Neuer Bildband

Wie Elton John auf Peter Hujar blickt

Peter Hujars lebensbejahende Schwarz-Weiß-Fotografien beschreiten den schmalen Grat zwischen Ekstase und Schmerz. Ein Bildband zeigt eine Auswahl aus seinem Nachlass - zusammengestellt von Sir Elton John

Auf den ersten Blick ist da nicht viel Ähnlichkeit zwischen ihren Werken: Auf der einen Seite der vor Energie strotzende Elton John, ein Superstar, der große Hits, bunte Outfits und exzentrische Sonnenbrillen liebt. Und dann Peter Hujar, Schöpfer melancholischer Bilder voller Zärtlichkeit für die in Schwarz-Weiß abgelichteten Porträtierten. Trotzdem hat der britische Pop-Gott Gefallen an dem Werk des US-Fotografen gefunden. Für die Galerie Jeffrey Fraenkel in San Francisco hat er vergangenes Jahr eine Schau mit 50 Werken aus Hujars Archiv kuratiert, die nun in einem Bildband mit einem Vorwort des Sängers gesammelt sind.

Statt des farbgewaltigen Glitzerns eines Elton John durchzieht ein monochromes Schimmern die Bildwelt Peter Hujars. Vielleicht war es gerade der Gegensatz zum eigenen Œuvre, der den Musiker am Werk des 1989 verstorbenen Künstlers faszinierte, als er vor zwölf Jahren die erste Fotografie aus dessen Nachlass erwarb. Mittlerweile befinden sich 15 Werke in der Sammlung von Elton John. Dort ist der US-Amerikaner in guter Gesellschaft: Als passionierter Foto-Fan (von "Artnet" wurde er zu einem der zwölf wichtigsten Fotosammler benannt) besitzt Elton John Werke unter anderem von Robert Mapplethorpe, Edward Weston, Tina Modotti oder Irving Penn.


Auch wenn Peter Hujar, wie Elton John in der Einleitung des Buches schreibt, erst in den letzten 15 Jahren einem breiteren Publikum bekannt geworden ist, hat er die Arbeit vieler Fotografinnen und Fotografen seiner Nachfolgegeneration geprägt, darunter Wolfgang Tillmans, Nan Goldin oder Danh Vo, die sich immer wieder auf sein Werk beziehen. Enge Freundschaften mit Kreativen und Intellektuellen im New Yorker East Village, die er regelmäßig ablichtete – darunter die Autorinnen Susan Sonntag und Fran Lebowitz – befruchteten schon zu Lebzeiten des Künstlers das Schaffen auf beiden Seiten. Mit seinem langjährigen Lebensgefährten, dem Künstler David Wojnarowicz, teilte Peter Hujar auch das tiefe Verständnis für ihre Kunst. Ihre gegenseitige Zuneigung spiegelt sich in den zahlreichen Fotografien der beiden Künstler voneinander.

In dem von Elton John kuratierten Band wechseln sich Bilder, die Hujar von Freunden gemacht hat, mit Szenen verlassener Räume im heruntergekommenen New York der 1980er-Jahre ab. Dann wieder Porträts von Prominenten wie Andy Warhol oder Stevie Wonder, dazwischen Tiere, Akte, Landschaftsansichten – aber alles im für den Fotografen charakteristischen Monochrom und alles unverkennbar Peter Hujar. Dabei ist es gar nicht so einfach, jemandem, der sie noch nie gesehen hat, zu erklären, was dieses unverwechselbare Element in seinen Arbeiten ist: Mal weisen sie eine Bandbreite an Tonabstufungen auf, sodass sie beinahe bunt wirken, dann bestimmen wieder harte Schwarz-weiß-Kontraste und scharfe Konturen die Fotos. "Seine Bilder verbindet – anstelle eines einheitlichen Stils – eine unbeirrbare Entschlossenheit, die nicht beschrieben, nur erlebt werden kann", versuchte es einmal der mittlerweile verstorbene "New York Times"-Kritiker Peter Schjeldahl auf den Punkt zu bringen.

Ähnlich formuliert es im Vorwort auch Elton John: "Hujars Menschlichkeit, Tiefe und sinnlichen Einblicke sind nicht für jeden – und sie müssen es auch nicht sein. Aber wenn seine Bilder einmal in die Blutbahn gelangt sind, ist es unmöglich, sich von ihnen loszumachen", beschreibt er den Sog, mit dem die Bilder den Blick in den Bann ziehen. Und spielt dabei auch auf den Tod des Fotografen an den Folgen von Aids an.

 

Das Werk Peter Hujars ist von der Erfahrung der Epidemie kaum zu trennen. Was es ausmacht, ist jedoch, dass es dem Verlust, der die LGBTQ*-Community in jener Zeit kollektiv traumatisierte, in all seiner Ambivalenz etwas entgegensetzt. Eine seiner wohl berühmtesten Serien zeigt die Gesichter junger Männer: voller Lust, scheinbar peinvoll verzerrt oder in abwesender Trance. Es sind Fotografien von Menschen beim sexuellen Höhepunkt, im Titel der Serie "Orgasmic Men" klingt das Kosmische mit.

Im Moment absoluter Ekstase liegen Erfüllung und Schmerz als urmenschlichste Empfindungen direkt nebeneinander. Diese majestätischen Porträts sind auch eine Antwort Hujars auf die massive Diskriminierung schwuler Männer in den 1980er-Jahren, die, gerade als es aussah, als ob die Gesellschaft sich öffnen würde, durch die Aids-Epidemie neuen Nährboden fand. Peter Hujars Bilder sind atemberaubend, sensibel, beeindruckend und lebendig – und damit alles, was die religiöse Rechte und konservative Politiker wie Ronald Reagan der queeren Community abzusprechen versuchten.

Dieser Trotz zeigt sich auch in den von Elton John ausgewählten Bildern. Etwa, wenn sich der Schauspieler und Aktivist Robert Levithan breitbeinig und ohne Scham mit erigiertem Penis in der Hand in einem Stuhl zurücklehnt. Oder in den gleich mehreren Aufnahmen der mit Hujar befreundeten Drag Queen Cockette, auf denen sie mit ihrem Schmuck um die Wette strahlt.

Erotik und Fürsorge

Ein beiläufiges und doch zärtliches Porträt des britischen Autors Quentin Crisp mit Hut, die Rückenansicht eines Männerakts im Kontrapost, dessen Taillenfalte mehr an Venus denn an einen David erinnert: Hujars Vision von Queerness in den von Elton John ausgewählten Arbeiten spiegelt beides: männliche Erotik ebenso wie familiäre Fürsorge. Und dazwischen Bilder von Tieren und Sterbenden. Es ist der Wechsel an Motiven und mit ihnen verbundenen Gefühlen, der diesen Fotos den Raum gibt, den sie brauchen. Der schmale Grat zwischen Schönheit und Schmerz, Verlust und Lebenslust.

Auch in das Leben Elton Johns, der sich 1976 erst als bisexuell und 1992 als schwul outete, hat Aids eine tiefe Wunde gerissen. Nach dem Tod seines engen Freundes Freddie Mercury an den Folgen der Krankheit gründete der Brite eine Aids-Stiftung, der nun auch der Erlös durch den Verkauf des Fotobands zugutekommt.