Wenn man durch die gewundenen Gänge des Madinat Jumeirah spaziert, vorbei an Palmen, künstlich angelegten Kanälen und soukartigen Arkaden, könnte man fast vergessen, dass man sich mitten in einer Kunstmesse befindet. Eher wirkt es wie ein gut geöltes Instagram-Resort, das durchaus als Drehort einer HBO-Serie durchgehen könnte. "The White Lotus"-Fans hätten ihre Freude an diesem Schauplatz: Staffage trifft auf Softpower, Poolside-Prosecco auf kuratierte Weltläufigkeit.
Seit 2007 findet die Art Dubai in diesem architektonischen Mash-up aus Hollywood-Orientfantasie, Beduinenklischee und Disney-Deluxe statt. Und so wenig subtil der Ort ist, so gezielt positioniert sich die Kunstmesse als Schaufenster einer Region im Umbau. In einem Emirat, das noch vor wenigen Jahren mit strengen Visa-Regularien und überschaubarem Kulturbetrieb eher Zwischenstopp als Ziel war, ist ein erstaunlicher Wandel im Gange.
Was als geopolitische Strategie zur wirtschaftlichen Diversifizierung begann, hat längst auch den Kulturbereich erfasst. Die "Vision 2030" – das wirtschaftliche und kulturelle Zukunftsprogramm Saudi-Arabiens – wirkt dabei weit über nationale Grenzen hinaus. Museen, Biennalen, Aufenthaltsstipendien, neue Förderinstrumente: Über die gesamte Golfregion hinweg entsteht eine kulturelle Infrastruktur, die nicht nur der Repräsentation dient, sondern auch als Machtinstrument im globalen Wettlauf um Sichtbarkeit funktioniert.
Dubai profitiert dabei von seiner Rolle als logistisches Zentrum, aber auch von seinem strategischen Selbstverständnis: ein Ort, an dem sich Urbanismus, Finanzkraft und Kulturpolitik miteinander verschalten. Die steuerlichen Vorteile, vereinfachten Visa-Prozesse und der konstante Sonnenschein sind dabei nur das Fundament für das, was als strategisches Kulturbranding verstanden werden kann. Kultur wird hier nicht als dekoratives Beiwerk behandelt, sondern als Ressource – für gesellschaftliche Teilhabe, wirtschaftliche Transformation und internationale Sichtbarkeit.
Trotzig funktionale Kulturpolitik
Natürlich klingt das nach PR. Ist es auch. Aber im Vergleich zu Europa – und speziell zu Deutschland – wirkt diese Version von Kulturpolitik beinahe trotzig funktional. Während dort bei Ateliers, Stipendien und Ausstellungshonoraren gekürzt wird, entstehen hier neue Museen, Programme und Produktionsstätten. Wer da nur mit Stichwörtern wie "Artwashing" und "Kulturbranding" reagiert, verkennt womöglich, dass hier gerade ernstzunehmende Alternativen zum westlichen Institutionsmodell entstehen. Und dass diese Alternativen schneller Realität werden, als man "Kulturhaushalt" sagen kann.
"Hier wartet man nicht zehn Jahre, bis ein Gebäude entsteht", sagt auch die Guggenheim-Direktorin Stephanie Rosenthal im Rahmen eines Panel-Talks auf der Art Dubai. "Es gibt die Bereitschaft, Dinge möglich zu machen – und die Struktur einer Institution auf experimentelle Weise neu zu denken." Eingebettet ist das Gespräch in das diesjährige Talk-Programm der Messe, organisiert von der BMW Group, die seit 2018 als Partner der Art Dubai auftritt.
In diesem Jahr bringt BMW nicht nur das ikonische Art Car von Andy Warhol aus dem Jahr 1979 nach Dubai – eine Pop-Ikone mit Rennstreifen –, sondern auch ein Panel, das sich den Fragen widmet, wie Institutionen heute kuratieren, kooperieren und gestalten können. Unter dem Titel "Driven by Art: Are Commissions and Co-Creations the Future?" diskutieren Hans Ulrich Obrist, Stephanie Rosenthal und Azu Nwagbogu über neue Formen kultureller Infrastruktur, über institutionelle Verantwortung und über das Verhältnis von Freiheit und Gestaltungsmacht – vor dem Hintergrund einer Region, die sich selbst gerade neu erfindet.
