Hype um Prada

So schön, so hässlich

Nicht nur der Teufel trägt Prada, sondern auch der Rest der Welt. Inzwischen gilt das Luxuslabel als wertvollste Marke des Planeten. Was macht das Unternehmen, das den "Ugly Chic" etabliert hat, so begehrenswert?

Prada auf Platz eins: Das Jahr 2022 schloss das italienische Luxuslabel als die "Hottest Brand" laut dem "Fashion Report" der Trendplattform Lyst ab. Jedes Vierteljahr erstellt die globale Shopping-App einen Index der beliebtesten Modemarken und -artikel. Darin überholte Prada nun sowohl Gucci als auch Balenciaga, zwei Marken, die sich lange den ersten Platz hin und her gereicht hatten.

Von Oktober bis Dezember 2022 stiegen die Suchanfragen nach Prada-Produkten um 37 Prozent - am beliebtesten waren hier die omnipräsenten Slingback-Pumps. Zu den Erfolgsfaktoren sollen auch Pradas Sprung in den Schmucksektor und die erste gezeigte Kollektion aus recyceltem Gold gehören. Außerdem die Wahl von TikTok-Star und Gen-Z-Ikone Charli D’Amelio als das neue Gesicht der Linea Rossa, der jungen, Sport und Technik verbindenden Sub-Linie des Hauses. Und auch die Ernennung von Andrea Guerra zum neuen Vorstandsvorsitzenden dürfte eine Rolle gespielt haben.

Guerra löste somit Miuccia Prada und ihren Ehemann Patrizio Bertelli ab und gilt als Wegbereiter dafür, deren Sohn Lorenzo Bertelli als neuen Leiter der Prada-Gruppe zu etablieren. Die Zügel bleiben in der Familie, und wieder einmal hatte diese den richtigen Riecher und ließ das italienische Luxuslabel so erfolgreich wie nie in sein 110. Firmenjubiläum starten.

Radikale Feministin und Teil der Modewelt

Im Jahr 1913 eröffneten die Brüder Mario und Martino unter dem Namen Fratelli Prada ein Geschäft für Gürtel, Taschen, Koffer und weiteres Reisezubehör in der berühmten Galleria Vittorio Emanuele II in Mailand. Die eleganten Lederwaren wurden schnell so beliebt, dass Prada 1919 als "Offizieller Lieferant des italienischen Königshauses" ernannt wurde und noch heute das Wappen des aristokratischen Hauses Savoyen das dreieckige Prada-Logo ziert.

Mario sah für weibliche Familienmitglieder keinen Platz in seinem Unternehmen, und nur, weil sein einziger Sohn die Übernahme des Geschäfts verweigerte, stieg seine Tochter Luisa Prada mit ein und führte den Betrieb 20 Jahre lang. Ihre 1949 geborene Tochter Miuccia liebte zwar Kleidung, war jedoch davon überzeugt, dass Mode "der schlimmste Ort für eine Feministin in den 60er-Jahren" sei. Lieber genoss sie eine fünfjährige Ausbildung in Pantomime und spielte im Mailänder Piccolo Teatro, nachdem sie eine Dissertation in Politikwissenschaften geschrieben hatte. Später schloss sie sich der kommunistischen Partei Italiens an. In ihrer Studienzeit setzte sich Miuccia Prada für die Gleichberechtigung von Frauen ein und spricht noch heute oft darüber, wie schwierig es für sie sei, eine radikale Feministin und gleichzeitig ein Teil der Modewelt zu sein.

Als sie mit 28 Jahren den in eine Krise geratenen Familienbetrieb von ihrer Mutter übernahm, waren es all diese "außermodischen" Erfahrungen, die Miuccia Prada zu der Koryphäe werden ließen, die sie heute ist. Sie ließ sich nicht von der traditionellen Idee von Luxusmode beeinflussen, sondern hinterfragte sie. "Damals gefiel mir nichts, was ich sah. Es sah einfach alles so alt und spießig und langweilig aus. Ich wollte einfach das absolute Gegenteil von dem suchen, was es schon gab".

