Seit Anfang April hat Das Minsk Kunsthaus in Potsdam eine neue Leiterin. Anna Schneider war zuvor 13 Jahre am Haus der Kunst in München. Sie löst Gründungsdirektorin Paola Malavassi ab, die das von der Hasso-Plattner-Stiftung getragene Haus seit 2021 mit aufgebaut hat.
Wir sitzen auf der Dachterrasse des ehemaligen DDR-Ausflugsrestaurants Minsk, um uns herum wird gebaut. Direkt neben dem Kunsthaus entsteht ein Wohnblock, auf der anderen Seite liegt die Dauerbaustelle auf dem sogenannten Leipziger Dreieck – der Platz hat in den vergangenen Jahrzehnten mehrere Umstrukturierungen erfahren.
Sehr prominent ist die Fassade des Sport- und Freizeitbads Blu direkt gegenüber, ein kantiger Bau, in dessen Hintergrund das Potsdamer Stadtpanorama zu sehen ist. Geometrische Blumen leuchten nun auf preußisch blauem Untergrund. Die Farbe wurde Anfang des 18. Jahrhunderts in Berlin entwickelt, führt aber jetzt in die Gegenwart. Anfang Juni ist das Wandgemälde des südafrikanischen Street-Art-Künstlers Robin Rhode am Schwimmbad fertig geworden.
Anna Schneider, die ersten zwei Monate als Direktorin des Minsk Kunsthaus in Potsdam sind vorbei, wie fühlt es sich an?
Es ist wirklich eine ganz großartige Herausforderung. Natürlich gibt es am Anfang eine Vielzahl an neuen Themen, die angestoßen und bearbeitet werden müssen, aber es ist eine wunderbare Aufgabe. Außerdem habe ich ein agiles und aktives Team, mit dem ich viel im Gespräch erarbeite. Gleichzeitig sind für mich auch neue Aspekte dazugekommen, die ich in meinem bisherigen Berufsleben noch relativ wenig bearbeitet habe.
Haben Sie ein Beispiel?
Im Haus der Kunst in München habe ich über viele Jahre große Ausstellungen, Publikationen und Veranstaltungen entwickelt und durchgeführt. Aber das Haus hat ja im klassischen Sinne keine Sammlung. Das heißt, die Arbeit mit der Sammlung ist hier am Minsk ein neues Thema für mich. Es ist nochmal etwas anderes, wenn das Herzstück der Institution eine Sammlung ist, deren Geschichten Teil der Identität der gesamten Institution ist. Ich möchte natürlich auch die Künstlerinnen und Künstler persönlich kennenlernen, soweit sie noch am Leben sind.
Und sonst?
Die Frage, die daran anknüpft, ist: Wie erweitern wir diese Sammlung? Das Minsk ist ja eine junge Institution, die sich noch in der Entwicklung befindet. Ich setze mich mit der Sammlung und ihren Themen auseinander, um zu identifizieren, wo vielleicht noch Leerstellen sind, die wir aufarbeiten und schließen möchten. Was möchten wir stärken und sichtbar machen?
Sie haben bis 2007 an der Fachhochschule in Potsdam studiert. Das Minsk gab es damals noch nicht, überhaupt war die Stadt eine andere. Was hat sich verändert?
Das Minsk als Gebäude gab es damals schon, ich konnte es jeden Tag vom Bahnhof kommend sehen, aber es lag in einer Art Dornröschenschlaf. Jetzt ist es aufgewacht und wurde zum Kunsthaus. Ich kann mich noch erinnern, als ich hier als Studentin morgens zur Fachhochschule fuhr, befand sich ihr gegenüber das ehemalige Bundesgartenschaugelände, also Wiese im wahrsten Sinne des Wortes. Als ich jetzt auf Wohnungssuche war, bin ich wieder in der Gegend gewesen, jetzt ist da ein komplett neues Stadtviertel entstanden. Das heißt, es wurde viel gebaut, und die Stadt hat sich stark weiterentwickelt. Was geblieben ist, oder sogar noch gewachsen, ist die Verbindung aus einem qualitativ hochwertigen Kultur- und Stadtleben und der Natur und dem Wasser in unmittelbarer Umgebung. Das ist wirklich einmalig.
Wie läuft die Kommunikation mit anderen Kunsträumen und Institutionen in der Stadt? Tauscht man sich da aus?
Ich bin noch dabei, mir ein Bild zu machen, und auch alle anderen Kultur- und Kunstinstitutionen kennenzulernen und mich dort vorzustellen. Da ist zunächst das Museum Barberini. Es ist für uns eine Art große Schwester, mit der wir uns vertrauensvoll austauschen und von der wir lernen können. Das ist eine einmalige Ausgangslage. Gleichzeitig gibt es viele andere wichtige Institutionen für Kultur in Potsdam und – nicht zu vergessen - die freie Szene. Da möchten wir als Minsk versuchen, die Beziehungen zu intensivieren, um so stärker in die Stadt hineinwirken zu können.
