Streit um Kunsthalle Berlin

"Mir ist lieber, da ist Kunst drin als was anderes"

Im Streit um die private Kunsthalle Berlin im Flughafen Tempelhof haben zwei Künstlerinnen ihre Werke aus einer anderen Ausstellung des Betreibers abgezogen. Der Kultursenat verteidigt indes die Vermietung der Hallen

Die Debatte um die von der privaten Stiftung Kunst und Kultur e.V. Bonn betriebene Kunsthalle Berlin im Flughafen Tempelhof geht weiter. Inzwischen haben die beiden Künstlerinnen Agnieszka Polska und Martina Vacheva ihre Werke aus der Wanderausstellung "Diversity United" zurückgezogen, die ebenfalls von der Stiftung des Kulturmanagers Walter Smerling veranstaltet wird und im vergangenen Jahr in zwei Hangars des stillgelegten Berliner Flughafens gastierte.

Derzeit ist die Gruppenschau mit rund 90 europäischen Künstlerinnen und Künstlern in der Neuen Tretjakow-Galerie in Moskau zu sehen, wo sie auch von der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock besucht wurde. Nach Angaben der Stiftung Kunst und Kultur werden die Arbeiten der beiden Künstlerinnen noch planmäßig bis Mitte März dort zu sehen sein. Bei der nächsten Station der Schau in Paris, die im Palais de Tokyo geplant ist, sollen sie dann jedoch nicht mehr gezeigt werden. "Ich fühle mich erleichtert, entschieden zu haben, nicht an der Paris-Station teilzunehmen, und auch nicht an zukünftigen Ausstellungen dieser Institution", schrieb Agnieszka Polska auf ihrer öffentlichen Facebook-Seite.

Der Künstler Ahmet Öğüt hatte seine Arbeiten, unter anderem die Installation "Swinging Doors" aus Polizeischilden, bereits wenige Wochen nach der Eröffnung in Berlin aus "Diversity United" abgezogen. Auf Anfrage von Monopol schreibt Öğüt, er sei sicher, dass sowohl das kuratorische Komitee als auch die teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler gute Absichten gehabt hätten. Dasselbe könne er aber nicht über die Stiftung Kunst und Kultur und ihren Vorsitzenden sagen. Es habe mehrere Bedenken gegeben, so der Künstler, darunter fehlende Bezahlung für die Teilnehmenden und ein Fokus auf weiße und männliche Protagonisten bei der Vermittlung der Schau. Entscheidend seien für ihn aber zwei politische Aspekte gewesen: die Schirmherrschaft der Ausstellung durch den russischen Präsidenten Wladimir Putin und die Beteiligung eines Sponsors, Meridian Capital, der in den "Paradise Papers" über globale Steuervermeidung auftaucht. "Diese Punkte zeigen für mich einen fundamentalen Mangel an Transparenz, Klarheit und Integrität", so Ahmet Öğüt. 

Die Stiftung Kunst und Kultur teilte nach dem Rückzug von Agnieszka Polska und Martina Vacheva mit, sie bedauere die Entscheidung der beiden Künstlerinnen. Der Stiftungsgründer und Kurator der Schau Walter Smerling kommentierte: "Die Tür ist offen. Ich bin zu Gesprächen über die Entwicklungen um die Kunsthalle Berlin Flughafen Tempelhof bereit und würde mich freuen, wenn wir gemeinsam eine Lösung suchen."

Mit Gerhard Schröder beim Neujahrsempfang

Seine Stiftung war zuletzt heftig in die Kritik geraten, nachdem sie Ende Januar in zwei Hangars des stillgelegten Flughafens Tempelhof eine Ausstellung des Künstlers Bernar Venet unter dem Namen Kunsthalle Berlin eröffnet hatte. Der Begriff ist in der Hauptstadt eng mit den Bemühungen in den 2000er-Jahren verbunden, auf Initiative der Berliner Kunstszene eine öffentlich geförderte Kunsthalle zu etablieren. Dutzende Künstlerinnen und Kulturschaffende teilten auf Social Media einen Boykottaufruf gegen die Institution, die dort als "zynisches, neoliberales Vehikel" bezeichnet wird. Anstatt den Ort den Künstlerinnen und Künstlern der Stadt zugänglich zu machen, würden durch die prominente Plattform private finanzielle Interessen befriedigt. Auch der Berufsverband Bildender Künstler*innen Berlin (BBK) protestierte gegen die Initiative, die sich den Namen Kunsthalle Berlin angeeignet habe.

