Seit es Museen gibt, haben ihnen Stifter und Mäzene den eigenen Namen gegeben; in der Hoffnung, auf diese Weise zu überdauern, ja, unsterblich zu werden. Wenn das zutrifft, müssten Peter und Irene Ludwig gut 15-fach unsterblich sein, so viele Museen haben sie durch Schenkungen erweitert oder überhaupt erst ins Leben gerufen: von Budapest bis Peking, von Köln bis Kuba. Und doch ist Peter Ludwig nach seinem plötzlichen Tod im Juli 1996 zwar nicht vergessen, aber doch merklich entrückt. Am heutigen Mittwoch, 9. Juli, wäre er 100 Jahre alt geworden.
Ludwig war Kunstsammler; nach Menge der erworbenen Objekte (schätzungsweise 14.000) wohl der größte der deutschen Nachkriegsgeschichte. Auf jeden Fall war er der enzyklopädischste Sammler, der von Antiken bis Pop Art, von präkolumbianischer Kunst bis Meißner Porzellan so ziemlich alles zusammentrug, was auf dem Markt geboten wurde. Und noch darüber hinaus, denn etwa seine ausufernde Sammlung von Kunst aus den damals sozialistischen Ländern hatte gar keinen Markt. Die kaufte er en bloc und, wie es heißt, im Gegengeschäft mit seinen Schokoladen-Produkten.
Denn Ludwig war, fast möchte man sagen nebenbei, auch noch Industrieller. Dem Umbau der Schoko-Firma Monheim zu einem Weltkonzern verdankten er und seine Frau Irene die sagenhaften Mittel, die es ihnen erlaubten, auf Kunstmessen und bei Galerien im ganz großen Stil einzukaufen.
Wie ein Großfürst vor seinem Volke
Endlos die Anekdoten, wie er Händler zu früher Morgenstunde anrief, weil er Kunstdinge noch vor seinem Unternehmer-Job zu erledigen pflegte. Oder wie er bei Documenta-Ausstellungen in Kassel und dem legendären Kölner Kunstmarkt, dem Vorläufer der Art Cologne, auftrat wie ein Großfürst vor seinem Volke.
Groß war er auch von Statur, dabei ungemein schnell in seinen Entscheidungen, mit denen er langsamer tickende Politiker vor vollendete Tatsachen stellte. So auch in Köln: nicht seine Heimatstadt, das war Koblenz am Rhein, aber der Ort seines ersten Auftretens von internationaler Beachtung.
1969 stellte er im ehrwürdigen Wallraf-Richartz-Museum, benannt nach zwei frühen Stiftern, seine gerade erst erworbene Pop-Art samt verwandter Gegenwartskunst aus. Der begleitende Katalog wurde wegen beständigen Zukaufs zur Sammlung viermal erweitert. Der damalige Kölner Museums-Generaldirektor führte mit den Worten ein: "Der Sammler geht voran".
Er ging immer voran
Treffender kann man Peter Ludwig nicht beschreiben, damals nicht und in der Rückschau ebenso wenig Als er nach New York fuhr und die atelierfrische Pop Art sichtete, war er knapp über 40. Er kehrte mit einer der bedeutendsten Pop-Sammlung überhaupt zurück - neben der des Darmstädters Karl Ströher.
Köln wurde nicht nur, aber auch durch Ludwig für ein paar Jahre so etwas wie ein New York am Rhein. Den Stadtvätern, erst begeistert, dann verdattert, rang er 1976 ein eigenes Museum Ludwig ab, dem die Stadt sodann ein Haus bauen musste. Damit das dadurch verdrängte Wallraf-Richartz-Museum nicht auf Dauer leiden musste, erzwang er durch Schenkung seiner Picasso-Sammlung - natürlich die größte in Privathand jenseits der Künstler-Erben - ebenfalls einen Neubau.