Gibt es eigentlich so eine Art Stammtisch für die Leute, die in den Institutionen sitzen, oder Vernetzungstreffen?
Gibt es tatsächlich. Das Ziel ist, eine Plattform für Austausch zu übergeordneten Themen zu etablieren. Zum Beispiel Stadtfeste, die gemeinschaftlich organisiert werden können. Es geht darum, wie man Synergien nutzen kann.
Sie sind mit recht großen Herausforderungen in Ihre Arbeit gestartet. Es geht um mehr Sichtbarkeit, aber auch um eine höhere Besucherzahl. Mit welchen konkreten Ideen und Vorschlägen gehen Sie diese Themen an?
Das Minsk ist noch sehr jung. Es wurde 2022 eröffnet; dieses Jahr am 24. September feiern wir den dritten Geburtstag. Ich möchte ein organisches Wachstum fördern. Ich habe größte Hochachtung vor der Leistung, die bisher erbracht wurde: aus dem Nichts einen neuen Kulturstandort auf der Landkarte zu platzieren, ist beachtlich; gerade bei dem sehr reichhaltigen Angebot, das bereits in Potsdam und in Berlin existiert. Es ist gelungen, im Laufe dieser drei Jahre ein Publikum zu gewinnen, und es ist mir natürlich ein Anliegen, das weiter auszubauen. Dabei wird die Kernarbeit immer die Ausstellungstätigkeit hier auf diesen zwei Etagen sein, aber das Haus ist ein ehemaliges Terrassenrestaurant gewesen, früher sind die Leute zum Tanzen und Musikhören hierhergekommen …
Viele haben hier auch ihre Jugendweihe gefeiert …
Genau. In den 70er-Jahren zu Gründungszeiten war Das Minsk ein herausragender Ort, etwas Besonderes. Daran anknüpfend möchten wir heute nicht nur die Ausstellungsräume nutzen, sondern auch die Veranstaltungen und die Gastronomie als Teil unseres Programms verstehen. Die Vielfalt, die man in einem Museum oder einem Kunsthaus erleben kann, macht das Gesamterlebnis bereichernd und inspirierend. Auch möchten wir uns stärker mit unserem Außenraum beschäftigen. Ähnlich dem Prinzip des Gartens, in dem man sät, etwas wachsen sieht, sich begegnet und miteinander ins Gespräch kommt.
Über Kunst?
Der Anfang dafür ist mit dem Künstler Robin Rhode schon gemacht. Streng genommen nicht in "unserem Garten", sondern in Nachbars Garten, aber von unserer Terrasse aus sehr gut sichtbar. Die Arbeit reagiert auf den Wunsch, den Blick in die Stadt hinein, der ursprünglich vom Minsk aus möglich war und nun vom Schwimmbad verdeckt wird, aufzuwerten.
Gegenüber vom Minsk befindet sich das Blu Sport- und Freizeitbad. Über die ganze Südfassade erstreckt sich seit kurzem das Werk "Botanischer Garten" des südafrikanischen Künstlers Robin Rhode. Besonders finde ich daran die Verquickung von Geschichte und Street-Art.
Ja, ich freue mich sehr, dass es gelungen ist, diese Arbeit hier zu realisieren, gemeinsam mit Robin Rhode, der mit seinem Team innerhalb von zehn Tagen 900 Quadratmeter bemalt hat. Es wurde eine wunderbare Lösung gefunden: die abstrakten, geometrischen Blumen verbinden die lange Gartentradition Potsdams mit der Flora Südafrikas und machen auf ihre heilende Potenz aufmerksam.
Und die Farbe?
Die Blauschattierungen, in denen das Wandbild gestaltet sind, sind Ableitungen des Preußisch Blau. Das Pigment wurde 1706 in Berlin entdeckt und ersetzte das kostspielige Ultramarin. Es fand deshalb breite Anwendung in Kunst, Architektur und Kartografie, insbesondere in den preußischen Residenzen von Potsdam wie Sanssouci und dem Neuen Palais. Die Wahl dieser Farbe verbindet also das neue Kunstwerk mit der Kulturgeschichte der Stadt. Interessant für mich ist auch: Robin Rhode hat seine Wandbilder bislang primär als ephemere performative Aktionen in Johannesburg durchgeführt, einem urbanen Kontext, der sich von dem in Potsdam sehr unterscheidet. Das Werk "Der Botanische Garten" für Potsdam ist nun permanent. Ich glaube, diese Langfristigkeit war für ihn eine neue, sehr spannende Herausforderung.
Woran arbeiten Sie noch?