Nylon faszinierender als Couture-Stoffe

So experimentierte die Mailänderin mit einem vorher nie genutzten Material für Luxus-Accessoires: einem wasserabweisenden Nylon namens Pocono, der normalerweise im Militär zum Einsatz kam. "Plötzlich sah Nylon für mich faszinierender aus als Couture-Stoffe. Ich beschloss, es auf den Laufsteg zu bringen und es stellte die traditionelle und konservative Vorstellung von Luxus in Frage, ja veränderte sie sogar. Ich bin immer noch davon besessen", erklärte sie. Miuccias "Vela"-Rucksack feierte 1984 sein Debüt, galt als ein Symbol für Modernität und Fortschrittlichkeit und ist noch heute ein Klassiker. So war es ein mit einem gewissen Outdoor-Vibe behafteter Funktions-Stoff, der das Haus Prada zum ersten Mal in eine revolutionäre Richtung trieb.

Von hier aus transformierte Miuccia Prada das Familienunternehmen zu einem Multimilliarden-Dollar-Projekt – immer geleitet durch ihre ursprüngliche Motivation, mehr zu schaffen als "nur Mode": Dazu gehörten die Priorisierung des weiblichen Körpers und ihre gegen den Strich gebürsteten Visionen von Kleidung. 1978 traf Prada auf den ebenfalls aus der Modebranche stammenden Patrizio Bertelli, der ihr Lebens- wie auch Geschäftspartner wurde. Während sie sich um den kreativen Part kümmerte, widmete er sich dem Management und der Business-Strategie. Und doch war er es, der Prada mit dazu ermutigte, neben Accessoires und Schuhen auch eine Modelinie heraus zu bringen.

Zehn Jahre später wurde Miuccia Pradas erste Damenkollektion über den Laufsteg getragen. Noch heute stellt ihr Debüt ein Kernelement des Hauses dar: Der klassischen Männermode entnommene Anzug-Elemente und klobige Silhouetten, jedoch für die Frauen darin designt. Sie hatte Kleidungsstücke für den Alltag "normaler" Frauen entworfen, eine Art Arbeits-Uniform, mühelos und zurückhaltend, die weder von dem typischen Luxus-Kundinnen noch von den aparten Avantgardistinnen gut aufgenommen wurde.

Mehr als "Ugly Chic"

Einige Jahre später jedoch hatte sich das Publikum an die neue Schroffheit und die ungewöhnliche Klassik der Miuccia Prada gewöhnt und feierte in den 1999er-Jahren den von ihr ins Leben gerufenen "Ugly Chic" – einen Begriff, den Prada selbst hinterfragte. "Ich wurde dafür berühmt, dass ich Hässlichkeit in der Mode etabliert habe. Aber das habe ich nicht, ich will das normale, pure Leben etablieren und das, was uns umgibt."

Ihre Frühling-Sommer-Kollektion 1996 mit dem Titel "Banal Eccentricity" verkörperte das Konzept dahinter wohl am besten: Angeführt von einem für die Zeit skandalös biederen Sekretärinnen-Look aus braunem, knielangem Rock und einem hochgeschlossenen, gestreiften Hemd zeigte Prada hellblaue Blusenkleider, knabenhafte Schnitte, Gelbgrün, Senf und Ocker. Muster, die an häusliche Textilien wie Tischdecken und Vorhangstoffe erinnerten, wurden mit breiten, absatzlosen Sandalen gepaart und an Supermodels wie Kate Moss und Carolyn Murphy präsentiert.

"Hässlich ist attraktiv, hässlich ist aufregend. Vielleicht, weil es neuer ist", sagte die Designerin selbst einmal in einem Interview. Sie wolle, dass man sich auf etwas Ungewohntes einlässt, die Komfortzone verlässt und die Bedeutung von "hässlich" generell in Frage stellt – denn oft handelt es sich bei so bezeichneten Objekten ganz simpel um Entwürfe, die für das Auge noch ungewohnt sind und fremd erscheinen.

