Längst hat der Krieg in der Ukraine heftigen Widerhall im deutschen Kulturbetrieb erzeugt, die Fronten der Gesinnung trennten Orchester von ihren Chefdirigenten, Opernhäuser entließen ihre russischen Primadonnen. Der ukrainische Botschafter schlug jüngst eine Einladung des Bundespräsidenten zu einem Benefizkonzert aus, weil zwei Solisten der auftretenden Berliner Philharmoniker aus Russland stammen. Was auf großer Bühne Schlagzeilen macht, setzt sich auch im Kleinen fort. Russische Kulturschaffende sind verunsichert und halten sich lieber im Hintergrund, auch wenn sie sich seit Jahren eindeutig gegen Putin positionierten.
Die Berliner Galerie Diehl zeigt aktuell eine Ausstellung mit fünf ukrainischen Künstlern. Wie passend, könnte man denken. Doch war sie gar nicht geplant, sagt der Galerist Volker Diehl. Ursprünglich sollte der russische Künstler Yuri Albert eine Soloschau in seinen Charlottenburger Räumen bekommen. Doch Albert, der in Köln lebt und ein bekennender Putin-Kritiker ist, fand es selbst unangemessen, sich und seine Werke in diesen Zeiten so zu exponieren. Albert und Diehl einigten sich darauf, die Schau auf später zu verschieben. "Später", das wussten beide, kann alles und nichts bedeuten.
Innerhalb von zwei Wochen nun stellte Diehl eine neue Ausstellung auf die Beine, mit ukrainischen Künstlern, die er vertritt: "Five Artists from Ukraine" heißt die Schau und zeigt abstrakte Arbeiten von Tiberiy Szilvashi, Serge Momot, Serhiy Popov, Constantin Roudeshko und Badri Gubianuri.
"Die Künstler können im Moment jeden Cent gebrauchen"
2016 hatte die Galerie diese Gruppe schon einmal gezeigt. Damals war sie noch unter dem Namen ALLIANCE 22 vereint und bekannte sich zu dem Ziel, abstrakte Kunst in der Ukraine wiederzubeleben und groß zu machen. Denn abstrakte Kunst hat in der Ukraine eine lange Tradition, aus ihr sind Künstlergrößen wie Kasimir Malewitsch, Alexandr Archipenko und Wladimir Tatlin hervorgegangen.
Doch diese Glanzzeiten sind lange vorbei, derzeit seien vor allem figurative und politische Kunst gefragt, erläutert Diehl. Die Ausstellung damals vor sechs Jahren floppte, niemand interessierte sich für ukrainische Künstler und ihre abstrakte Kunst. Deshalb verblieben ihre Werke im Lager der Galerie. Es war für Diehl also ein Leichtes, die Arbeiten zu entstauben und unter neuem Titel und Vorzeichen zu zeigen. "Es ist ein trauriger Anlass, aber vielleicht bekommen diese Künstler nun die Aufmerksamkeit, die sie verdienen."
Diehl fügt hinzu, dass die Ausstellung einem wohltätigen Zweck diene. 20 Prozent vom Erlös soll an die Caritas Ukraine gehen und der Rest direkt an die Künstler. Seine Galerie zieht nur die entstehenden Unkosten ab. "Denn die Künstler können im Moment jeden Cent gebrauchen, den ich ihnen schicke."
Allein im Atelier mit permanentem Luftalarm
Allen fünf Künstlern geht es soweit gut. Tiberiy Szilvashi ist 75 Jahre alt, er hätte aufgrund seines Alters fliehen können, entschied sich jedoch dagegen. Serge Momot und Serhiy Popov sind noch jung und dürfen das Land nicht verlassen. Alle drei harren mit ihren Familien in Kiew aus, in Bunkern und Kellern. Constantin Roudeshko und seine Frau hatten Glück. Als am 24. Februar die Invasion auf die Ukraine begann, befanden sie sich in der bulgarischen Hauptstadt Sofia. Sie sind nicht zurückgekehrt, sondern von dort aus nach Spanien weitergereist, wo er ein Jobangebot bekam.
Und Badri Gubianuri? Er ist vor einigen Tagen in Berlin angekommen. Volker Diehl hat ihm eine Residency auf Schloss Wiepersdorf verschafft. Seine Familie war bereits Anfang März mit dem Zug nach Deutschland zu Verwandten gereist. Er dachte damals, er könne noch in Kiew die Stellung halten. Stolz zeigt er ein Foto von seinem dortigen Atelier. Es ist so groß wie ein Einfamilienhaus, dreistöckig, knallrot und mit Garten. Er nahm Bekannte und Geflüchtete im Atelier auf, an die elf Menschen, groß genug sei sein Keller ja. Doch nach und nach gingen auch sie weg, flüchteten gen Westen, bis er am Ende allein in seinem Atelier saß mit dem nicht enden wollenden Luftalarm in den Ohren.
Er ist genau 60 Jahre alt, wer weiß, ob die Grenzbeamten ihn hätten passieren lassen? Kurzerhand packte er einige seiner Werke in sein Auto und schaffte es nach Polen zu einem Freund. Dort wollte er in der Nähe der ukrainischen Grenze bleiben, um sofort nach dem Krieg wieder zurückzukehren. Dann kam der Anruf von Diehl, ob er in Sicherheit sei. Gubianuri ließ sich überreden, nach Berlin weiterzureisen. Ob er sich gefreut habe, als er hörte, dass seine Werke in der Galerie ausgestellt werden? Gubianuri lacht kurz auf, zieht an seiner Filterlosen und sagt: "In jenem Moment hatte ich überhaupt keinen Kopf für Kunst oder Ausstellung. Meine Sorge galt meiner Familie und wie wir überleben."
In Kerzenstummeln manifestierte Hoffnung
Drei Werke von ihm sind in der Ausstellung zu sehen. Eines ist mit 270 mal 100 Zentimeter das größte Bild in der Schau und sticht außerdem durch Gewicht und Material heraus. Während die anderen Bilder mit Öl, Acryl und Wasserfarben monochrom und leicht gehalten sind, ist dieses Bild uneben, hart und bedeckt mit unruhigen Linienmustern. Gubianuri hat das Kerzenwachs von Stummeln benutzt, die er in orthodoxen Kirchen gesammelt hat. Die Stummel hat er leicht erhitzt und die Masse dann unter großem Kraftaufwand auf die Leinwand gewalzt. Die enthaltenen Dochte bilden das wirre Linienmuster auf dem Bild.
Es wirkt, als würden sich kleinste Lebewesen unter der wächsernen Oberfläche bewegen. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die schmutzige gelb-braune Tönung des Wachses. "Das ist wirklich kein schönes Bild", wie er es selbst ausdrückt. Gubianuri sieht in den Kerzenstummeln die manifestierte Hoffnung der Betenden. In jedem Stummel steckt für ihn die Essenz all der Gebete und Wünsche des jeweiligen Menschen an Gott. In Anbetracht der Zahl der Dochte müsste das Bild vor Hoffnungen schier zerbersten.
Ursprünglich wollte er aus den Stummeln eine drei Meter hohe Säule formen. Doch er hat nur vier Säcke voll bekommen, nicht genug, um eine so hohe und tragfähige Säule zu errichten. So sind die pastosen und wenig schönen Gemälde daraus geworden. Eine passende Metapher auf die derzeitige Situation der Menschen in der Ukraine. Der Untertitel der Schau lautet "Out of the depths", was ein Kirchenlied von Martin Luther zitiert: "Aus tiefster Not schrei ich zu Dir, Herr Gott, erhör mein Rufen." Können Gebete in der Not helfen? Sie müssen.