Timm Rauterts Familienfotos

Anfänge

Mit seiner Fotoserie "Anfang" inszeniert Timm Rautert in Triptychen junge Kleinfamilien und ihre Wohnräume. Zum Vatertag zeigen wir die Szenen zwischen biblischen Motiven und kreativem Chaos

Als Timm Rautert 1971 eine Familie im Chelsea Hotel in New York fotografiert, weiß er noch nicht, dass dies 45 Jahre später der Beginn seiner Serie "Anfang" ist. Auf die Idee kam der Professor für Fotografie, da sich im Leipziger Hörsaal zu seinen Studierenden immer mehr Kinder gesellten. Die jungen Menschen, die sich mutig der Verantwortung einer Familie stellten, faszinierten ihn. Dem Thema blieb der Fotograf zehn Jahre lang treu. Das Ergebnis sind Aufnahmen von rund 40 jungen Kleinfamilien in ihren Wohnungen.

Jedes Werk ist als Triptychon aufgebaut: im Mittelfeld meist die junge Familie, an den Seitentafeln die Wohnräume. Der Künstler fotografiert die drei Bilder von einem einzigen Punkt aus. Die Kamera auf dem Stativ schwenkt für die Seitentafeln einmal nach rechts, einmal nach links. Aber die Wahl dieses dreiteiligen Bildaufbaus hat seinen Ursprung ganz klar im Flügelaltar.

Die autoritäre Form ist schon immer bedeutenden Themen vorbehalten. Die Porträtfotografie gilt zudem als der Beginn dieses technischen Mediums. So findet sich der Titel der Fotoserie auf verschiedenen Ebenen wieder. Gemeint ist aber allen voran der Anfang einer Familie.

Die Partner erleben sich neu – als Vater, als Mutter

Wenn die Gruppe von Vater, Mutter und Kind (Rautert bleibt bei dieser klassischen Konstellation) in der Mitteltafel sitzt, steht sie im Zentrum. Timm Rautert porträtiert das Wir einer Familie in der eigenen heimischen Umgebung. Die Personen wirken fast statisch, während die Wohnräume von einem gewissen kreativen Chaos beherrscht werden.

Tatsächlich wird die erste gemeinsame Wohnung mit Familiengründung schnell zu klein, Kinderspielzeug macht sich überall breit. Kinder verändern nunmal das Leben in fast allen Bereichen und diese ersten Jahre als Familie sind intensiv. Zugleich vergeht die Zeit in Windeseile bis der Sprössling das erste Mal spricht, krabbelt, geht. Es ist eine besondere Lebensphase, denn das erste Kind macht aus einem Paar eine Familie. Die Partner erleben sich neu  als Vater, als Mutter.

So authentisch die Bilder von Timm Rautert auch wirken, emotionale Wärme strahlen sie nicht gerade aus. Sie sind sachlich, kleben am sich wiederholenden Bildaufbau. Auch die Anordnung der Figuren ist klassisch: das Kind meist auf dem Schoß der Mutter, der Vater oft größer als die übrigen Familienmitglieder oder hinter ihnen stehend. In dieser Pathosformel ist der Verweis auf die heilige Familie unübersehbar. So wird den unbekannten, jungen Familien durch Komposition sowie Bildtypus eine Ehrung entsprechend christlicher Ikonografie zuteil. Es sind diese formalen Aspekte, die die Botschaft vermitteln. Sie lautet: Der Anfang einer Familie ist immer etwas Besonderes!