten ihr wohl berühmtestes Zitat: "When they go low, we go high". Wenn politische Gegner zu schmutzigen Tricks greifen, dürfe man sich selbst keinesfalls auf deren Niveau ziehen lassen, sondern müsse vielmehr über den Dingen stehen. Seit diesem Auftritt ist viel passiert, und ob sich der autoritären, erratischen und demokratieverachtenden Politik von Donald Trump mit Würde beikommen lässt, kann man auch diskutieren.
Trotzdem schiebt sich Obama in die Gedanken, wenn man dieser Tage auf der Helsinki-Biennale im hohen Norden unterwegs ist. Hier hieße der leicht abgewandelte Slogan: When they go hard, we go soft. Wenn die Welt aufrüstet, macht sich die Kunst ganz weich.
Die mediale Berichterstattung über Finnland dreht sich seit gut drei Jahren in den allermeisten Fällen um militärische Belange. Nach Russlands umfassendem Einmarsch in die Ukraine trat das ehemals neutrale Land eilig der Nato bei und ist seitdem damit beschäftigt, die über 1000 Kilometer lange Grenze zum aggressiven Nachbarn nach Möglichkeit zu sichern. Finnland wurde in seiner Geschichte bereits zweimal von Russland überfallen und setzt als Antwort auf den Ukraine-Krieg ganz klar auf Aufrüstung und Abschreckung. "Mit Putin verhandeln", wie es in Deutschland von rechts und links gefordert wird, will hier so gut wie niemand.
Schmetterlinge statt Soldaten
Liest man vor diesem Hintergrund den Biennale-Titel "Shelter", also Schutz, drängt sich zuerst die Assoziation an Bunker (von denen Helsinki viele hat) und Geopolitik (in deren Zentrum Finnland gerade steht) auf. Noch dazu war der Hauptausstellungsort Vallisaari, eine Insel vor den Toren der Hauptstadt, jahrhundertelang militärisches Sperrgebiet. Die Wallanlagen und Munitionslager ragen noch immer in den weiten Himmel, auch wenn das strategisch gelegene Eiland inzwischen ein Ort für Touristen und Spaziergänger statt für Soldaten ist.
Und für Schmetterlinge. Rund 1000 Arten sollen auf Vallisaari leben, denn durch die Abgeschiedenheit konnte sich die Natur relativ unbehelligt entwickeln. Auch für Tiere und Pflanzen ist die Insel ein shelter, und um diese Art von Schutz geht es der Helsinki-Biennale. Wie können die menschlichen und die nicht-menschlichen Wesen dieser Erde in Sicherheit miteinander leben?
Die in der Kunstwelt spätestens seit der Documenta 13 omnipräsente Frage der Beziehung zwischen den Spezies steht auch hier im Fokus. Und während "draußen" die harte Sprache der "Kriegstüchtigkeit" dominiert, will die Kunst das Zarte hegen. "Die Biennale reflektiert über die fragile Beziehung zwischen Mensch und Natur", heißt es im Vorwort zum Ausstellungsführer. "Die ausgestellten Kunstwerke gehen über die auf den Menschen bezogene Perspektive hinaus und stellen Tiere, Pflanzen, Pilze, Insekten und Mineralien in den Vordergrund. Die Biennale will neue Räume des Schutzes schaffen und zu positivem Umweltverhalten anregen."