Kleidung muss man tragen können

Miuccia Prada hatte das traditionell Schöne in Frage gestellt und so einen auf die ganze Modewelt übergreifenden Shift initiiert, dessen Auswirkungen noch heute anhalten. Eine pradaeske Balance wird bei ihr immer gewahrt und macht vielleicht den größten Teil des Erfolgsrezeptes aus. "Sexyness" schreiende Minikleider werden mit Herrenmänteln kombiniert, brave Silhouetten komplett aus durchsichtiger Spitze kreiert, strenge Schnitte wechseln sich mit Schulmädchen-Look ab.

Die Designerin wird dafür geliebt, klassische, in jeder Garderobe zu findende Kleidungsstücke durch ihre zukunftsweisenden Rekonstruktionen zu heißbegehrten Looks zu gestalten - simple but with a twist. Gleichzeitig hegt sie eine Liebe für modischen Kitsch und figürliche Designs, wie etwa den "Prada Banana"-Print und die in lederne Flammen aufgehenden "Hot Rod Heels".

In ihrer Frühling-Sommer-Kollektion aus dem Jahr 2014 manifestierte Miuccia Prada ihr Geschick für Farb-, Material und Musterwahl, mischte Comic-Print mit Sportelementen und brachte glitzernde Bralettes über der Oberbekleidung an. Die Paarung von Alltagskleidung mit als sehr weiblich gelesenen Komponenten wurde zu einer der Charakteristika ihres Designstils, zusammen mit der immer gegebenen Tragbarkeit ihrer Mode. Denn nur, wenn sie auch ihrem Nutzen nachkommt, ergibt Kleidung für Miuccia Prada Sinn.

"Wir interessieren uns für alles"

Manchmal basieren ihre Kollektionen auf etwas, das ihr gefalle, manchmal fasziniere sie eine Tendenz, der sie mit einem ironischen Blick auf den Grund geht. "Menschen sind viel mehr dafür bereit, Verrücktheit zu akzeptieren, als sie denken", erklärte sie in einem Interview, in dem sie zugab, Designkonzepte bis zum Äußersten auszureizen, wenn sie sich ihrer nicht sicher ist. Dieser Ansatz führt noch immer zu großen Erfolgen des Hauses. Zu Beginn der 1990er-Jahre wurde auch die erste Prada-Herrenlinie präsentiert, die heute 30 Prozent des Gesamtumsatzes der Marke ausmacht.

Seit April 2020 teilt sich Miuccia Prada die Kreative Leitung für die Modelinien mit Design-Genie Raf Simons. “Wir interessieren uns beide für alles: die Welt, die Kunst, die Politik, alles. Aber danach und am Ende widmen wir unser Denken der Mode", erklärte Signora Prada die Synergien in einem Interview zum dreijährigen Bestehen der Kreativ-Doppelspitze.

Die 1993 gegründete Zweitmarke, nach Miuccias Spitznamen Miu Miu benannt, wurde kürzlich von Lyst als "Brand of the Year 2022" ausgezeichnet, und Pradas Umsatz im Jahr 2022 belief sich auf 3,25 Milliarden US-Dollar. Im Jahr 2004 pries die Chefredakteurin der amerikanischen "Vogue", Anna Wintour, Miuccia Prada mit den Worten: "Du bist der einzige Grund, weswegen wir alle nach Mailand kommen."

Mode zur Kunst machen

Miuccia Prada und die Prada-Gruppe verstehen es, relevant und ihrer Zeit stets ein paar Schritte voraus zu bleiben – unter anderem, indem sie Mode mit der Welt der Kunst und Popkultur verbinden. Der Film "The Devil Wears Prada", der eigentlich die Gnadenlosigkeit des Betriebs aufs Korn nahm, war 2006 ein Kassenschlager und letztendlich Werbung für das renommierte Haus. 2005 entwickelte das Künstlerduo Elmgreen & Dragset mit "Prada Marfa" eine einer Boutique nachempfundene skulpturale Kunstinstallation. Das freistehende Gebäude mit zwei Schaufenstern befindet sich an der U.S. Route 90 in Texas, 42 Kilometer vom namensgebenden Marfa entfernt und beinhaltet Teile von Pradas Herbst-Winter-Kollektion 2005. Sie ist allerdings nie geöffnet, das Begehren, das sie weckt, wird nie gestillt. Die italienische Marke ist also so berühmt geworden, dass sogar die Kunst sie parodiert.

