Kunstmesse Contemporary Istanbul

Marathon am Bosporus

Vielleicht stecken wir schon mitten in der Apokalypse, nur dass sie nicht wie in Hollywoodfilmen auf einen Schlag kommt, sondern schleichend. Der Musiker Moby, der als Fotograf in New York kürzlich seine dritte Galerieausstellung eröffnet hat, zeigt in seiner jüngsten Serie, wie das aussehen könnte: Alles wirkt normal, aber durch die Alltagswelt geht ein Riss, im Supermarkt etwa steht eine Maskenfigur zwischen den Waren. An dieses Bild, das auf der am Wochenende zu Ende gegangenen Kunstmesse Contemporary Istanbul (CI) zu sehen war, muss man denken, wenn man in diesen Tagen durch die Metropole am Bosporus geht: Alles scheint wie immer, auch wenn in Syrien und Irak ein furchtbarer Bürgerkrieg wütet, zu dem die Türkei kein Verhältnis findet.

Arbeiten mit direktem politischen Bezug zu den Krisenherden vor der Haustür oder zur eigenen Unzufriedenheit der modernen türkischen Mittelschicht mit der Regierung findet man wenig auf der Messe, die nun ins neunte Jahr geht. Die Kunst ist, wenn schon nicht subtil in ihrer Aussage, so doch schwammig was die Richtung der Anklage angeht. Die Medien, die entfesselte Bauwut in der Stadt, das sind Themen, die man im Kongresszentrum, wo die Messe stattfindet, durchaus sieht. Es ist aber eher ein unterschwelliges Unbehagen, das die Kunst ausdrückt, etwa in der Skulptur von Yaşam Şaşmazer bei Berlinartprojects, welche die Künstlerin selbst darstellt mit einer unheimlichen Doppelgängerin.

Ihr Galerist Tarik Yoleri, der auch Teilhaber bei CI ist, sagt, dass hier auf der Messe die Grundlage gelegt werde für die internationale Öffnung der türkischen Kunst. Von hier aus lernten Sammler und Künstler den Weltmarkt kennen. Tatsächlich sind einige renommierte internationale Galerien in diesem Jahr zum wiederholten Mal dabei: Galerie Lelong aus Paris etwa oder Marlborough aus New York.

Seit einem Jahr aber steht CI – von lokalen Unternehmern gegründet – durch genau diesen internationalen Markt unter Druck: Ende September fand zum zweiten Mal in Istanbul die Messe ArtInternational statt, die von in- und ausländischen Investoren gestartet wurde (möglicherweise mit dem Ziel, die Marke zu verkaufen, sobald sie etabliert ist; zu den Gründern gehört Sandy Angus, der die Art HK an die MCH Group (Art Basel) verkauft hat). ArtInternational, der Name ist Programm: Die Messe zog viele internationale Aussteller an, aber was Besucherzahlen angeht, kann sie noch nicht mit CI mithalten, die im vergangenen Jahr 72.000 Menschen anzog. Die Lage nah am zentralen Taksim-Platz ist für die CI sicher hilfreich. Am Sonntag war sie jedenfalls proppenvoll, obwohl die Stadt zeitgleich mit dem Istanbul-Marathon ein Großereignis feierte.

"Insgesamt können wir mit unserem Ergebnis zufrieden sein", sagt der deutsche Galerist Michael Schultz. "Besonders an die aus Deutschland angereisten Kunstfreunde konnten einige Arbeiten in gute Hände gegeben werden. Das Interesse der türkischen Sammler an internationaler Kunst ist gut, allerdings noch nicht so durchschlagend, dass am Ende auch gekauft wird."

Doch der Markt wächst seit der wirtschaftlichen Öffnung des Landes vor einigen Jahren. Ob er zwei Messen verträgt? „Die Konzentration auf eine Messe wäre wünschenswert“, sagt eine Galeristin der Istanbuler Galerie Rampa. Wie viele andere Galerien der Stadt nehmen sie nun an beiden Messen teil – ein großer Aufwand.