"Träumen Tiere von der Freiheit?" Forschende gehen davon aus, dass zumindest viele Arten im Ruhezustand mentale Bilder erleben. Wenn eine Katze dabei mit den Pfoten zuckt, gilt das als Hinweis darauf, dass auch nichtmenschliche Lebewesen Erinnerungen verarbeiten. Was dabei in ihren Köpfen vorgeht, bleibt jedoch ein Rätsel. Da sie nicht sprechen, können sie ihre inneren Bilder nicht mitteilen. Um exakte Wissenschaft geht es in der jüngsten Ausstellung im EMST, dem Athener Museum für Gegenwartskunst, auch gar nicht. Der paradoxe Slogan, mit dem es auf Plakaten in der Stadt für seine Schau "Why look at animals?" wirbt, steht gleichsam als Platzhalter für ihre eigentliche Intention: Ein starkes Plädoyer "For the Rights of Non-Human Lives" in die Welt zu tragen. So propagiert es der Untertitel.
John Bergers gleichnamiger Essay von 1980, der der Ausstellung den Namen gab, ist für Kunsthistoriker und Kuratorinnen bis heute ein ikonischer Text. Für den 2017 verstorbenen legendären Kritiker war der Zoo die Metapher für die "kulturelle Verdrängung der Tiere". Zum Demonstrationsobjekt kolonialer Macht und Objekt des menschlichen Blicks degradiert, kann es selbst nichts mehr fokussieren.
Heute hat sich diese Marginalisierung im Zeichen von Massentierhaltung, Fleischskandalen und Tierversuchen zugespitzt. Unter dem Stichwort "Zoopolis" propagieren Philosophen eine politische Theorie der Tierrechte, die unveräußerliche Grundrechte, Staatsbürgerschaft, sogar Einwohnerstatus einschließt. Grund genug für eine Kuratorin, die nach eigenem Bekunden gern „zum Nachdenken anregende Ausstellungen" macht, sich dieses Thema vorzuknöpfen.
Eine Ausstellung wie eine Biennale
Um starke Thesen ist Katerina Gregos, seit 2021 Direktorin des EMST, nie verlegen. Politisch brisante Themenausstellungen von den Menschenrechten über die Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland bis zur Zukunft Europas, zahllose Biennalen bahnten der Athener Kunsthistorikerin, deren Karriere als freie Kuratorin in Brüssel begann, den Weg an die Spitze der zum Museum umgebauten Brauerei Fix. Diese rückte 2017 als Schauplatz von Adam Szymczyks Documenta 14 "Learning from Athens" ins Bewusstsein der internationalen Kunstwelt.
Im vergangenen Jahr räumte die Frau mit einem Hang zum Großformat ihr Haus unter dem Titel: "What If Women Ruled The World?" für Kunst ausschließlich von Frauen frei. Nachdem Gregos mit der Öffnung des Museums für Haustiere bereits ein Zeichen gesetzt hat, folgt mit "Why look at animals?" die erste Großausstellung weltweit zum Thema Tierrechte weltweit. Mit rund 200 Werken von 60 internationalen Künstlerinnen und Künstlern – in die Schau sind Solo-Shows von Sammy Baloji, Emma Talbot, Kasper Bomanns und Janis Rafa integriert – gleicht das Projekt einmal mehr einer Biennale.
Trotz der in zahlreichen Ländern – auch in Griechenland – verbesserten Tierschutzgesetze hat sich an dem grundlegenden zivilisatorischen Dilemma wie es Berger beschreibt, nichts geändert. Nicht ganz zu Unrecht spricht Gregos angesichts der Milliarden von der internationalen Fleischindustrie systematisch getöteten Tiere weltweit von einem verdeckten Holocaust.
Das Tier als Lebewesen eigenen Rechts
Einen Beleg dafür liefert die Singapurer Künstlerin Ang Siew Ching mit ihrem Video "High-Rise Pigs". Der knapp 20-minütige Streifen, eine Mischung aus Dokumentation und Simulation, nimmt das Geschehen in der größten industriellen Schweinefabrik der Welt im chinesischen Hubei in den Blick. In dem 26-stöckigen Gebäude, jede Etage umfasst 400.000 Quadratmeter, werden jedes Jahr 1,2 Millionen der Tiere geschlachtet: Von der Geburt bis zum Tod auf der Schlachtbank verlassen sie die Fabrik nie.
Ching erspart den Betrachtenden die zu erwartenden Grausamkeiten. Die entscheidenden Momente im Leben der armen Schweine stellt sie mit Hilfe von Tierfiguren nach. Der Blick durch die Kamera auf die kleinbürgerliche Provinz mit sorgsam gepflegten Schrebergärten, in der sich die Nachbarn leise über den Schweinegeruch beschweren, wirkt beklemmender als jeder Gemetzel-Verismus.