Gemeinsam mit dem Team arbeite ich intensiv an unserem Outreach- und Education-Bereich. In der Anfangsphase der Institution musste man sich erst einmal auf das Kerngeschäft konzentrieren. Jetzt sind wir an einem Punkt, an dem wir mit dem Rhythmus und den Arten der Ausstellungen Erfahrungen gesammelt haben und mit dem Outreach- und Education-Bereich nachziehen können. Wir möchten junge Besucherinnen und Besucher, Schulklassen und Studierendengruppen zu mehr Teilhabe einladen. Die Herausforderung, der sich alle Museen aktuell stellen müssen, ist, dass wir mit unseren Besucherinnen wachsen und ein engagiertes Publikum entwickeln möchten, das sich wirklich mit dem Ort identifizieren kann. Ein Schritt wird sein, dass wir mehr Vermittlungsräume hinzubekommen.
Zum Beispiel Gruppenräume für Schulklassen?
Ja – plus der ganze Bereich des digitalen Erlebens. Zum Beispiel wird die Digitalisierung der Sammlung ein Thema sein. Wir denken über Konzepte nach, wie man auch mit der Sammlung aktiv arbeiten kann und sie der Welt zugänglich macht. Denn die deutsch-deutsche Geschichte, mit der wir uns im Rahmen der Kunstgeschichte der DDR auseinandersetzen, ist spannend und relevant, nicht nur für Potsdam, sondern auch darüber hinaus.
"Endlich ostdeutsch" titelte die "Taz" bei der Bekanntgabe des deutschen Pavillons auf der Venedig-Biennale 2026. Dieser wird von Henrike Naumann und Sung Tieu gestaltet. Haben Sie den Eindruck, dass ostdeutsche oder auch DDR-Positionen langsam ihren Platz in den Kunstinstitutionen finden?
Ja, ich glaube schon. Mittlerweile ist vielleicht der historische Abstand groß genug, um sich aus einer neuen Perspektive diesen Themen anzunähern. Eine Zeit lang war das, zumindest gesamtgesellschaftlich, in Deutschland so nicht möglich. Aus meiner Wahrnehmung heraus ist mittlerweile ein großes Interesse da, auch durch die Arbeit der Institutionen und an den Hochschulen. Ich habe zum Beispiel Rückmeldungen von Lehrenden aus der Kunstgeschichte, die berichten, dass viele ihrer Studierenden aktuell zu Themen aus der ehemaligen DDR forschen. Da ist jetzt eine Aufmerksamkeit da, die es vor fünf oder zehn Jahren noch nicht gegeben hat. Ich merke es auch an der aktuellen Ausstellung, am Interesse und den aktiven Rückmeldungen – auch von den Künstlerinnen und Künstlern selbst und aus deren Netzwerken –, dass wir als ein Ort wahrgenommen werden, der eine Plattform für den Austausch bieten kann. Wir befinden uns in einer Phase, in der wir hier einen Beitrag leisten können.
Für den Herbst ist schon eine Ausstellung geplant - "Wohnkomplex. Kunst und Leben im Plattenbau". Gibt es darüber hinaus schon Ideen?
Grundsätzlich hat Das Minsk zwei Programmstränge: zum einen die Auseinandersetzung mit der Sammlung, beziehungsweise mit Kunst aus der ehemaligen DDR, und zum anderen die Projekte mit zeitgenössischen Positionen. Diese Zweigleisigkeit ist wichtig und sinnvoll, da sich die beiden Bereiche gegenseitig befruchten können. Wir empfinden uns als einen Ort, der aus der Beschäftigung mit der Vergangenheit heraus auch mit der Gegenwart arbeiten will. Letztlich möchten wir an den Diskursen teilnehmen, wo es um die Frage geht: Wie wollen wir in der Zukunft leben? Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich noch keine konkreten Ausstellungsprojekte für das kommende Jahr nennen. Aber nach "Wohnkomplex" werden wir uns stärker mit dem Außenraum, den Differenzen von Stadt und Land und mit dem sozialen Miteinander beschäftigen.
Sie wollen auch unterrepräsentierte Stimmen in der Kunst sichtbarer machen. Welche Stimmen meinen Sie, und wie soll das passieren?
Ein Aspekt wird sicherlich sein, sich die Sammlung nochmal anzuschauen, weil auch innerhalb der Kunst aus der ehemaligen DDR manche Stimmen bisher weniger Beachtung gefunden haben; weil sie im Untergrund arbeiten mussten oder eben nicht staatlich gefördert wurden. Aber auch die Präsenz von Frauen ist in der Sammlung nach wie vor ausbaufähig. Das ist kein spezifisch ostdeutsches Problem, letztlich ist das in Gesamtdeutschland und wahrscheinlich auch weltweit der Fall, dass die Frauenquote in Kunstsammlungen des 20. Jahrhunderts weiterhin niedrig ist. Da wollen wir genau hinschauen, welche Positionen bisher noch keine angemessene Plattform gefunden haben. Es gibt auch migrantische Stimmen innerhalb des DDR-Kunstbetriebs, die durch offizielle Raster gefallen sind, weil sie offiziell nicht als Künstler arbeiten konnten. Auch das bedarf noch der Aufarbeitung.