KI soll Kunstfälschungen erkennen

"Unser Algorithmus interessiert sich nicht für Geld, sondern für Daten"

Ausstellung "Kunst und Fälschung"
Foto: dpa

Das Originalwerk "Fränzi liegend" (1910) (l) von Erich Heckel und eine Fälschung von Edgar Mrugalla im Heidelberger Kurpfälzisches Museum in der Ausstellung "Kunst und Fälschung" (bis 30. Juni )

Das Schweizer Start-up Art Recognition hat eine KI entwickelt, die Kunstfälschungen enttarnen soll. Dazu wurde der Algorithmus an mehr als hunderttausend Bildern trainiert. Wie zuverlässig ist das Tool?

Als der deutsche Maler Wolfgang Beltracchi 2011 wegen seiner Fälschungen verurteilt wurde, löste das einen der größten Skandale im Kunstmarkt der vergangenen Jahrzehnte aus. Liebe Carina Popovici, hätte der Algorithmus von Art Recognition die Bilder des "Jahrhundertfälschers" als Betrügereien erkannt?

Ja, da bin ich mir sicher.

Auch wenn Experten daran gescheitert sind? Sogar absolute Koryphäen für die Bilder von Max Ernst oder Heinrich von Campendonk, zwei der Maler, die Wolfgang Beltracchi besonders gut drauf hatte.

Ja, und genau das ist einer der Gründe, warum ich mir so sicher bin. Unser Algorithmus ist ein Programm. Kein Mensch. Der Fälscher Beltracchi war auch deshalb so erfolgreich, weil er wohl Experten - ich sage es vorsichtig - umgarnt hat. Er hat sie damit geködert, dass er ihnen einen Anteil am Verkauf der Bilder in Aussicht stellte. Das ist eine Schwachstelle im Kunstmarkt. Manchmal gibt es für einen Künstler einen besonders berühmten Experten. Der besitzt viel Macht. Er kann mit seinem Urteil den Wert eines Bildes von 100 Dollar auf zehn Millionen Dollar explodieren lassen. 

Sie könnte ein Fälscher nicht bestechen?

Man sagt ja, jeder Mensch sei käuflich. Aber bei uns müsste der Fälscher nicht nur mich, sondern ein ganzes Team bestechen, das die Bildanalysen durchführt. Unsere Programmierer, unsere Kunsthistorikerinnen. Außerdem interessiert sich unser Algorithmus nicht für Geld, sondern für Daten.

Auch Daten können manipuliert werden …

… sicher, schon klar. Aber nicht so, wie sich das manche Leute vorstellen. Wir hatten schon einmal ein unmoralisches Angebot: "Hier habt ihr zehn Bilder eines Künstlers, trainiert damit eure Software und danach bestätigt ihr mir die Echtheit eines Bildes." Zehn Bilder! Das Ergebnis wäre gar nicht aussagekräftig. Unser Algorithmus braucht deutlich mehr Bilder. 

Wie viele Bilder sind deutlich mehr?

Wir haben unseren Algorithmus bisher mit mehr als hunderttausend Bildern trainiert. Das Programm kann zu dreihundert Künstlern eine Expertise abgeben.

Wie sieht das Training aus?     

Das neuronale Netz, mit dem wir arbeiten, heißt Visual Transformers. Eine andere Form von Transformers steht auch hinter ChatGPT. Dieses vortrainierte Netz haben wir mit unseren Daten für unsere Zwecke weiter trainiert. Einfach gesagt läuft es so: Wir füttern das Netz mit authentischen Bildern aber auch mit negativen Beispiele - dazu zählen gute Fälschungen sowie Bilder von Followers eines Künstlers, Werken aus seiner Schule, Imitationen und sogar Bilder, die im Stil eines Künstler von einer generativen KI erstellt wurden. Normalerweise füttern wir etwa 90 Prozent eines Datensatzes in das Training, während die restlichen zehn Prozent zunächst beiseite gelassen und erst nach dem Training hinzugefügt werden, um zu testen, ob der Algorithmus erfolgreich gelernt hat. Dadurch überprüfen wir, ob die Bilder, die er noch nicht gesehen hat - sowohl authentische als auch nicht-authentische - entsprechend erkannt werden. In unzähligen Durchgängen testet unser Algorithmus in diesen Bildern eigenständig spezifische Merkmale. Hat er mit einem Muster keinen Erfolg, verwirft er es. Bestätigt sich eine Annahme immer wieder, wendet der Algorithmus das Merkmal immer konsequenter an, um einen Künstler immer besser kennenzulernen. Seine Ergebnisse im Training beantworten wir mit richtig oder falsch. Wir helfen dem Algorithmus, seine Annahmen zu gewichten. 

Bei diesem sogenannten maschinellen Lernen ist es oft so, dass man gar nicht so genau weiß, wie der Algorithmus lernt.

