Istanbuler Galeristin Jade Yesim Turanli im Interview

"Die Solidarität wächst"

Foto: Tim Bowditch, courtesy Pi Artworks
Foto: Tim Bowditch, courtesy Pi Artworks

Die Galeristin Jade Yesim Turanli, Inhaberin der in Istanbul und London ansässigen Galerie Pi Artworks

Jade Yesim Turanli betreibt in Istanbul und London die Galerie Pi Artworks. Im September zieht sie mit ihrem Istanbuler Standort zum vierten Mal innerhalb der Stadt um. Warum neue Räume nötig sind und wie es aktuell um die Kunstszene am Bosporus bestellt ist, erklärt sie im Monopol-Interview

Es scheint, die Galerienszene in Istanbul ist bis vor wenigen Jahren stetig gewachsen. Hat der  Putschversuch vom vergangenen Jahr etwas daran geändert?
Ich würde eher sagen, es ging ständig bergauf und bergab. Bis 2003, 2004 konnten wir noch nicht einmal von einer Galerienszene reden. Mit der Eröffnung des Museums Istanbul Modern wurde der Lauf der Dinge dann ein bisschen beschleunigt. Zwischen 2008 und 2012 befanden wir uns auf dem Höhepunkt. Im Stadtviertel Tophane gab es plötzlich mehr als 15 Galerien. 2010 wurde dann ein Anschlag auf die Galerien während unserer Eröffnung verübt. Dieser Vorfall hat uns alle leider sehr verängstigt. 2012 kippte die Stimmung endgültig, einige Galerien mussten schließen. Die Szene verstreute sich. Viele zogen in den Stadtteil Karaköy, und wir entschieden uns, zur Istiklal-Straße zu ziehen, ins Misir-Apartment, wo sich wieder einige Galerien sammelten. Nun haben der Terror und die politischen Umbrüche in den vergangenen ein oder zwei Jahren dafür gesorgt, dass diese Gegend trist geworden ist. Das Beyoglu-Viertel war vorher ein Ort, an dem sich alle getroffen haben, die Straßen waren voll von Leuten. Die Regierung hat das Leben in Beyoglu sehr eingeschränkt und damit den natürlichen Lebensstil dort komplett verändert. Viele Läden sind leer, die Bäume und die Leute sind nicht mehr da und die Stimmung ist nicht dieselbe. Die Galerien und Künstler suchen deswegen nun wieder nach neuen Orten.

Sie ziehen nun nach Karaköy ...
Der Stadtteil ist mittlerweile zu einem Ort geworden, an dem man leben kann. Das war vor ein paar Jahren noch nicht so. Karaköy ist das Ziel vieler, auch weil das Istanbul Modern und die Biennale sich dort befinden. Und ich glaube an die Kraft, die in der Zusammenarbeit liegt. Wir sind fünf gleichgesinnte Galerien dort. Unsere Programme sind wettbewerbsfähig, aber auch ergänzend. Ich denke, hier wird eine Synergie entstehen.

Es hört sich so an, als wäre die Solidarität unter den Galerien innerhalb der vergangenen Jahre gewachsen.
Ja, genau. Wir informieren uns gegenseitig und sprechen gemeinsam über Probleme. Der Informationsfluss unter den Galerien ist sehr viel stärker geworden. Wir tauschen Namen von Experten aus, wenn es um technischen Support geht, aber auch die Listen der Sammler. Ja, ich kann glücklicherweise sagen, dass wir durch Zusammenarbeit stärker geworden sind. Niemand hat mehr Angst davor, Informationen auszutauschen. Das sorgt für gegenseitiges Vertrauen, und das wiederum spiegelt sich in unserem Publikum wieder.

Was passiert mit dem Kunstspaziergang Tophane Artwalk?
Durch die Ups und Downs des Landes konnte dieses Event nicht so sehr herausragen. Wir sollten uns alle zusammensetzen und noch einmal über den Artwalk nachdenken. Vielleicht wäre es besser, wenn die Kunstmesse Contemporary Istanbul und der Artwalk zu einem noch stärkeren Ereignis zusammengelegt werden würden. Ich denke, global und lokal befinden wir uns gerade inmitten eines Wandels.

Wo waren Sie während des Putschversuchs im vergangenen Jahr?
In London. Ich hatte meine Freunde aus der Londoner Kunstszene zu mir eingeladen, um über die türkische Kunstszene zu sprechen. Es gab türkisches Essen. Und dann fand der Putsch statt. Der Abend verwandelte sich in eine sehr interessante Nacht, das hatte ich wirklich nicht geplant.

Welchen Effekt hatte der Putschversuch auf den Galeriebetrieb?
In dieser Zeit habe ich mir genau diese Frage gestellt: Wie beeinflusst mich das jetzt? Ich denke, wir sehen den Effekt nicht direkt. Aber langfristig führen die Geschehen zu Selbstzensur und zu einer veränderten Stimmung während der Ausstellungen. Auch dazu, dass man Ausstellungen möglichweise austauscht. Wenn Sie mich fragen, ob ich irgendetwas geändert habe: Nein, ich habe nichts verändert, auch nicht das Programm. Und dass wir umziehen, hat nichts mit dem Putsch zu tun. Wir ziehen um, weil die Istiklal-Straße als Ort meiner Meinung nach ihren Job getan hat. In der Zukunft werden sich vielleicht viele Dinge ändern. Vielleicht sind die Programme der Galerien in zehn Jahren konservativer, oder aber das Gegenteil tritt ein und die Galerien werden stärker und mutiger. Aber im Moment kann man noch keine große Veränderung spüren.

