Zum Tod von Galeristin Kristin Feireiss

Eine echte Erbauerin

Kristin Feireiss
Foto: Aedes Architecture Forum

Kristin Feireiss

Mit der Berliner Galerie Aedes hat Kristin Feireiss eine Drehscheibe des Architekturgeschehens geschaffen. Nun ist die ungewöhnlich talentierte Vernetzerin und Ermöglicherin mit 82 Jahren gestorben

Eine merkwürdige Installation durchzieht die untere Etage der Architekturgalerie Aedes am Pfefferberg: eine Art Zeltdach oder -decke aus sechseckigen Plastikmodulen, ersonnen vom chinesisch-amerikanischen Büro PangArchitect. Wie diese schwebend-leichte Konstruktion in den Raum gekommen ist, den sie doch gänzlich ausfüllt, bleibt das Geheimnis von Aedes.

Unzählige Ausstellungen hat die Galerie gesehen, und jedes Mal gab es einen überraschenden Einfall zu bestaunen, wurde die Grenze zwischen Ausstellung und realer Architektur leichthändig überschritten. Und jedes Mal wandelte Kristin Feireiss durch die neue Ausstellung und war selbst begeistert von dem, was unter ihrer Ägide entstanden war.

Die letzte Eröffnung liegt nicht einmal vier Wochen zurück. Es war wie immer: Eine enorme Besuchermenge drängte sich vor und in der Galerie, und wer Glück hatte, durfte anschließend in den Räumen des Aedes Metropolitan Laboratory zusammensitzen: dieser – wenn man so will – Architekturakademie, die Kristin Feireiss und Hans-Jürgen Commerell, ihr Mitstreiter seit 1994, irgendwann der Galerie hinzugefügt hatten. Ja, Aedes ist weit mehr als eine Galerie, es ist ein Knotenpunkt der internationalen Architektenwelt, nicht zuletzt ein Verlagshaus mit den zu jeder Ausstellung publizierten schmalen, gehaltvollen Katalogen in quadratischem Format. Dass all das ohne Kristin Feireiss funktionieren könnte, hätte man sich nie vorstellen können und schon gar nicht mögen. Jetzt, da sie am Ostersonntag 82-jährig verstorben ist, muss man es.

Die Galerie Aedes gründete Feireiss gemeinsam mit der – tragisch früh verstorbenen – Helga Retzer im Jahr 1980 im damaligen West-Berlin. Es war die Zeit der Postmoderne und der entstehenden Bauausstellung IBA, die erst für 1984, dann für 1987 geplant wurde. Mit einem Mal kamen wieder internationale Architekten in die (Halb-)Stadt, wie zuletzt zur Vorgängerveranstaltung "Interbau 57". 

Architektur und Städtebau in der öffentlichen Wahrnehmung verankern

Das Gründerduo hatte die Vision, Architektur und Städtebau in der öffentlichen Wahrnehmung zu verankern und nebenbei mit den in Mode kommenden Entwurfszeichnungen der in West-Berlin tätigen Architekten zu handeln wie mit Kunstwerken (was sie im Grunde ja auch waren). Letzteres klappte nicht. Was aber sofort funktionierte, war der Galeriebetrieb als Drehscheibe des Architekturgeschehens. Dessen bedeutende Vertreter gaben sich die Klinke in die Hand, erst auf 40 Quadratmetern in der Grolmanstraße, bald dann unter den S-Bahn-Bögen am Savignyplatz. Konnte es einen kongenialeren Sitz geben als diesen Unort unter den beständig grummelnden Bahngleisen?

Als Berlin wieder vereint war, zog die Galerie 1995 nach Mitte in die Hackeschen Höfe, wo der Besucheransturm ohnehin schon groß und bald gar nicht mehr zu bewältigen war. Auf dem Pfefferberg, in jenem charmanten Ensemble von Gewerbe- und Vergnügungsbauten zwischen der lebhaften Schönhauser Allee und der ruhigen Christinenstraße, fand das Aedes Architekturforum, wie es längst hieß, dann 2006 sein heutiges Domizil: mit durch ein paar Stufen getrennten Sälen, sodass bald zwei Ausstellungen parallel veranstaltet werden konnten. Dazu mit genügend Raum für Akademie und einem Garten für sommerliches Zusammensein. Mitgewandert ist das genial einfache Markenlogo, dieses Haus-vom-Nikolaus-Zeichen aus Neonröhren als Grundform von Architektur als Behausung.

Das Galerieprogramm ging weiter und immer weiter, über mittlerweile schier unfassbare 500 Ausstellungen. Wir wüssten heute nicht einen Bruchteil von dem, was an anderen Ecken der Welt architektonisch vor sich ging, zumal im riesigen China, hätte es nicht die nie versiegende Neugier und Entdeckerfreude von Kristin Feireiss gegeben, die all das auf ihren steten Reisen entdeckte, organisierte und darüber hinaus vor allem Beziehungen knüpfte und Freundschaften schloss.

Stars waren zu Gast, bevor sie Stars wurden

Sie brachte Menschen zusammen, sie hatte diese Begabung zu Verbindlichkeit, und sie hatte sie in einem ganz selten reichen Maße. Zaha Hadid, Frank Gehry, Wang Shu, um nur einige zu nennen, waren bei Aedes zu Gast, lange bevor sie zu internationalem Ruhm aufstiegen und den renommierten Pritzker-Preis gewannen.

Am 1. Juli 1942 kam Kristin Feireiss in Berlin zur Welt, mitten im Krieg. Ihre Eltern starben früh, und sie wuchs bei einem Onkel auf. Sie wurde Journalistin – und wagte in schon sehr erwachsenem Alter den Neustart mit der Galerie für Architektur und Raum, wie ihr Untertitel anfangs hieß. 

Ein Wagnis ist es geblieben, muss doch für jede Ausstellung die Finanzierung über Sponsoren und Projektmittel gesichert werden. Unglaublich, dass in einer Stadt mit gleich mehreren öffentlichen Sammlungen zur Architektur ausgerechnet die eine private Institution, die die größte Strahlkraft hat, immerzu auf freundliche Unterstützung angewiesen bleibt.

Die Lücke ist noch nicht zu ermessen

Zwischendurch, von 1996 bis 2001, hat Kristin Feireiss das Niederländische Architekturinstitut in Rotterdam geleitet und größer gemacht, dann ging sie zurück nach Berlin. Von hier aus organisierte sie Ausstellungen für Institutionen in aller Welt, 2012 kam umgekehrt das "BMW Guggenheim Lab" wie ein Ufo in den Garten, dazu gab es Preise und Ehrungen für die Prinzipalin, zuletzt den renommierten Fritz-Schumacher-Preis der Freien und Hansestadt Hamburg, der ihr, als Nicht-Architektin, eine besondere Genugtuung war. 

Ihren 80. Geburtstag feierte sie noch lebhaft mit entsprechend großer Gästeschar, und ansonsten ging alles weiter wie bisher. Bis zum Ostersonntag. Die Lücke, die Kristin Feireiss mit ihrem Tod hinterlässt, ist noch gar nicht zu ermessen.