Katie Holten "Learning To Be Better Lovers (Forest Alphabet)", Installationsansicht Helsinki Biennale, Esplanadi Park, Helsinki, 2025
Dass der größte Teil der Ausstellung dabei unter freiem Himmel stattfindet – neben der Insel werden noch die Flaniermeile Esplanadi und das Helsinki Art Museum (HAM) bespielt – ist bei diesem Thema natürlich ein großer Gewinn. Schon die knapp halbstündige Überfahrt nach Vallisaari ist eine Lektion der Entschleunigung, auf der Insel besteht die Geräuschkulisse vor allem aus Windrauschen, Wellenplätschern und Vogelgezwitscher. Andererseits haben es die Kunstwerke zuweilen schwer, gegen diese idyllische Umgebung anzukommen.
Die Kunst-Natur-Symbiose funktioniert am besten, wenn die Arbeiten kleine Irritationen erzeugen. So werden die Besucher gleich am Fähranleger der Insel von einer Installation von Pia Sirén empfangen, die auf den ersten Blick an eine Baustelle erinnert. Erst bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass die Künstlerin aus Gerüsten sowie grünen und blauen Plastikplanen eine "Landschaft" mit Bäumen, Bergen und Himmel geschaffen hat. Diese will mit der "echten" Umgebung gar nicht konkurrieren, sondern verweist in ihrer offensiven DIY-Ästhetik auf ihre Künstlichkeit, die eine ganz eigene Bildsprache schafft.
Auch die Arbeit von Sara Bjarland nähert sich dem Thema der nicht-menschlichen Wesen mit bildhauerischer Präzision und Leichtigkeit. Sie hat aufblasbare Pooltiere in Form von Delfinen aus Bronze nachgegossen und diese auf Felsen nahe dem Ostseeufer von Vallisaari platziert. Da liegen sie nun, angespült und fast camoufliert, diese scheinbar leicht erschlafften Wesen, die doch aus knallhartem Metall bestehen und sowohl auf die Plastikvorliebe des Homo sapiens als auch auf die Gefährdung der echten Meeressäuger verweisen. Hier liegt es, das Anthropozän, aber in Ferienparadies-Optik.

Sara Bjarland "Stranded" (Detail), Installationsansicht Helsinki-Biennale, Vallisaari, 2025
Auch die Soundarbeiten auf Vallisaari hinterlassen einen bleibenden Eindruck, selbst wenn sie nicht ganz unpathetisch daherkommen. Der Künstler Hans Rosenström lässt eine Installation aus versteinerten Holzstämmen mit sphärischen Klängen beschallen. Alle davon sind menschliche Stimmen, die versuchen, die Soundlandschaft der Insel nachzuahmen. Saskia Calderón entführt die Besucherinnen dagegen in den ecuadorianischen Amazonas und bringt die Gesänge von indigenen Geistern nach Europa.
Mit Ólafur Elíasson, Otobong Nkanga, Giuseppe Penone, Ernesto Neto oder Yayoi Kusama wartet die Biennale durchaus mit international bekannten Kunstnamen auf. Am meisten Spaß machen aber die nordischen und südamerikanischen Entdeckungen, die man eben nicht überall im Kunstzirkus sieht.
Dabei zeigt sich allerdings auch das Dilemma, das die nicht-anthropozentrische Kunst begleitet. Wenn man im Ausstellungsraum teilweise den gleichen Pflanzen und Tieren begegnet, die draußen in freier Wildbahn ganz von allein gedeihen, wirkt das Kunstwerk zuweilen wie eine Fetischisierung der Natur – denn es ist ja eben doch menschengemacht, eingehegt und zum Bestaunen gedacht.
Nicht-invasive Kunst
In Zeiten der Klimakrise ist es zweifellos eine politische Geste, unsere Mitwesen in den Mittelpunkt zu stellen und ein nicht ausbeuterisches Verhältnis zum Planeten Erde zu propagieren. Doch wie inzwischen oft beschrieben wurde, bedient sich diese Art von Kunst oft einer im formalen wie materiellen Sinne "weichen Sprache", die ästhetisch eher gefällig als aufrüttelnd ist. Ab und zu würde man sich etwas mehr Biss und Widersprüchliches wünschen, damit nicht der Eindruck entsteht, auf der Welt gebe es nur die "unnatürlichen" Verhältnisse der industriellen Gegenwart und einen utopischen Zustand des indigenen Einklangs.
Die Realität ist nun mal komplexer, und so fühlt sich der "quiet environmentalism" der Biennale gerade im Sommer 2025 etwas eskapistisch an. Trotzdem hallt ein Gedanke der Kuratorinnen Kati Kivinen und Blanca de la Torre nach: Wie kann man Kunst im bestehenden Ökosystem einer Insel zeigen, ohne dass Kunst eine invasive Art wird?
Dass das Stille in aufgewühlten Zeiten seine Berechtigung hat, will auch die finnische Künstlerin Nina Backman zeigen, die seit Langem in Berlin lebt. Zusammen mit verschiedenen Institutionen hat sie internationale Journalistinnen und Journalisten nach Helsinki gebracht, um die dortige Kunstlandschaft zu erkunden (auch die Autorin dieses Textes war Teil der Reise). "Ich glaube, dass die Stille umso wichtiger wird, je lauter die Welt ist", sagt sie. "Und ich glaube auch, dass sie eine universelle Sprache ist, die wir alle fließend sprechen."
Extrem still und unglaublich nah
In diesem Sinne fand in Helsinki, in den Räumen der finnischen Literaturvereinigung Suomalaisen Kirjallisuuden Seura, eines von Backmans "Silence Meals" statt. Bei diesen Anlässen essen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer still und smalltalklos und kommunizieren höchstens nonverbal miteinander. Der Ort war bewusst gewählt, sagt die Künstlerin, denn in dem prächtigen Haus am Hafen wird das literarische Erbe in finnischer Sprache bewahrt - eine historisch immer wieder bedrohte Art, sich zu äußern. Auch ein Archiv könne ein shelter sein.
An dem stummen Dinner, das zu Backmans "Silence Project" gehört, nahmen auch in Helsinki ansässige Autorinnen und Autoren teil. Eine davon scherzt nach dem Nachtisch, als man wieder sprechen darf, dass das für Finnen ein ganz normales Essen gewesen sei. Vor dem Schweigen hat man hier keine Angst. Es gibt auch den gern aufgewärmten Witz, dass das Abstandsgebot von 1,5 Metern während der Corona-Pandemie "doch ganz schön nah" gewesen sei.

