Insta-Watchlist mit Sophia Stolz

"Meine Torten sind wie eine punkige Marie-Antoinette"

Sie verspachtelt Fugenmasse statt Buttercreme und backt Geburtstagstorten für Marina Abramović: Sophia Stolz ist alles andere als eine klassische Konditorin und sieht Damien Hirst als Business-Vorbild. Wir haben mit ihr gesprochen

Wenn Haute Couture essbar wäre, würde sie vermutlich aus Sophia Stolz´ Küche kommen. Ihre Torten sehen nicht nur aus wie aus einem Mode-Editorial – sie stehen mittlerweile tatsächlich bei Hermès, Miu Miu oder Bulgari auf dem Tisch. Was als Teenager-Traum begann, nämlich Kuchen für Prada zu backen, hat die Wienerin in die Realität umgesetzt. Heute gestaltet sie nicht nur essbare Skulpturen für Luxuslabels, sondern fertigt auch ganze Gebäckwelten für Filmsets an oder inszeniert Geburtstagstorten für Stars wie Marina Abramović oder Giorgio Armani. Wer sie bucht, bekommt keinen Biskuit mit Belag, sondern ein Gesamtkunstwerk aus Patisserie, Performance und Set-Design – inklusive Sophia selbst.

Ihre Werke entstehen aus allem, was die Idee gerade verlangt: Buttercreme, Baiser – oder eben Fugenmasse und Silikon. Denn nicht jede ihrer Kreationen muss essbar sein. Sie hat erkannt, welches Potenzial Essen als ästhetische Erfahrung bietet: Es ist emotional, spricht mehrere Sinne an und ist zugänglicher als eine 15.000-Euro-Handtasche. Mit ihrem Konzept, dass man Luxus-Marken schmecken kann, hat sie es 2021 sogar auf die "30 under 30"-Liste des Magazins "Forbes" geschafft.

Im Interview für unsere Rubrik "Insta-Watchlist", in der wir Kreative mit sehenswerten Social-Media-Accounts vorstellen, verrät Stolz, warum sie sich selbst als Skulptur- und Performance-Künstlerin sieht. Außerdem erzählt sie, was sie an der Vergänglichkeit ihrer Werke schön findet und worin sie die besondere Ausdruckskraft von Torten im Vergleich zu anderen Kunstformen sieht. 


Sophia Stolz, wie starten Sie eine Zusammenarbeit, wenn jemand eine Torte von Ihnen möchte?

Wenn ich den Kunden nicht kenne oder nicht genau weiß, worum es geht, dann frage ich zuerst Informationen an, also zum Beispiel, wo das Event stattfindet, wie das moodboard vom Rest des Events ausschaut und probiere, mich anhand der Umgebung zu orientieren. Dann baue ich darauf meine Vision auf. Gerade bei "High-Profile-Kunden" wie Hermès muss ich immer eine Skizze der Torte einreichen. Meine Kunden fragen mich ja gerade für meine Kreativität und meinen Input an. Ich würde auch keinen Job annehmen, wo ich nicht mindestens zwischen 20 und 30 Prozent kreative Freiheit habe. 

Die meisten Ihrer Aufträge erhalten Sie aus dem Ausland. Wie kommt die Torte zu Ihren internationalen Kunden?

Ich reise immer mit meinem ganzen Equipment. Dass die Kunden mir Küchen zur Verfügung stellen, ist relativ selten. Meistens muss ich mir selbst eine Küche organisieren und die Torte natürlich vor Ort backen, ich kann nicht mit den Torten reisen. Bei den Küchen hatte ich schon alles dabei: winzig kleine Airbnb-Küchen, Häuser von Milliardären, Keller, Zelte. Ich kann eigentlich überall arbeiten. Ich brauche nur Elektrizität und einen Kühlschrank.


Für solche Events backen Sie nicht nur Torten, sondern inszenieren auch Set-Designs?

Genau, gerade zu meiner Anfangszeit ist mir aufgefallen, dass ich sehr außergewöhnliche Torten gemacht habe, die dann aber irgendwo in einer Ecke standen. Sie bekamen überhaupt nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdienten. Deswegen habe ich begonnen, meinen Kunden anzubieten, dass ich gleich das Ganze drumherum mache, damit sich meine Vision wie ein roter Faden durchzieht.

