Farbattacken der "Letzten Generation"

Warum eigentlich immer orange?

Edvard Munch: "Der Schrei"
Foto: Courtesy, Edvard Munch, National Gallery of Norway, Wikipedia

Edvard Munch: "Der Schrei"

Die Klima-Aktivisten der "Letzten Generation" setzen zunehmend auf Farbattacken als Protestmittel. Am Wochenende traf es das Brandenburger Tor in Berlin. Dabei benutzen sie vor allem Orange-Töne. Welche Symbolik steckt dahinter?

Dass ein prominentes Bauwerk plötzlich in ungewohnten Farben leuchtet, kann durchaus ein künstlerisches Statement sein. So bemalte Ende 2020 ein anonymes Kollektiv die Säulen der Zeppelin-Tribüne auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg in Regenbogentönen - ein buntes Zeichen gegen das gewaltvolle NS-Erbe des Ortes. Am Sonntag bekamen nun noch berühmtere deutsche Pfeiler einen neuen Anstrich. Klima-Aktivisten der "Letzten Generation" besprühten das Brandenburger Tor, Wahrzeichen und omnipräsenter Markenkern der Hauptstadt, mit oranger Farbe. Dafür benutzten sie präparierte Feuerlöscher, die auch in der Streetart und bei großformatigen Werken von Malerinnen und MaIern zum Einsatz kommen.

Nachdem die Gruppe im vergangenen Jahr vor allem mit Nahrungsmittelwürfen auf bereits bestehende Kunstwerke von sich reden machte, hinterlässt sie nun zunehmend ihre eigenen visuellen Spuren. In der jüngsten Vergangenheit wurden auch der Palazzo Vecchio in Florenz, die Berliner Parteizentrale der FDP und das Bundesverkehrsministerium sowie ein Privatjet auf Sylt Ziel von Farbattacken. 

In diesen Fällen war sich die Öffentlichkeit jedoch ziemlich schnell einig, dass es sich nicht um Guerilla-Kunst, sondern um Vandalismus handelt. Die Polizei ermittelt nach eigenen Angaben wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung. Dabei erhebt die "Letzte Generation" selbst durchaus einen künstlerischen Performance-Anspruch für ihre Aktionen, wie ein Sprecher auf Monopol-Anfrage mitteilt. Ein ästhetisch stringentes Konzept haben sie immerhin: Bisher wurden bei allen Sprühangriffen verschiedene Orange-Töne benutzt, die eine optische Wiedererkennbarkeit garantieren. 

Wie der Himmel in Edvard Munchs "Schrei"

Aber warum gerade Orange? Einen größtmöglichen Kontrast zu ihrem Untergrund bietet die Farbe jedenfalls nicht - eher verbindet er sich recht organisch mit dem beigen Stein des Brandenburger Tors oder des Palazzo Vecchio. Fragt man die Aktivisten selbst nach ihrer Präferenz, bekommt man eine etwas vage Antwort. Orange sei neben Schwarz die "einzige richtige Farbe der 'Letzten Generation'", heißt es von der Gruppe. Außerdem handele es sich um eine Warnfarbe, die auch durch Westen und Bojen etabliert sei. 

Kunsthistorisch gesehen ist die Bezeichnung "orange" ein relativ neues Phänomen, da der Name erst mit dem Eintreffen der gleichnamigen Frucht in Europa im 16. Jahrhundert etabliert wurde. Die Pigmente gab es natürlich schon vorher - sie wurden allerdings meist als "Gelb-Rot" beschrieben. In der Farbpsychologie steht Orange oft für Freude, Erfrischung und Lust - was nicht ganz der Gemütslage der "Letzten Generation" entsprechen dürfte, die mit ihren drastischen Aktionen vor den Folgen der Klimakrise warnen will. Die Assoziation "Jugend" trifft es da vielleicht schon eher. 

Einen Hinweis zur intendierten Farbsymbolik gab Carla Hinrichs, eine der prominentesten Mitglieder der "Letzten Generation" auf der Nachrichtenplattform X (vormals Twitter). Dort stellte sie ein Foto des besprühten Brandenburger Tors einer Ansicht von New York gegenüber, auf der der Himmel der Metropole giftig orange leuchtet. Diese Färbung geht auf die verheerenden Waldbrände in Kanada Anfang des Sommers zurück, die Smog und Rauch bis an die US-Ostküste schickten. So wurde die Warnfarbe Orange, Ton des Feuers und der Hitze, plötzlich Teil des Alltags von Millionen Menschen. Es drängten sich Assoziationen zu Edvard Munchs berühmtem "Schrei"-Gemälde auf, auf dem der knallorange Himmel als äußeres Zeichen für Angst und Unsicherheit fungiert. 


Laut der Nachrichtenagentur Dpa wird die Reinigung des Brandenburger Tors einige Tage in Anspruch nehmen, wegen des Alters des Sandsteins (das Monument wurde 1791 fertiggestellt und zwei Jahre später mit der Quadriga gekrönt) sei die ausführende Firma zu äußerster Vorsicht angehalten. Zugleich befinde man sich laut dem Berliner Landesdenkmalamt aufgrund der Aushärtung der Farbe in "einem Wettlauf mit der Zeit." Man gehe aber davon aus, dass alle Pigmente bis Ende der Woche aus dem Wahrzeichen entfernt werden könnten. Die Kosten dafür sollen im fünfstelligen Bereich liegen.

Das Brandenburger Tor, das auch ein Symbol für die deutsche Demokratie und Wiedervereinigung ist, wurde immer wieder für politische Statements genutzt, unter anderem von der Umweltorganisation Greenpeace und der neurechten Identitären Bewegung. Die wohl einprägsamsten Bilder lieferte jedoch jetzt die "Letzte Generation", die auf eine perfekte Beherrschung der Aufmerksamkeits-Ökonomie setzt.

Allerdings werden auch die Stimmen lauter, die die Anliegen der Aktivisten zwar befürworten, ihnen aber inzwischen vorwerfen, die "falschen Methoden" zu nutzen und "die falschen Orte" anzugreifen. Einfach alles orange anzumalen dürfte auf die Dauer keine wirklich vielversprechende Strategie sein, weder politisch, noch ästhetisch. Es gibt schließlich auch nur sehr wenige Künstler (Robert Ryman, Pierre Soulage, Yves Klein), die ihre Karriere auf einer einzigen Farbe aufgebaut haben.