"Building Culture" von Julian Rose

Ist das Museum, wie wir es kennen, mausetot?

Sind wir in der "Post-Bilbao"-Ära? Zumindest gelten Mega-Museen wie das Guggenheim in Bilbao nicht mehr als zukunftsträchtig
Foto: Courtesy Guggenheim Bilbao

Sind wir in der "Post-Bilbao"-Ära? Zumindest gelten Mega-Museen wie das Guggenheim in Bilbao nicht mehr als zukunftsträchtig

Wie können Museen auch in der digitalen Gegenwart Orte mit Aura bleiben? Der Autor Julian Rose hat dazu 16 Architekten befragt, die selbst Kunsthäuser gebaut haben. Der "Bilbao-Effekt" zieht demnach jedenfalls nicht mehr

Bilder an die Wand hängen und erwarten, dass Besucher sie sich in Ruhe ansehen und kontemplieren – dieses Modell des Kunstmuseums ist mausetot. Das behauptet zumindest der US-amerikanische Kunst-Autor und Dozent Julian Rose. Für die Generation der digital natives (und folgende) müsse das moderne Museum etwas ganz anderes leisten: Ein immersives und ortsspezifisches Gemeinschaftserlebnis zu ermöglichen und Kunstwerke so auszustellen, dass sie eine ausgeprägte Aura entwickeln. 

Der entscheidende Faktor dabei ist die Architektur. Rose hat deshalb die 16 bekanntesten Museums-Architekten der Welt interviewt und dabei Erstaunliches zutage gefördert, das seine Thesen zur Zukunft der Museen stützt. Weil Aura heutzutage knapp ist, steigt ihr Wert, so Rose. Bilder wie Preziosen zu zeigen, sei "im digitalen Zeitalter anachronistisch". 

Der Museumsbau gilt als Königsdisziplin der Architektur. "Museen genießen einen privilegierten Status; in der Regel handelt es sich um Gebäude mit großem Budget und hohem Status, die nicht dem gleichen rücksichtslosen value engineering unterliegen wie typische Architekturprojekte", so Rose.

Kleine Bildschirme, große Museen

Seine Faustregel besagt, dass Kunstwerke - und mit ihnen die Museen - immer größer werden. "Die Bildschirme sind hingegen so weit geschrumpft, dass Medien heute in einem Zustand algorithmisch atomisierter Individualität erlebt werden", so Rose. 

Museen bleiben nach Ansicht des Autors nur dann als Orte des Kunstgenusses attraktiv, wenn sie shared experiences erlauben und befördern. Viele Kunstwerke sind "nicht größer geworden, nur um spektakulärer zu sein, sondern auch, um in der Gruppe genossen werden zu können". Ein Museumsbesuch ist für Rose ebenso sehr ein "ästhetisches wie ein soziales Erlebnis". 

In seinem Vorwort schreibt der französischer Kunstkritiker Yve-Alain Bois, dass die Kritik an Museen so alt sei wie die Museen selbst. Aus ihrem Kontext gerissen würden Kunstwerke im Museum präsentiert wie aufgespießte Schmetterlinge. Die Mutter der bildenden Kunst und der Bildhauerei, die Architektur, habe der Kunst traditionell ihren Rahmen gegeben. Ohne diesen nähmen sich die Kunstwerke gegenseitig die Kraft, so der Franzose.

Vom Ausstellen und Behüten zum Produzieren

Vom viel zitierten "Bilbao-Effekt" distanzieren sich alle interviewten Architekten in dem Buch - außer natürlich Frank Gehry selbst. Er verrät vielmehr, wie die Beschäftigung mit Kunst seinen Entwurf für das Guggenheim Museum in besagtem Bilbao entscheidend beeinflusst hat. Auch Elizabeth Diller erläutert, wie ihr Kulturhaus The Shed in den Hudson Yards in New York von Konzeptkunst und Performance inspiriert wurde. 

In beiden Fällen waren es also gewissermaßen die Exponate, die die Entwerfenden zur passenden Architektur brachten. In der "Post-Bilbao"-Ära hat sich die Rolle des Museums grundlegend geändert, so Rose: Vom Sammeln zum Beauftragen von Kunst, vom Ausstellen und Behüten zum Produzieren. 

Museen gelten bisweilen als "Kathedralen unserer Zeit", denn sie genießen einen Ehrenplatz in den Städten. Walter Benjamin erinnerte daran, dass "an den Wänden eines Museums das für den privaten Salon eines Mäzens bestimmte Staffeleigemälde zu etwas Ähnlichem wird wie die in Stein gemeißelten Figuren einer Kathedrale. Sobald es mit der Architektur des Museums verschmolzen ist, funktioniert ein Kunstwerk wie ein Massenmedium und wird so zum Objekt simultaner kollektiver Rezeption."

Netzwerke aus Konzernen und Oligarchen

Dazu schreibt Rose: "Zeitgenössische Kunst wird oft für das Museum geschaffen und soll von einer großen Menschenmenge gesehen werden." Das war früher anders: Trotz der Ambitionen der Avantgarde, bestand das Gros der Moderne aus autonomen Kunstwerken, die zur individuellen Betrachtung bestimmt waren. Moderne Kunst richtete sich an ein individuelles Publikum und einzelne Sammler: Der Aufstieg eines kaufkräftigen Bürgertums bot eine Alternative zum Auftrag von Kirche oder Staat.

In den letzten Jahren hat sich "das Kunstpublikum erweitert, während die Unterstützung geschrumpft ist", so Rose. Wie in der Renaissance, als die meiste Kunst für den plebejischen Konsum von der Elite in Auftrag gegeben wurde, bedeutet die Konzentration des Kapitals in den Händen Superreicher heute, dass die Unterstützung für neue Kunst den Museen zufällt – und den "Netzwerken aus Konzernen und Oligarchen, in die sie eingebettet sind", so Rose. 

Diese Sichtweise mag vom Blick auf den Kunstmarkt in den USA geprägt sein. Doch sein Buch und seine Thesen sind für jedermann anregend, der sich mit der Zukunft des Museums als zentralem und beliebten Bautypus - und auch als Institution - interessiert.