ZDF-Kultur

Das Couchmuseum

Für die "Digitale Kunsthalle" muss man nicht mal das Sofa verlassen, "Das Geheimnis der Bilder" soll die locken, die sich nicht für Kultur interessieren. Was das Programm von ZDF-Kultur in Corona-Zeiten leisten kann

Es scheint, als hätte sich durch Corona die Utopie der Net Art aus den 1990ern bewahrheitet: Das soziale und kulturelle Leben hat sich ins Digitale verlagert; ersetzt die analogen Kulturräume. In den sozialen Medien regnet es gerade in Strömen kreativen Content aus der schwarzen Corona-Wolke. Denn nur so kann die Kulturlandschaft den Kopf über Wasser halten, die Kunst zu ihren Rezipienten finden. Dessen ist sich auch das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) bewusst und bietet ein breit aufgestelltes Kulturprogramm.

Unter ZDF-Kultur stößt man auf "Digitale Kunsthalle" mit virtuellen Ausstellungen und auf "Das Geheimnis der Bilder" mit interaktiven Infopoints zu bestimmten Gemälden. Beide Tools zeigen sowohl die digitale Affinität des öffentlich-rechtlichen Senders als auch die Kooperationsbereitschaft mit großen deutschen Museen. Doch wie genau kommen die Partnerschaften zustande? Wer ist für die Inhalte verantwortlich? Und wer fördert die Projekte? Die Webseiten geben keine Antworten auf die Fragen, aber die Verantwortlichen:

Tendenziell schwindelerregender Rundgang im Virtuellen

In der "Digitalen Kunsthalle" laufen derzeit die virtuellen Rundgänge "Felix Nussbaum" vom Museumsquartier Osnabrück, "Inside Rembrandt" vom Wallraf Richartz Museum in Köln und "Beethoven" der Bundeskunsthalle Bonn. Betritt man eine der Ausstellungen, befindet man sich in den dreidimensionalen Innenräumen eines Museums. Durch Navigationspfeile und mittels der Maus bewegt man sich durch das animierte Raumkonzept, kann einzelne Werke aufrufen und über Informationstexte, Filme oder Audiospuren mehr zu den teils fotogrammierten Objekten erfahren. Die Handhabung ist anfangs etwas schwerfällig und tendenziell schwindelerregend. Doch das Ausprobieren macht Spaß.

Der Projektleiter Ralf Schmitz erklärt: "Wir haben die Infrastruktur und das redaktionelle Know-How, die Museen haben den Content. Beides zusammenzufügen und eine starke Kooperation zu bilden war der Ausgangspunkt." Bei der Zusammenarbeit sind die Abläufe und Aufgaben klar festgelegt: Die Museen stellen das Bildmaterial und die Informationen zur Verfügung; für das Narrativ der digitalen Rundgänge, Infotexte und Zusatzmaterial sind Ralf Schmitz und sein Team verantwortlich. Ebenso kümmern sie sich um die rein virtuellen Räumlichkeiten, die durch Module individuell auf die Inhalte sowie Besucherführung abgestimmt werden.

"Das digitale Kuratieren wird ein eigenes Berufsfeld werden"

Damit erlaubt der fiktive Raum tendenziell mehr Freiheit zum Kuratieren als der analoge. Doch Ralf Schmitz spricht lieber von Redaktion: "Das digitale Kuratieren wird ein eigenes Berufsfeld werden – ganz sicher. Aber ich bin weit davon entfernt, mich als 'digital curator' zu bezeichnen. Dafür habe ich zu viel Respekt vor dem Beruf des Kurators oder der Kuratorin. Aber das Berufsfeld mit neuen Anforderungen wird kommen. Programmierer, Grafiker, Kommunikationsdesigner und eben digitale Kuratoren – das wird das Team für eine digitale Ausstellung am Ende ausmachen."

In Anbetracht von "Google Arts & Culture" sowie dem Angebot einiger Museen ist das Konzept nichts neues, in der Navigation sogar sehr ähnlich. Aber die Zusammenarbeit mit einem Fernsehsender verspreche besondere Chancen: "Die Unterschiede im Vergleich zu analogen Ausstellungen sind, dass wir multimedial arbeiten können," so Schmitz. "Wir können Geschichten über weitere Medien dazu erzählen und auf die Kompetenzen eines Fernsehsenders zurückgreifen. Archivperlen des ZDF zu bergen und im Kontext einer Ausstellung zu zeigen, gibt einen Mehrwert. Das digitale Angebot kennt zudem keine Zeit. Kunst kann immer und solange man möchte im digitalen Raum genossen, genutzt und konsumiert werden."

Bisher hat die "Digitale Kunsthalle" 13 Ausstellungen gezeigt, von denen immer mindestens drei zeitgleich zur Verfügung stehen. Sie laufen entweder parallel zu analogen Schauen, verlängern diese in den digitalen Raum oder sind ausschließlich online zu besuchen. Besonderer Beliebtheit erfreut sich der virtuelle Rundgang "Geraubte Kunst", der im Austausch mit dem preußischen Kulturbesitz Berlin, der Staatlichen Kunstsammlung Dresden, dem Städel in Frankfurt und der staatlichen Gemäldesammlung in München entstanden ist. Mitte März machte die Schau mit 30.000 Online-Besuchern vielen analogen Ausstellungen Konkurrenz.