Angesichts der aufgeheizten Debatte um Erinnerungspolitik und den Status des Holocaust würde in Deutschland ein Holzschnitt wie der der US-Künstlerin Sue Coe inzwischen vermutlich Relativierungs-Vorwürfe nach sich ziehen. Das Werk zeigt aber vor allem, wie die Kunst, bei dem verständlichen Bemühen, die Grausamkeit der Massentierschlachtung anzuprangern, über das Ziel hinausschießen kann. Auf dem schmalen Schwarz-Weiß-Werk ist der Satz "Auschwitz begins Whenever Someone looks at a Slaughterhouse and Thinks They are only Animals" zu lesen. Die Arbeit zeigt eine Szene, in der Kühe von Arbeitern in einen Schlachthof geführt werden. In dem Bemühen, auf Gregos' Idee vom Tier als Lebewesen eigenen Rechts hinzuweisen, setzt Coe auf den Schockeffekt eines Zitates, das auch die US-Tierschutzorganisation Peta (People for the Ethical Treatment of Animals) benutzt. Zitateforschern zufolge wurde es anscheinend erstmals 1992 von der damals noch grünen Abgeordneten Vera Lengsfeld im Deutschen Bundestag dem Philosophen Theodor W. Adorno unterschoben. Belege dafür finden sich so nicht, es ist vielmehr aus ähnlich klingenden Ideen Adornos zum Verhältnis von Tier und Mensch zusammengebastelt. Coes Werk stammt aus dem Jahr 2009. Ein Hinweis auf die Diskussion zu dem Satz findet sich bei ihr nicht. Auf ihrer Website spricht die Künstlerin nur von einem "purported", einem angeblichen Zitat.
Neue Formen des Zusammenlebens zwischen den Arten
Fast schon klassisch dagegen argumentiert der US-amerikanische Zeichner und Objektkünstler Mark Dion, ein besessener Sammler. Aus Archiven hat er Porträts von Männern zusammengetragen, die in Siegespose über bei der Jagd erlegte Beute stehen. Die Phalanx von Werken, die das Regime des Menschen über die Tiere anklagen, nachstellen, auffächern, mündet in der Installation von Radha D’Souza und Jonas Staal: Die gelbe Tribüne für den von den Künstlern vorgeschlagenen "Court for Intergenerational Climate Crimes (CICC)" wird gerahmt von gemalten Porträts der, seit dem Kolonialismus ausgerotteten Tierarten. Hier wird deutlich, dass die Schau menschliches und nichtmenschliches Leben vielleicht etwas umstandslos gleichsetzt.
Gegen derlei Arbeiten, die Tierschützer-Herzen höherschlagen lassen, stehen aber immer wieder solche der reinen Poesie. Xavi Bou, ein Künstler aus Barcelona, hat die Flugbewegungen und die Flugwege von Vögeln mit einem High-Speed-Video gefilmt und die Tausende Bilder, die dabei entstanden sind, zu Collagen abstrakter Muster verdichtet, die wie Kohlezeichnungen wirken - eine Ode an die Schönheit des Vogelfluges.
Viel ändern an einem jahrhundertealten Dominanzverhältnis kann eine so energisch argumentierende, opulent kuratierte Schau natürlich nicht. Immerhin liefert sie viele faszinierende Beispiele für Gregos Intention, "unsere Beziehung zu den nichtmenschlichen Wesen, mit denen wir die Erde gemeinsam bewohnen, zu überdenken, uns neue Formen des Zusammenlebens zwischen den Arten vorzustellen und anzuerkennen, dass die Intelligenz der Tiere zwar anders, aber nicht geringer ist als unsere eigene."
Zwischen Revolution und Reformation
Dazu zählt auch David Claerbouts Rewriting des "Dschungelbuchs", der das Bewusstsein von Generationen prägte. In einer drei Jahre währenden Arbeit hat er dem Zeichentrick-Film den Zahn des fröhlichen Anthropomorphismus gezogen. In seiner neuen, weitaus nüchterneren Fassung, wackeln die Tiere nicht mit dem Hintern, sondern bewegen sich ganz normal in ihrer Umwelt.
Beim Blick in die Zukunft des Mensch-Tier-Verhältnisses laviert die Schau zwischen Revolution und Reformation. Für die erste Variante steht "The Liberation of Animals from their cages" der vor zwei Jahren gestorbenen, deutsch-irakischen Bildhauerin und Tierrechtsaktivistin Lin May Saeed. Nicht zufällig erinnert sie an den Titel des Buches "Animal Liberation" des australischen Philosophen Peter Singer von 1975 – noch so ein Referenztext von Kuratorin Gregos. Auf einem Styropor-Relief ist zu sehen, wie Tiere aus einem Käfig ausbrechen.
Menelaos Karamaghiolis skizziert dann den romantischen Ausweg. In einer 80-Bilder Diashow zeichnet er in einer Art Daumenkino das Verhältnis eines jungen Strafgefangenen zu einem jungen Vogel nach, der in seine Zelle fliegt. So wie der junge Mann den Vogel füttert und ihm das Fliegen beibringt, wird das zur anrührenden Metapher für die friedlich-solidarische Koexistenz von Menschen und Mitgeschöpfen.
Ob Tiere von Freiheit träumen können, klärt Gregos anregende Schau nicht. Mit der die Kuratorin einmal mehr beweist, dass sie Documenta-Format besitzt: politisch zupackend, philosophisch reflektiert und ästhetisch differenziert. Tiziana Pars' Video "Saut dans le vide" über einen Tiertransport, bei dem ein Schwein von einem Laster mit Käfigen so unvermittelt auf die Fahrbahn springt wie Yves Klein auf dem legendären Foto "Leap into the void" von 1960 zeigt aber dann: Die Intuition zum Sprung in die Freiheit besitzen sie allemal.