Kommentar zur Oscar-Verleihung

Viel Rampenlicht, viel Schatten

Müssen sich deutsche Filmschaffende immer noch mit Nazis, Krieg oder der DDR beschäftigen, um einen Oscar zu bekommen? Und fand irgendwer Jimmy Kimmels Geschmacklosigkeiten witzig? Einige Höhen und Tiefen der diesjährigen Academy-Award-Verleihung 

Jede Oscar-Zeremonie hat ihre Höhepunkte und Tiefschläge. Der vielleicht bewegendste Moment dieser Gala-Nacht war die knappe Dankesrede von Mstyslaw Tschernow. Mit der Statuette in der Hand erklärte der ukrainische Filmemacher, dass er wahrscheinlich der einzige Preisträger der Academy-Geschichte sei, der wünschte, er hätte den Oscar nicht bekommen – für den als besten Dokumentarfilm ausgezeichneten "20 Tage in Mariupol". Schließlich wurde Tschernow auf die Bühne des Dolby Theatre in Los Angeles gerufen, weil Putin seine Landsleute ermorden und seine Heimat zerstören lässt.

Kurzes, tiefes Luftholen. Dann weiter, nach der Devise: The show must go on. Und es war ja eine tolle Show, die in Ryan Goslings Musical-Auftritt als Barbies Ken gipfelte. Köstlich! Viel Rampenlicht, viel Schatten: Eine Menge gequälter Lacher über einen mäßigen Gag des Moderators Jimmy Kimmel, der einen Netzwerkkommentar des Expräsidenten Donald Trump über sich selbst vorlas: "Gab es jemals einen schlechteren Gastgeber als Jimmy Kimmel bei den Oscars". Der Beleidigte "zitierte" dann zusammenfassend "blablabla, make America great again". 

Mit einem Bashing von Trump geadelt zu werden, das ist natürlich toll. Aber auch lustig? Kimmel hatte die Lacher auf seiner Seite, doch mancher Heiterkeitsausbruch (Jodie Foster!) sah im Close-Up arg aufgesetzt aus. Die stonefaces des Abends waren uns lieber: Robert de Niro kam bis zuletzt nicht über Kimmels Gag zum Altersunterschied zwischen dem "Taxi Driver" und dessen Freundin Tiffany Chen hinweg ("In 1976, Jodie Foster was young enough to be Robert De Niro’s daughter. Now, she’s 20 years too old to be his girlfriend."). Warum Ex-"Batman" Michael Keaton beim launigen Auftritt von Arnold Schwarzenegger und Danny de Vito keine Miene verzog (die ungleichen "Twins" riefen ihre jeweilige Vergangenheit als Gotham-City-Schurken in Erinnerung)? Keine Ahnung. Die Nicht-Reaktion war das Ereignis.

Eine in Tränen aufgelöste Schauspielerin

Wir in Deutschland kosteten natürlich jeden Sandra-Hüller-Moment aus. Es gab nicht wenige davon. Leider hat die 1978 in Thüringen geborene Schauspielerin den Oscar für ihre Hauptrolle in "Anatomie eines Falls" nicht bekommen, sondern Emma Stone, auch sehr verdient, für "Poor Things". Lily Gladstone ("Killers of the Flower Moon") wäre auch eine gute Wahl als "Best Actress" gewesen. Trotzdem bleibt Hüller unsere Oscarfrau der Herzen. 

Und sie hat ja eh gewonnen. Für "Anatomie eines Falls" ist das Originaldrehbuch von Arthur Harari und Justine Triet mit einem Oscar ausgezeichnet worden. Und "Zone of Interest", in dem Hüller Hedwig Höß spielt, die Frau des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß, gewann neben der Trophäe für den besten Ton den sogenannten "Auslands-Oscar". Als der Regisseur Jonathan Glazer aufgerufen wurde, sah man eine in Tränen aufgelöste Schauspielerin. 

Es war ja schon in Interviews zu lesen, wie schwer nicht nur für Hüller die Dreharbeiten in Polen gewesen waren. Eine heikle Aufgabe, ein verstörendes Meisterwerk über Massenmord und Empathielosigkeit. Umso irritierender ein Gag des Moderators zu Beginn der Oscarnacht. In einer Ausgabe von "Jimmy Kimmel live!" hatte der Talkmaster im Februar mit Hüller noch über Sperrmüll in Deutschland geredet. Während der Oscars nun versah Kimmel ihre beiden Filme – über eine Mordverdächtige sowie die Frau eines Massenmörders – mit einem höchst unwitzigen Kommentar: "Hard stuff for Americans – but in Germany they call it RomCom". 

Stellvertretendes Erschrecken

Sichtlich verlor die eingeblendete Sandra Hüller für einen Moment die Fassung. Und erschreckte sich wohl stellvertretend für so viele Zuschauerinnen und Zuschauer. Abgesehen von der Geschmacklosigkeit deutet Kimmels Spruch an, was von deutschen Filmschaffenden mehr oder weniger erwartet wird, wenn sie in Hollywood reüssieren wollen: Filme über den Ersten Weltkrieg ("Im Westen nichts Neues" kriegte 2023 vier Oscars), über die NS-Zeit ("Die Blechtrommel" – 1980 ein Oscar) oder über die DDR ("Das Leben der Anderen"). Im Vordergrund steht immer noch die "landesspezifische" Thematik, nicht die Qualität der nominierten Filme beziehungsweise die Leistung nominierter Beteiligter. 

Der deutsche Begriff für diese – gewiss nur mehr oder weniger gelungenen – Auseinandersetzungen mit fragwürdiger Historie lautet übrigens nicht "Romantische Komödie", sondern "Geschichtsbewusstsein". Wie kritisch geht übrigens die US-Gesellschaft mit ihren eigenen historischen Flecken um, Stichwort: Atombombenabwurf? Es hat lange gedauert, bis das Thema mit "Oppenheimer" (dem großen Oscargewinner von 2024, in dem zumindest teilweise US-amerikanisches Geld steckt) endlich angegangen wurde. Und ohne in wohlfeilen Whataboutismus verfallen zu wollen: Wie steht es mit der Ernsthaftigkeit in der Auseinandersetzung mit dem reaktionären Abdriften der US-Gesellschaft, die womöglich zu einer zweiten Präsidentschaft Donald Trumps führt? Reicht ein selbstgerechter Kimmel-Witz in der Zeremonie wirklich aus?

Hätte Hüller für ihre Hedwig-Höß-Performance (für die sie NICHT nominiert war) die begehrte Trophäe womöglich bekommen? Denn: "Ossi spielt Nazi" und ist deswegen oscarreif? Hätte sie dann im Dolby Theatre erklärt, sie wünschte, dafür hätte sie den Preis lieber nicht bekommen? Spekulation! Sandra Hüller ist aber vieles zuzutrauen. Wegen dieser Frau haben wir uns ja die Oscarnacht um die Ohren geschlagen!