Doku-Film "Wo/Men"

Die letzten ihrer Art

Die Freiheiten nehme ich mir: Ein Doku-Film spürt im ländlichen Albanien den "Burrneshas" nach, Frauen, die ein Leben als Mann führen

Die aussterbende Tradition reicht bis ins Mittelalter zurück. Heute gibt es von ihnen nur noch rund ein Dutzend, keine ist unter 50 Jahre alt. Um sich in der patriarchalen Gesellschaft der arrangierten Heirat und Mutterschaft zu entziehen oder als Familienoberhaupt gelten zu können, entschieden sich diese Frauen – nicht immer freiwillig –, wie ein Mann zu leben und behandelt zu werden. Mit Männerkleidung, ohne eigene Kinder – als Burrnesha, eingeschworene Jungfrau.

Sie können ihren Beruf frei wählen, rauchen und trinken, das Haus allein verlassen, Waffen tragen und sind nach altem Recht zur Blutrache berechtigt. Mädchen und Frauen ist das in dieser Region mit strengen Geschlechtergrenzen verwehrt. Der Preis für den Aufstieg in der sozialen Hierarchie: Burrneshas schwören vor dem Dorfältesten den Eid der Enthaltsamkeit.

Kristine Nrecaj und Birthe Templin haben für ihren Doku-Film "Wo/Men" sechs Burrneshas in ihrem Alltag vor erhabener Bergkulisse oder am Strand begleitet und nach ihren Motiven gefragt. Alte Fotos zeigen junge Männer, die einst Mädchen waren. "Ich hing immer lieber mit Jungs als mit Mädchen ab. Frauen durften damals nicht mal Wasser holen. Diese Einschränkungen ertrug ich nicht", sagt eine von ihnen.

Zwischen Respekt und Auslaufmodell

Andere erkannten die Chance, ein selbstbestimmtes Leben zu führen oder ihrer Familie durch harte Arbeit helfen zu können, nachdem der einzige Sohn gestorben war. Mit Transsexualität hat der Wechsel überwiegend nichts zu tun. Das Patriarchat infrage zu stellen, steht für die "Jungfrauen" auch nicht an vorderster Stelle. "Warum sind Frauen und Männer nicht gleich?", fragt Nrecaj eine der Burrneshas. "Das ist das Konzept“, erwidert diese – und weist damit immerhin darauf hin, dass sie eine soziale Rolle spielt.

Dass die Praxis zunehmend ausstirbt, zeugt von einem gesellschaftlichen Wandel, der sich auch in Talkshows manifestiert, in denen sich Burrneshas Fragen stellen, die ihre Existenzberechtigung untergraben, da Frauen doch auch als Frauen die gleichen Freiheiten zustehen müssten.

Auch wenn sich diese "Männinnen" mitunter als erstaunlich systembewahrend erweisen, schützen sie auch Frauen vor sexuellen Übergriffen, indem sie Gewalt androhen, die ihre Wirkung nicht verfehlt. Auch die Verwandtschaft zeigt sich gegenüber den "Onkeln" oder auch "Tanten" in kleinen Gesten überaus respektvoll und behutsam – wie gegenüber einer kostbaren, privilegierten Gattung, deren Ende naht, denn für ein nachahmenswertes Lebensmodell stehen sie nicht mehr.