Stimmt. Wir wissen nicht genau wie der Algorithmus lernt, aber wir können Visualisierungen einbauen, die uns zeigen, welche Kriterien er bei seinen Entscheidungen stärker als andere gewichtet. Wir können außerdem den Algorithmus in Segmente unterteilen. Das verrät uns, ob er zum Beispiel die Pinselführung eines Künstlers lernt. Die ist für uns besonders wichtig. Sie ist wie ein Fingerabdruck. Kopiert jemand die Pinselführung und mag er auch noch so gut sein, erkennt der Algorithmus kleinste Unterschiede, also die Mühe, die es im Vergleich zum Original kostet. Wolfgang Beltracchis Pinselstrich ist anders als der von Max Ernst, auch wenn das fertige Ergebnis täuschend echt erscheinen mag. Daneben lernt der Algorithmus aber auch Farben und ihre Abstufungen, stilistische Besonderheiten und beliebte Motive eines Künstlers.

Wie gut sind die Urteile ihres Algorithmus? 

Hat der Algorithmus einen Künstler aufgrund zweifelsfrei zugeordneter Bilder gelernt, kann er Bilder, die ihm gezeigt werden, diesem Künstler mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit zuordnen oder eben nicht. Die Antworten liegen in der Regel bei über 80 Prozent. Am Ende des Tages können wir den Kunden sagen, wie wahrscheinlich es ist, dass das Bild tatsächlich vom Künstler stammt. Wir sagen aber auch immer: Eine 100-prozentige Garantie gibt es nicht. Das liegt auch daran, dass wir unsere Kunden oft nicht gerade glücklich machen. Stellt sich ein Kunstwerk als Fälschung heraus, ist es oft kaum mehr etwas wert.

Ihre Kunden können dann immer noch zu den schon angesprochenen Experten gehen.

Natürlich. Und dort bekommen sie dann häufig zwei komplett gegensätzliche Einschätzungen. Der eine Experte sagt: Ja, aber ganz sicher. Der andere: Nein, auf gar keinen Fall. Solche Experten haben in der Regel ein großes Ego. Daran kratzen wir mit unserem Algorithmus. Ein Experte ist in der Regel auf einen Künstler spezialisiert, manchmal auf eine Schule, selten auf eine ganze Epoche. Dafür braucht er oft sein halbes Forscherleben. Unser Algorithmus kann innerhalb von zwei Wochen 20 Künstler lernen. 

Das klingt danach, als würde die Künstliche Intelligenz den Beruf überflüssig machen. 

Nein, das sehen wir überhaupt nicht so. Unser Algorithmus ist ein Werkzeug. Es ergänzt andere bewährte Methoden wie die chemische Analyse von Farben oder der Leinwand. Auch deshalb arbeiten wir mittlerweile mit Auktionshäusern in der Schweiz zusammen. Ein Bild aus dem Impressionismus zu den zwei dafür maßgeblichen Stellen nach Paris zur Prüfung zu schicken, kostet mit Transport und Versicherung zehn- bis fünfzehntausend Franken. Uns senden sie nur einige Fotos zu. Die können sie sogar mit einem Mobiltelefon machen, wenn die Kamera gut ist. Aufgrund unser Analyse entscheiden sich die Häuser dann, ob sie das Bild auch noch einmal nach Paris schicken. Etwa um eine weitere Meinung einzuholen oder wegen des Renommees, das wir noch nicht haben können. Wir wollen aber die Experten in ihrer Arbeit unterstützen, nicht gegen sie arbeiten. Unser Ziel ist es, gemeinsam mit ihnen den Kunstmarkt transparenter zu gestalten.

Haben Sie keine Angst, kopiert zu werden?

Das unserem Programm zugrundeliegende Netz ist kein Geheimnis. Damit können auch andere Start-ups arbeiten. Und es ist auch keine neue Erkenntnis, dass das maschinelle Lernen unschlagbar gut darin ist, Muster in Texten und Bildern zu erkennen. Aber wir haben einen Vorsprung von vier Jahren. Das heißt: Wir haben die Daten. Oder genauer: Wir haben kuratierte Daten. Die Bilddatenbank für das Training des Algorithmus aufzubauen, war vielleicht die größte Herausforderung. Es ist sehr aufwendig, hochauflösenden Aufnahmen aller Kunstwerke zusammenzutragen. Dafür reicht es nicht, in Open-Source Datenbanken zu suchen, wir haben auch mit Museen und Sammlern zusammen gearbeitet. Jedes Bild lassen wir von unseren Kunsthistorikern mit einer Quellenrecherche in Werkverzeichnissen prüfen, in denen das Oeuvre eines Künstlers dokumentiert ist. Unser Algorithmus darf nur mit wirklich echten oder als falsch ausgewiesenen Bildern trainiert werden. Sonst würde auch er auf Fälscher wie Wolfgang Beltracchi hereinfallen.