Kultur für die, die sich nicht für Kultur interessieren

In der Rubrik "Das Geheimnis der Bilder“ können die User bis zu 15 Highlights einer Sammlung bestimmter Museen entdecken. Die Bilder sind mit orangefarbenen Punkten versehen, durch deren Aktivierung kurze Infotexte eingeblendet werden. Bisher sind acht Museen vertreten – darunter sowohl staatlich geförderte Institutionen als auch stiftungsgetragene. Die Redakteurin Vanessa Olivier erklärt, dass die Auswahl der Kooperationspartner in der Anfangsphase des Projekts und in Abhängigkeit von Bereitschaft sowie Machbarkeit erfolgt ist. Ziel war es, am Ende für jedes Bundesland eine Kunstinstitution zu gewinnen. Bis zum Sommer 2021 sollen daher die Sammlungen von 16 Museen online sein.

Wie bei "Digitale Kunsthalle“ stellen die Häuser das Material zur Verfügung, die journalistische Hoheit obliegt der Redaktion des ZDF-Kultur. Oliviers Team passt die Informationen in Sprache und Länge der Zielgruppe an. Dabei erklärt die Projektleiterin: "Wir versuchen auch Nicht-Kulturinteressierte anzusprechen. Die Hürde sollte niederschwellig sein, aber die Inhalte durchaus anspruchsvoll. Die Leute fordern, aber nicht überfordern. Unser Ziel ist es nicht, dass sich die Menschen diese Kunst nur noch auf dem iPad oder Handy anschauen, sondern wir wollen die Menschen dazu animieren, danach ins Museum zu gehen und nochmal tiefer einzusteigen."

Anders als bei den virtuellen Ausstellungen gibt es hier kein vorgefertigtes Narrativ. Jeder kann die fünf bis acht Infopunkte in individueller Rheinfolge aufrufen und so die Kunst auf eigenen Wegen erkunden. Auffällig ist jedoch, dass es sich – anders als der Titel vielleicht vermuten lässt – nicht gerade um unbekannte Gemälde handelt. Roy Lichtensteins "M-Maybe" im Museum Ludwig, Sandro Botticellis "Weibliches Idealbild" im Städel oder Caspar David Friedrichs "Wanderer über dem Nebelmeer" in der Hamburger Kunsthalle sind kunsthistorische Ikonen – Werke, über die sich die Häuser laut Olivier identifizieren würden. Doch die Webseite versuche neue, bisher unbekannte Geschichten zu erzählen und kunsthistorisch einzubetten. Darin liege das Geheime.

Zuhause-Kunst auch nach Corona

Beide Tools sind Projekte von ZDF-Kultur, die im Februar 2019 gestartet sind. Anne Reidt, Kulturchefin des ZDF, erläutert die Gründungsidee: "Wir nehmen unseren Kultur- und Bildungsauftrag sehr ernst – in dem Sinne, dass wir selbst Kultur herstellen, aber auch Kulturinhalte anbieten und vermitteln. Wir haben uns gefragt, wie wir diesen Auftrag am besten ins Digitale transformieren. Denn das ist die Technologie, die uns alle miteinander vernetzt." Mittlerweile verknüpft ZDF-Kultur 46 Partner und kommt dabei komplett für die Kosten auf.

Die größte Herausforderung bei den digitalen Kulturprojekten sei nach Aussage aller Beteiligten die Absicherung der Bildrechte. Zudem erklärt Anne Reidt: "Je digitaler das Haus schon tickt, desto einfacher ist es, mit uns zu arbeiten. Insgesamt sind wir offen gegenüber allen Partnern. Wir wählen natürlich redaktionell aus und gleichzeitig ist uns wichtig, dass wir als Anstalt der Länder die kulturelle Vielfalt der Regionen in Deutschland abbilden." Doch es hat den Anschein, als ob sich gerade aufgrund dieser Voraussetzungen letztlich nur die großen Häuser beteiligen können. Und dabei bräuchten vor allem die kleineren Museen Unterstützung bei der Digitalisierung.

Die interaktiven Programme kommen laut ZDF-Kultur bei den Usern gut an. Gerade zu Zeiten der häuslichen Isolation steige die Nachfrage und die Redaktion reagiert entsprechend. In der Digitalen Kunsthalle zum Beispiel werden wieder Ausstellungen aus dem Archiv erscheinen. "Wir bieten eine Bühne, das ist unsere Aufgabe. Und das kommt sehr gut an. Die Nachfragen der Künstler und Künstlerinnen sind hoch. Wir versuchen gerade in Zeiten von Corona, eine Plattform zu sein," meint Anne Reidt zum Kulturprogramm des ZDF. Der öffentlich-rechtliche Fernsehsender hat verstanden, dass die Digitalität einen Mehrwert verspricht – nicht nur während der aktuellen Ausgangsbeschränkungen. Zwar hält die Utopie der Art Net wahrscheinlich nur solange an, bis die analogen Kulturorte wieder öffnen. Doch es wäre schön, wenn ein paar der neuen Konzepte aus der kreativen Social-Media-Überflutung bleiben würden, sodass uns Kunst auch nach Corona jederzeit zuhause erreicht.