Die Stiftung Kunst und Kultur Bonn hat mit der senatseigenen Tempelhof Projekt GmbH einen Mietvertrag über zwei Jahre geschlossen. Allerdings verzichtet diese auf die Miete für die beiden Hallen, die Stiftung trägt die Betriebskosten, die aufgrund des maroden Zustands des Flughafengebäudes um die 100.000 Euro pro Monat betragen sollen. Nach Auskunft der Tempelhof Projekte GmbH ist dies jedoch keine Sonderregelung für die Kunsthalle Berlin. "Im Rahmen eines breiten Konsens‘ des Landes Berlin zur Unterstützung von Kunst und Kultur während der Pandemie wurde Mietfreiheit für landeseigene Räume gewährt. Dies wurde auch anderen Veranstaltungen eingeräumt", kommentierte eine Sprecherin. (Aktualisierung: In einem Bericht der "FAZ" schreibt Niklas Maak am Wochenende, dass die Stadt Berlin zusätzlich einen Teil der Betriebskosten trägt).

Als Sponsor der Bernar-Venet-Retrospektive tritt der Immobilienentwickler CG Elementum AG des Bauunternehmers Christoph Gröner auf, der in der Kunstwelt vor allem dadurch bekannt ist, 2019 bei einer Benefiz-Aktion das Gemälde "Der Anbräuner" von Neo Rauch erworben zu haben. Dieser hatte das Werk als Schmähbild auf den Kunstkritiker Wolfgang Ullrich gemalt. Im Magazin "Kulturzeit" auf 3Sat erzählte Gröner, dass er am Tag vor der Eröffnung den Neujahrsempfang seiner Firma (in Anwesenheit von SPD-Altkanzler Gerhard Schröder) in der Venet-Ausstellung gefeiert habe. Solche Veranstaltungen in Kunsträumen sind nicht unbedingt unüblich - für Kritikerinnen und Kritiker ist diese Zusammenkunft jedoch ein weiteres Indiz dafür, dass eines der wichtigsten deutschen Baudenkmäler an einen mächtigen Zusammenschluss aus Wirtschaft und Politik hergegeben wird. 

"Man segelt unter falscher Flagge"  

Walter Smerling hat seit dem Aufkommen des Protestes mehrfach betont, dass er auf die Berliner Kunstszene zugehen und Kooperationen eingehen wolle. Inwiefern die Künstlerinnen und Künstler sowie die Berliner Institutionen das wollen, ist derzeit jedoch unklar. Inzwischen ist auch der ehemalige Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) zunehmend in den Fokus der öffentlichen Empörung geraten. In einem Interview mit dem RBB hatte Smerling berichtet, die Initiative zur Kunsthalle Berlin sei im Herbst 2021 vom damaligen Stadtoberhaupt gekommen. Die RBB-Kunstkritikerin Silke Henning nannte diesen mutmaßlichen Vorgang "ein hübsches Angebot nach Gutsherrenart".

Eine Anfrage für eine Stellungnahme bei Müllers Büro sowie in der Senatskanzlei blieben bis zum Erscheinen dieses Textes unbeantwortet. In der Senatsverwaltung für Kultur und Europa hieß es, man habe davon keine Kenntnis. Auch auf die Frage, ob ein solches Vorgehen für eine längerfristig geplante Kunstinstitution in einem so repräsentativen landeseigenen Gebäude ohne Konsultation des Kultursenats nicht unüblich sei, verwies eine Sprecherin zurück an Müller und die Stiftung Kunst und Kultur. 