Kommen noch immer genauso viele Besucher in die Galerie wie zuvor?
Die Laufkundschaft ist ein bisschen seltener geworden. Aber ich muss hinzufügen: Auch in meine Galerie in London kommen weniger spontane Besucher. In New York soll es ähnlich sein. Politische Instabilität ist ein Grund. Viele Galeristen hinterfragen ihr derzeitiges Galeriemodell. In London beschäftigt man sich damit, die Galerien zusammenzubringen, um gemeinsame Lagerräume zu schaffen und so weiter. Ich glaube daran, dass es auf und ab geht. Vielleicht sind die Programme der Galerien öde geworden, vielleicht müssen wir spannendere Veranstaltungen integrieren. In London versuche ich, mit Studenten zusammenzuarbeiten, außerdem kollaboriere ich mit Institutionen. In diesem Jahr habe ich sechs Kuratoren aus unterschiedlichen Generationen eingeladen, mit unterschiedlichen Backgrounds und unterschiedlichen Perspektiven. Das hat die Reaktion des Publikums sehr verändert. Also ja, die Laufkundschaft hat sich verschmälert, aber das hat, so denke ich, nichts mit dem Putsch zu tun.

Und gibt es einen Unterschied zwischen Ihren Ausstellungen in Istanbul und denen in London?
Die Künstler, die ausstellen, sind dieselben. In London arbeite ich mehr mit Institutionen zusammen, mit Bildungsinstitutionen vor allem. London ist ein Zentrum. Ich fand es deswegen in London ein bisschen einfacher, eine Galerie zu eröffnen, als in Istanbul, wo wir keinerlei Unterstützung durch die Öffentlichkeit haben. Wir haben in Istanbul außerdem nur ein Museum für zeitgenössische Kunst und die Mittel, die dieses hat, sind natürlich begrenzt. In London gibt es mehr Möglichkeiten. In meiner Londoner Galerie fanden in der letzten Saison sechs Ausstellungen statt, während in der Istanbuler Galerie drei Ausstellungen stattfanden. Es ist dasselbe in beiden Städten, aber die Rahmen sind unterschiedlich.

Gibt es Unterschiede in der Rezeption?
Das hängt von der Ausstellung ab. In Istanbul habe ich eine feste Gruppe von Sammlern um mich – ich bin dort schließlich auch seit fast 20 Jahren im Geschäft. Unser Publikum in London ist jünger, würde ich sagen.

Wie sieht im Moment das Interesse für türkische Kunst aus?
Ich hasse diese Klassifikationen: türkische Kunst, feministische Kunst und so weiter. Ja klar, es stimmt, die größte Gruppe an Künstlern, die durch die Galerie vertreten wird, hat türkische Wurzeln. Ich habe immer versucht, nicht die Nation der Künstler zu promoten, sondern ihre Arbeiten. Ich glaube nicht, dass zeitgenössische Kunst aus der Türkei jetzt gerade die trendigste Kunst ist, aber ich kann sehr leicht sagen, dass wir sehr starke Künstler haben. Wenn man zu wichtigen Biennalen schaut oder zu großen Ausstellungen, erblickt man immer mehr türkische Künstler. Als Gruppe in der zeitgenössischen Kunst sind die türkischen Künstler vielleicht nicht so erfolgreich, aber die Bedeutung einzelner, die aus unserer Region kommen, nimmt zu. Ich finde, dass das eine sehr gesunde Entwicklung ist.

Welche Ausstellungen fallen Ihnen hier zuerst ein?
Dieses Jahr hat Ipek Duben, eine meiner Künstlerinnen, beim Fabrica-Festival in Brighton eine Solo-Ausstellung gezeigt, und die Reaktionen waren sehr gut. Ihre Ausstellung war das Highlight des gesamten Festivals. Im Tate Modern findet noch immer die Ausstellung von Fahrelnissa Zeid statt. Und ich habe erst neulich mit einem der Kuratoren gesprochen, der zu mir meinte, es seien bisher mehr als doppelt so viele Besucher gekommen wie erwartet.

Wissen Sie zufällig, warum die Istanbuler Galerie Rampa geschlossen hat?
Ich weiß nur, dass es keine öffentliche Erklärung gab. Seit vier Jahren habe ich nun auch eine Galerie in London, und auch dorthabe ich etliche Eröffnungen und Schließungen von Galerien miterlebt. Viele Galerien schließen und machen dann weiterhin Ausstellungen in wechselnden Räumlichkeiten.

Die Vorbereitungen für die Istanbul Biennale laufen. Auch ein Künstler der Galerie Pi Artworks nimmt teil. Was erwarten Sie von der Biennale?
Volkan Aslan wird eine neue Videoarbeit zeigen, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich Näheres sagen sollte – es soll eine Überraschung werden. Ich mag die Arbeiten der diesjährigen Kuratoren, Michael Elmgreen und Ingar Dragset, sehr und bin neugierig, wie sie die Biennale gestalten werden. Der Ort der Biennale befindet sich ja in unmittelbarer Nähe zu unseren neuen Galerieräumen – das wird alles sehr spannend.