"Silence Meal" der Künstlerin Nina Backman (vor Kopf Mitte) in der Literaturgesellschaft Suomalaisen Kirjallisuuden Seura in Helsinki
Und auch anderswo in Helsinki findet sich gerade im wahrsten Sinne introspektive Kunst. Im Nationalmuseum für zeitgenössische Kunst Kiasma ist bis September das Werk von Dafna Maimon zu sehen, die sich auf surrealistisch-absurde Art mit Körperfunktionen beschäftigt. Die Ausstellung betritt man durch einen plüschigen Darm-Tunnel, bevor man sich vor einer Videoarbeit über die Verdauung einer jungen Frau wiederfindet, die vor allem Industriefleisch aus Plastikschalen konsumiert.
Einen Raum weiter kombiniert Maimon in der Arbeit "Leaky Teeth" glatte Büro-Ästhetik mit einer fröhlichen Karies-Orgie. Eine Frau im Business-Kostüm fasst sich immer wieder an die Wange, ein Schnitt in ihr Inneres offenbart, wie sich eine Gruppe orgiastischer Performer in Steinzeit-Kostümen im Zahninneren vergnügt.
Die Vereinigung von Design und dem ungezähmten Körperlichen vollzieht sich im Video "Homebody". Dieses spielt in einer Villa, die der finnische Nationalheilige Alvar Aalto gestaltet hat. Neben edlem Interieur kommen bei Maimon jedoch auch Mikroorganismen zu ihrem Wohnrecht.

Dafna Maimon "Leaky Teeth", Filmstill, 2021
Apropos Aalto: Nur ein paar hundert Meter vom Kiasma entfernt ist nun auch wieder eines der architektonischen Wahrzeichen Helsinkis zugänglich. Nach einer längeren Renovierungsphase (der hübsche weiße Fassadenmarmor verträgt sich nur mäßig mit dem skandinavischen Klima) ist die Finlandia-Halle wieder geöffnet, die nach Entwürfen von Alvar Aalto 1971 eingeweiht wurde.
Im Inneren klärt eine neue Ausstellung über das Wirken des Architekten und Designers und seiner beiden Partnerinnen Aino und Elissa Aalto auf. Aber man kann auch einfach im fast unerträglich geschmackvollen Café sitzen und einen Großteil der Klassiker-Objekte wie geflochtene Stühle, organisch geschwungene Lampen und Zebrakissen in Aktion erleben.
So viel nordische Stilsicherheit ist vielleicht auch eine Art von Eskapismus. Würde da vor der Fensterfront nicht dieser junge Mann in Uniform vorbeilaufen, der für die Armee Spenden sammelt.

"Piazza" in der Finlandia Halle in Helsinki, entworfen von Alvar Aalto