In einem Gespräch mit Monopol wies der Kulturstaatssekretär Torsten Wöhlert (Die Linke) darauf hin, dass er die Kritik an der Kunsthalle Berlin insofern verstehen könne, als dass durch den Namen ein falscher Eindruck erweckt werde. "Man segelt unter einer Flagge, die völlig andere Assoziationen weckt. Kunsthalle Berlin suggeriert: Hier ist ein öffentlicher Raum, der ist zugänglich, den kann theoretisch jeder nutzen, und nun wird er verscherbelt", sagte Wöhlert, der auch im Aufsichtsrat der Tempelhof Projekt GmbH sitzt. Die Namenswahl bezeichnet er als "Guerilla-Marketing". "Wer das macht, will entweder die Debatte provozieren, die wir jetzt haben, oder er hat keine Ahnung von der (Kunst-)Stadt Berlin". Handlungsbedarf für den Senat sieht er jedoch nicht, da es sich lediglich um ein Mietverhältnis handele. Auch von Tempelhof Projekte heißt es trocken: "Grundsätzlich benennt ein Mieter seine Veranstaltung eigenständig."

"Es heißt nicht: Weil die da sind, können andere nicht rein"

Wöhlert plädiert dafür, die Vermietung des Flughafens Tempelhof an die Stiftung Kunst und Kultur nicht mit der berechtigten Sorge um bezahlbare Räume für Kultur in der Stadt zu vermischen. "Die Kritik daran, dass man einem Kunstbetreiber zwei Hangars vermietet, die sonst leer stehen oder mit Elektroautorennen bespielt würden, und in denen nun Kunst zu sehen ist, kann ich nicht nachvollziehen", sagt er. "Die Hangars eins bis vier sind genau dazu da, für verschiedene Veranstaltungen vermietet zu werden. Mir ist lieber, da ist Kunst drin als was anderes." Aufgrund des maroden Zustandes des Flughafen Tempelhofs und der dadurch extrem hohen Betriebskosten sei es kaum möglich, die Räume längerfristig mit öffentlichem Geld zu bespielen. Außerdem sei es viel ökonomischer, an anderen Orten zu investieren, an denen es für weniger Geld mehr Flächen für die Produktion und Präsentation von Kunst geben könne.

"Ich sehe da keinen Widerspruch", sagt Torsten Wöhlert. "Beides ist richtig. Den Künstlerinnen und Künstlern fehlt der Platz. Das hat die Politik seit Jahren auf dem Schirm. Das andere ist, was in Tempelhof passiert: Wenn es diese Kunsthalle nicht gäbe, hieße das nicht, dass das ein Raum wäre, den Künstlerinnen und Künstler nutzen können. Es heißt nicht: Weil die da sind, können andere nicht rein. Das ist definitiv nicht so."

Um die künstlerische Vielfalt zu erhalten, von der Berlin auf mehreren Ebenen profitiert für die die Stadt aber aus Sicht vieler Kreativer nicht annähernd genug tut , setzt der Kultursenat auf dezentrale Ansätze. Wichtiger als ein "Leuchturmprojekt" wie eine Kunsthalle sei die Raumsicherung. Das bedeute, bei Neubauten Kulturräume mitzuplanen, bestehende Räume in kommunalen Immobilien dauerhaft zu garantieren, und da, wo es um Mietverträge gehe, diese möglichst langfristig zu gestalten. Die rot-rot-grüne Regierung habe in dieser Hinsicht schon viel geschafft, so Wöhlert, und wolle auch in der neuen Legislaturperiode daran arbeiten. 

Wer derzeit durch Berlin fährt, sieht die Veränderungen im Stadtraum, die zum Teil, aber nicht nur auf die Pandemie zurückzuführen sind. Überall wird gebaut und verdichtet, gleichzeitig stehen riesige Gewerbeflächen wie das ehemalige Karstadt Sport am Zoo oder ganze Büroturm-Etagen leer. Nach einem Gastspiel der Berliner Festspiele im Herbst verfällt auch das frühere Messegebäude ICC wieder ungestört . Wo es gehe, wolle die Stadt auch Zwischen- und Umnutzungen für Kultur unterstützen, sagt Torsten Wöhlert, konkrete Projekte benennt er aber nicht. Vielleicht wäre dies der bestmögliche Ausgang der Kunsthallen-Kontroverse: dass die dringend nötige Diskussion um Kunsträume, die kein Netzwerk aus Kapital und Politik im Hintergrund verlangen, endlich ernsthaft geführt wird.