In Verbindung mit dem Set-Design sind Sie selbst auch Teil der Präsentation und bringen die Torten mit Musik und passenden Outfits zur Veranstaltung. Das erinnert an eine Performance, oder?

Ja, das ist komplett richtig, ich sehe mich schon ein bisschen als eine Performance-Künstlerin. Jeder Job ist wie eine Show, dann habe ich eine ganz andere Bewegung und ich bin auch extra. Ich gehe dann einfach mit dieser riesigen Torte durch die Masse von Menschen und mache allen klar: the cake is here. Zum Beispiel bei Miu Miu, das war eine reine Performance in einem wunderschönen Schloss. Und dann bei Moncler war ich wie Frau Holle mit dem ganzen Schnee.  


Wie kommen Ihre Aufträge zustande? Durch Ihre Agentur oder einfach durch DMs bei Instagram? 

Seit den letzten Jahren ist es sehr viel word of mouth. Leute fragen Leute, mit denen ich schon einmal zusammengearbeitet habe, nach meiner Nummer. Ich habe keine Homepage, und ich mache es den Leuten auch nicht einfach, mich zu kontaktieren. Das ist gewissermaßen eine Strategie von mir. Denn ich möchte nicht, dass meine Torten eine Standardbestellung werden. 

Wie würden Sie die Ästhetik Ihrer Torten beschreiben?

Meine Torten sehen aus wie eine punkige Marie-Antoinette. Bei Marken-Kollaborationen weiche ich schon gelegentlich ab, aber dann ist es trotzdem nie nur Marie-Antoinette. Torten sind immer wunderschön, perfekt und wirklich fabelhaft. Aber dann muss ich noch meine Note hineinbringen - und ich bin eher die punkige Person. 

Ihre Torten erinnern oft an ein barockes Stillleben mit Vanitas-Elementen. Nehmen Sie Ihre Inspiration auch aus klassischen Gemälden

Seitdem ich Torten mache, habe ich immer verschiedene Phasen, in denen mich unterschiedliche Dinge inspirieren. Zeitweise waren es tatsächlich die alten Meister. Vanitas fand ich dabei schon immer toll. Mein Herz schlägt natürlich für alle Gemälde, die mit Essen zu tun haben. Diese Vergänglichkeit sehe ich auch in meinen Torten. Man hat diesen großen Moment beim Anschneiden der Torte, aber dann isst man sie, und der Moment ist wieder vorbei. Es ist wunderschön und traurig zugleich. In letzter Zeit finde ich aber auch den Neo-Klassizismus oder Biedermeier und die ganze Kunsthistorie Wiens spannend. Adolf Loos beeinflusst mich gerade sehr. 

Ihre Torten erinnern durch Höhe und opulente Verzierung oft an Skulpturen. Sehen Sie sich als Bildhauerin – nur mit Mehl und Fondant?

Meine Arbeit hat mehr mit Bildhauerei als mit Patisserie zu tun. Weil ich auch so viele Fake-Torten mache, das hat ja gar nichts mehr mit Backen zu tun. Ich arbeite mit Gips, mit Keramik, mit Silikon, als würde ich eine Skulptur bauen. Ich finde es auch schön, wenn man meine Torten gar nicht mehr als Torten erkennt. 


Das, was Sie machen, kann man nicht richtig einordnen. Sie backen, gestalten Set-Designs und sind content creator. Ist es Ihr Konzept zu sagen: Ich bin ganz vieles?

Von dem, was ich heute mache, hatte ich schon mit 18 Jahren eine klare Idee. Zum einen wollte ich nie ein Teil der Kunstwelt sein, weil ich mich mit diesen Leuten nicht messen will. Ich wollte aber auch nie eine Konditorei eröffnen. Und wenn ich eine Konditorei öffnen würde, wäre die ganz anders als ein "normaler" Kuchen-Shop, das wäre mehr wie eine cake gallery. Ich bin aber auch keine reine Influencerin, weil ich auch 100.000 andere Sachen mache. Am Anfang habe ich für große Events nur die Torten gemacht, jetzt werde ich als Influencerin und cake artist eingeladen. Und das ist mir ganz wichtig. Ich wollte immer in meiner ganz eigenen Welt sein, damit ich mich erstens als Selbstschutz nicht mit irgendwem vergleichen muss und zweitens, weil ich glaube, dass ich auch gar nicht in eine Kategorie reinpassen würde. 