Über Picasso hatte der 1925 geborene Peter Ludwig promoviert. Er war, ebenso wie Ehefrau Irene, ein gründlich ausgebildeter Kunsthistoriker; nebenbei Jurist, was ihn zum Industriellen befähigte. Wie viele Sammel-Leidenschaften er bediente, blieb der Öffentlichkeit lange verborgen, die ihn am ehesten mit der Pop Art wie bald auch dem Fotorealismus US-amerikanischer Provenienz verband. Doch nach und nach stellte Ludwig weitere Sammlungsteile vor: die frühsowjetische Kunst, den erwähnten Picasso, die Kunst des Ostblocks. Mit letzterer rannte er gegen den Hochmut der westdeutschen Museumsmenschen an. Nach der Wende verschwand sie denn auch im Depot und wartet darauf, einmal neu gesichtet und gewürdigt zu werden.
In der Grauzone zwischen Kopie und Nachahmung
Die Werke der sowjetischen Avantgarde, auch sie in Köln gefeiert, mussten sich nach Ludwigs Tod kritische Sichtung gefallen lassen. Denn inzwischen war durchgesickert, dass die seinerzeit von einer Kölner Galerie auf verschwiegenen Wegen besorgten Arbeiten nicht alle authentisch waren, etliche wohl in der Grauzone von Kopie und Nachahmung angesiedelt.
Ludwig hat nie mit seinen Schätzen gehandelt, nie auf Wertzuwachs spekuliert, sondern immer auf museale Nutzung hin gekauft. Mit einer Ausnahme. Als er 1983 kurzzeitig in Finanznöten steckte, so sagt man, verkaufte er den unwiederbringlichen Schatz von 140 mittelalterlichen Handschriften für kolportierte 100 Millionen Mark ans Getty Museum in Los Angeles, das auf diese Weise eine erstrangige Sammlung frei Haus bekam.
Das hat damals für böses Blut gesorgt, zumal die Handschriften zuvor vom Kölner Museum Schnütgen überhaupt erst wissenschaftlich erschlossen worden waren. Andererseits gab es keine bundesdeutsche Institution, die hätte einspringen können oder wollen.
Ludwig konnte jeden aus der Fassung bringen
Damit ist der schmerzliche Fleck in Ludwigs Sammlerbiografie angesprochen. Er hatte mit dem Gedanken gespielt, alles in eine zu errichtende deutsche Nationalstiftung zu geben. Er hätte es getan, ums Jahr 1983 herum. Verhindert haben es die Bestandsverwalter des deutschen Museumswesens, darunter die damalige Leitung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die um ihre Bundeszuschüsse bangte.
Zehn Jahre später, im Sommer 1993, ließ Ludwig einen Querschnitt seiner Sammelwut im Germanischen Nationalmuseum - nomen est omen - Revue passieren, unter dem halb ironischen, halb resignativen Titel "Ludwigslust". Die deutschen Feuilletons reagierten eher irritiert als begeistert. Ludwig, so viel steht fest, konnte noch jeden aus der Fassung bringen.
Den Segen hatten und haben die zahlreichen Ludwig-Museen in aller Welt, die er großzügig bestückte und die, wie etwa das Haus in Budapest, seinen Namen beinahe höher in Ehren halten als die in Deutschland. Hierzulande gibt es sie in Aachen, Koblenz und Köln. Wie heutzutage mit den Schenkungen in Peking oder gar Sankt Petersburg umgegangen wird, wüsste man gern. Da war der kulturpolitische Ehrgeiz des Großsammlers die treibende Kraft.
So einen Sammler gibt es kein zweites Mal
Nach einer Allerwelts-Operation, einem Blinddarmvorfall, ist Peter Ludwig 1996 plötzlich verstorben. Seine Witwe Irene Ludwig (1927 - 2010) hielt weitere 14 Jahre lang die ausufernde Stiftung zusammen und ordnete, was für den dauerhaften Nachlass notwendig war.
Einen Sammler wie Peter Ludwig gibt es kein zweites Mal. Er ging voran, in allem, auch wenn bundesdeutsche Kleingeister ihm nicht immer folgen mochten. Er hat vieles bewirkt, Machtmensch, der er war und mit zunehmendem Alter auch immer lustvoller sein wollte. Man wird sich an ihn erinnern, vielleicht jetzt und ganz sicher in Zukunft. Denn die Museen, die seinen Namen tragen, bleiben. Und sie tragen diesen Namen zu Recht.