Im Jahr 2018 wurde die von Rem Kohlhaas’ Architekturbüro OMA gestaltete Fondazione Prada im Viertel Corvetto in Mailand eröffnet – ein Museums- und Kulturzentrum, in dem die gleichnamige Kulturstiftung des Ehepaars Prada ihren Sitz hat. "Mode ist mein Beruf und ich mache ihn mit Leidenschaft, aber er ist auch das finanzielle Mittel, das es mir erlaubt, Zeit und Energie dem zu widmen, was mir am wichtigsten ist: Der Kunst", sagt Miuccia Prada. 2022 belegte sie Platz 15 im Monopol-Ranking der 100 einflussreichsten Personen in der Kunstwelt und gehört mit ihrem Ehemann zusammen zu den "Artnews Top-200-Collectors".

Doch nicht nur Werke ihrer eigenen Sammlung sind an den drei permanenten Standorten der Fondazione in Mailand und Venedig zu sehen, sie beherbergen regelmäßig hochkarätige Ausstellungen wie "Useless Bodies" von Elmgreen & Dragset, "Stop Painting" von Peter Fischli oder zuletzt eine vielgelobte Überblicksschau über das menschliche Gehirn. Über die Jahre hinweg hat Prada sich so in der Kunstwelt einen Namen gemacht und Respekt verschafft – etwas, das nur wenigen Modehäusern wirklich gelingt.

Prada-Täschchen an den Armen von TikTokern

"Jeden Tag denke ich über Veränderungen nach", sagte Miuccia Prada einmal und so liegt es nicht fern, dass auch Nachhaltigkeit eine große Rolle in der jüngeren Geschichte der Marke spielt. Der rote Faden bleibt der aus Nylon. Im Jahr 2019 stellte das Unternehmen die Re-Nylon-Serie aus umweltfreundlichen Materialien vor, eine Kollektion bestehend aus einer Totebag, einer Umhängetasche, einer Gürteltasche und zwei Rucksäcken.

Für die Linie wird Econyl verwendet, ein nachhaltiges Garn, das nach eigenen Angaben unbegrenzt recycelt werden kann und vollständig aus Abfällen wie alten Fischernetzen, Stoffresten, alten Teppichböden und Industriekunststoffen hergestellt wird. Prada-Nylon-Täschchen feiern seit einigen Jahren ein Comeback, gehören zum Y2K-Trend und hängen im Miniaturformat in den Armbeugen von Influencerinnen und TikTokern. Die erste Vision Miuccia Pradas wird nicht alt, und heute genau so euphorisch aufgenommen wie vor 40 Jahren.

Eine der meistgestellten Fragen im Prada-Kontext ist die nach der kreativen Nachfolge, sollte Miuccia eines Tages entscheiden, sich zur Ruhe zu setzen. Für viele ist eine Idee von Prada ohne sie kaum vorstellbar, gilt sie doch als Instanz, die seit fast 50 Jahren dafür sorgt, dass Frauen gut angezogen sind – und Anna Wintour nach Mailand reist. Ihren Weitblick, ihre Erfahrungen und Interessen über die der Modewelt hinaus, ihr politisches, feministisches und sozio-ökologische Engagement, finden sich in ihren durchdachten, markanten Kleidern wieder, machen sie weiterhin relevant und zeitgemäß. Oder wie sie es sagt: "Das Ergebnis meiner Arbeit ist, dass sich die Menschen mit meiner Kleidung wahrscheinlich ein bisschen besser fühlen. Betrachte sie wirklich als ein Instrument für dein Leben!"