Worin liegt für Sie die besondere Ausdruckskraft von aufwendigen Torten im Vergleich zu anderen Kunstformen?

Ich denke, dass meine Kunstform den großen Vorteil hat, dass sie mehrere Sinne stimuliert. Dadurch kann ein größerer Erinnerungswert geschaffen werden, weil du so viele Erlebnisse mit einem Bissen hast. Und wie zuvor erwähnt, hat mein Medium eine Vergänglichkeit. Das heißt, ich kann in zehn Jahren nicht noch mal die Torte anschauen oder kosten. Was aber auch die Schönheit davon ist. 

Und warum ist das schön für Sie? 

Weil wir in einer Zeit leben, in der man alles sehen und haben kann. Fast alles ist mehr zugänglich und weniger außergewöhnlich. Aber stell dir vor, es ist dein Geburtstag, du hast dein riesiges Fest, und dieses ganze Gefühl bekommst du mit meiner Torte in einem Bissen, der so nie mehr wieder kommt. Und diese Art von Einmaligkeit ist in unserer Welt der unbegrenzten Möglichkeiten etwas wahnsinnig Schönes. 

Sie haben bereits mit Marken wie Fendi und Co. zusammengearbeitet. In letzter Zeit sieht man, dass viele Luxuslabels eigene Cafés eröffnen oder sich stärker mit dem Thema Essen beschäftigen. Wie erklären Sie sich diesen Trend?

Ich bin der Meinung, dass Essen nicht nur ein Erlebnis auf vielen Sinnesebenen ist, sondern auch eine sehr subtile Art und Weise, Marketing zu betreiben. In einem Alaïa-Café kann jeder einen Alaïa-gebrandeten Kaffee oder Macaron kaufen. Nicht jeder kann sich ein Alaïa-Kleid für 15.000 Euro kaufen. Deswegen ist es ein cleverer Weg, nicht nur Luxuskunden abzuholen, sondern die Marke dadurch zugänglich zu machen. Ich selbst arbeite für closed events, also VIP-Events. Aber auch hier agiert meine Art des Essens als Wiedererkennungswert. Wenn du zu einem Event von Marke XY gehst, postest du vielleicht ein oder zwei Kleidungsteile. Das ist auf Dauer langweilig und macht jeder. Aber wenn man nun ein gebrandetes Törtchen sieht, ist das etwas Besonderes und einfach schön anzusehen. Damals vor zehn Jahren hat das niemand gemacht. Essen war auf solchen Events eine Nebensache, aber heutzutage wird es wirklich zelebriert. 

Gab es für Sie Inspirationen aus Kunst oder Kulinarik, an denen Sie sich früh orientiert haben?

Business-technisch hatte ich einige Vorbilder, und das waren eigentlich meistens Künstler. Zum Beispiel Damien Hirst. Von seiner Kunst bin ich kein Fan, aber ich habe alle Bücher über ihn gelesen, weil er ein unschlagbar guter Geschäftsmann ist. Ich habe in meinem Kunstgeschichtsstudium sehr schnell erkannt, dass das mit der intellektuellen Seite von Kunst nicht so gut funktionieren wird und verstanden, dass der Verkauf viel besser zu mir passt. Dementsprechend habe ich mich sehr mit dem Kunstmarkt und den Künstlern beschäftigt, die erfolgreich ihren Weg gegangen sind, und mir davon viel abgeschaut. 

Und darüber hinaus?

In Verbindung dazu habe ich mich auch intensiv mit Food Start-ups beschäftigt. Ich fand es spannend, wie ein "Hero-Produkt" erschaffen wurde, das dann die Leute angezogen hat und zu einem Hype geworden ist. Stichwort Tartine Manufactory in San Francisco, die Sauerteigbrot wieder cool gemacht hat.