Istvan Kantor in Berlin

Krieg als Zeichnung

In der Berliner Galerie KOW zeigt Istvan Kantor seine Werkgruppe "Latest News". Als inszenierte Kinderzeichnungen gelingt den Blättern eine emotionsgeladene Anklage gegen die Gräuel des Ukraine-Krieges

Die Russen marschieren ein, ein siebenjähriger Junge hat im Luftschutzbunker Zuflucht gefunden. Um den Jungen abzulenken, bringt ihm seine Großmutter, sie hat in der Schweiz Kunst studiert, das Zeichnen bei. Die Rede ist von dem ungarisch-kanadischen Künstler Istvan Kantor, der so 1956  den "Volksaufstand" in Ungarn erlebt hat. Heute ist Kantor selbst Künstler und international bekannt für seine provokanten Performances, bei denen oft das eigene Blut fließt. Auch als lautstarker Industrial-Pop-Musiker hat sich Kantor, der übrigens wie der "Beißer" aus diversen James Bond-Filmen ein Stahlgebiss trägt, längst einen Namen gemacht.

Jetzt aber überzeugt Kantor in der Berliner Galerie KOW mit eher ruhigen Tönen: Angesichts des russischen Angriffskrieges in der Ukraine zeichnet er seit dem März  Bilder aus diesem Krieg. Genauer: Er zeichnet im Stil seiner Arbeiten aus den späten 1950er-Jahren, also mit dem für seine frühen Zeichnungen typischen Herantasten an so etwas wie eine naiv-realistische und gleichzeitig gefühlsbetonte Darstellung. Flüchtende vor allem sind da zum Beispiel zu sehen, zerbombte Häuser, Krankenhausbetten und an Gräbern trauernde Menschen. Als Vorlage hierfür dienen dem Künstler Medienbilder, vor allem Zeitungsfotos und Fernsehbilder.

Anklagende Dokumentation des Grauens

Zunächst hat Kantor diese Kohlezeichnungen täglich unter dem Titel "Latest News" in den sozialen Medien präsentiert, jetzt zeigt er die inzwischen gut 250 Blätter zum ersten Mal zusammen in einem (realen) Galerieraum. Auf dem ersten Blick erinnern diese Zeichnungen an welche von Käthe Kollwitz oder Ernst Barlach, dem genaueren Blick aber entgeht nicht die gleichsam "inszenierte Unbeholfenheit", die Kantors Zitieren seiner ersten Kunstversuche immer wieder innewohnt.

Und genau das macht die Werkgruppe der "Latest News" so eindrucksvoll: Der Koppelung der eigenen kindlichen Kriegserfahrung inklusive Zeichenunterricht mit der künstlerischen Aufarbeitung von Medienbildern gelingt es nämlich, den uns täglich um die Augen gehauenen Bildern wieder Momente von Authentizität und Emotionalität entgegenzuhalten. Dass die unsagbaren Schrecken des Krieg letztlich nicht darstellbar sind, das weiß Kantor natürlich genau, die zuweilen schon dilettantische Ausführung der "Latest News" bekennt sich dazu – und hält trotzdem engagiert fest an die anklagende Dokumentation dieses Grauens. Gut so!