Das Gespräch kreist um ein gemeinsames Gefühl von Momentum. Nwagbogu spricht von einer "anabolischen Phase" – einem Zustand des energiegeladenen Aufbaus, in dem Systeme noch nicht verfestigt, sondern formbar sind. Rosenthal betont, wie schnell sich institutionelle Prozesse in der Region realisieren lassen – nicht trotz sondern gerade wegen der fehlenden Beharrungskräfte, die in westlichen Häusern so oft für Trägheit sorgen. Und Hans Ulrich Obrist erinnert an das "long durée"-Denken: Es gehe nicht um symbolische Einzelaktionen, sondern um langfristige Kultivierungsprozesse, um ein institutionelles Gärtnern im besten Sinne – mit dem Ziel, nachhaltig Räume für Kunst und Austausch zu schaffen.
Es geht um Teilhabe, Einfluss, Softpower
Die Art Dubai, die nächstes Jahr in ihre 20. Ausgabe geht, hat sich längst einen festen Platz im globalen Kunstmarktkalender gesichert – nicht als Ableger westlicher Großevents, sondern als eigenständige Plattform mit südlicher Perspektive. Von Beginn an auf Kunst aus der MENA-Region und Südasien fokussiert, erweitert sie kontinuierlich ihren Radius – Richtung Afrika, Richtung Südostasien. Im besten Fall funktioniert sie dabei wie ein Seismograf: für ästhetische Strömungen, geopolitische Verschiebungen und institutionelle Neuanfänge.
Die Messe gliedert sich in vier Hauptsektionen: Contemporary, Modern, Digital und Bawwaba. Während Contemporary und Modern mit einem internationalen Line-up von Galerien aufwarten, ist es vor allem Bawwaba – arabisch für "Tor" –, das kuratorisch herausragt. Die von Mirjam Varadinis betreute Sektion versteht sich als Portal in den Globalen Süden und zeigt zehn Einzelausstellungen, viele davon eigens für Dubai konzipiert. Unter den Künstlerinnen und Künstlern sind Abdullah Al Othman, Gulnur Mukazhanova, Kate Newby, Mohammad Piryaee und Omar Mismar. In einem Umfeld, das stellenweise eher auf Wirkung als auf Inhalt setzt, wirken diese Beiträge fast wie präzise Gegenentwürfe zum dekorativen Überschuss vieler Galerien.
Das Publikum auf der Messe ist so gemischt wie das Ambiente: Zwischen Sammlerinnen und Sammlern aus der Golfregion trifft man auf Kuratoren aus Lagos, Galeristinnen aus Paris, Kritiker aus New York – aber auch auf Influencerinnen mit Presseticket, Start-up-Erben mit Kunstinteresse und Künstlerinnen, die zwischen zwei Messekojen ihre nächste Residency verhandeln. Wer hier ist, will oft mehr als nur Kunst besitzen: Es geht um Teilhabe, Einfluss, Softpower. Kunst wird in Dubai nicht nur ausgestellt, sondern aktiv verhandelt – als Ressource im Spiel um Sichtbarkeit, Zugehörigkeit und Zukunft.
Dass diese Bühne funktioniert, liegt nicht am Zauber des Ortes allein, sondern an einer klaren Strategie: Kultur entsteht in Dubai nicht im luftleeren Raum, sondern innerhalb gut verzahnter Infrastrukturen. Wenn Hans Ulrich Obrist in dem Panel über das institutionelle Gärtnern spricht, meint er genau das – ein Zusammenspiel aus langfristigem Denken und kuratorischer Entschlossenheit. "Das Experimentieren sollte kein Ende haben", zitierte er beim Panel-Talk die Architektin Zaha Hadid. Und vielleicht ist genau das der unerwartete Moment dieser White-Lotus-Szenerie: Dass hinter der Resort-Fassade tatsächlich an Zukunft gebaut wird – nicht als PR-Projekt, sondern als ernstgemeinter Versuch, das kulturelle Spielfeld neu zu vermessen. Zwischen Bougainvilleen, Bodenfliesen und Businesslounge entsteht ein Bild der Kunstwelt von morgen. Und das ist, bei aller Inszenierung, verblüffend real.