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12 Kunst-Filme, die sich im März lohnen

Ein Kunstdieb in der Falle, die Geheimnisse unserer Farbwahrnehmung und eine Modelegende in den Fängen der Politik: Das sind unsere Filmempfehlungen des Monats
 

Der Krieg und der neue Look

Im Krieg und in der Mode ist alles erlaubt. Und in der neuen Serie "The New Look" bei Apple TV+ werden beide Themen so miteinander verwoben, dass ihre gegenseitige Abhängigkeit verdeutlicht wird. Vergessene Allianzen werden hervorholt und Schuldfragen der Designer diskutiert. Gerade die Rolle Coco Chanels und ihre Beziehung zu den Nazinalsozialisten in Frankreich wird beleuchtet. Eine Verbindung, die bekannt ist, aber gern verdrängt wird. 

Alles beginnt in Paris 1950: Christian Dior spricht als erster Designer in der Sorbonne vor einem großen Publikum an Studierenden über seine Arbeit, während Coco Chanel vor der Presse über ihren Rivalen herzieht. Der Zweite Weltkrieg ist vorbei, und beide Modeikonen stehen mit ihren Couture-Häusern in Konkurrenz. Die Frage nach Diors stetigem Schaffen, auch während der deutschen Besatzung Frankreichs, schickt die Zuschauer zurück zum Anfang der 1940-Jahre und die Umstände, unter denen Dior und Chanel versuchten, dank ihrer Mode zu überleben. 

In den Fängen der Nazis, die Familienmitglieder beider Modedesigner in Gefangenschaft halten, ist jedes Mittel recht, oder? Die Entstehung von Diors legendärem "New Look“ außerhalb der reinen Modeblase zu verfolgen, lohnt sich. Die Serie erinnert wieder einmal daran, wie viel Politik hinter den Kleidern der Reichen und Mächtigen steckt. Mittendrin sind die, die diese Textilträume erschaffen. 

"The New Look", Apple TV+

"The New Look", Filmstill, 2024
Foto: Apple TV +

"The New Look", Filmstill, 2024


Hilma af Klint und die Entdeckung der Abstraktion

Die Entdeckung rüttelte vor rund zehn Jahren die Kunstwelt auf: Die erste abstrakte Malerei stammte von einer Frau und nicht, wie bislang angenommen, von Wassily Kandinsky. Hilma af Klints erstes abstraktes Werk datiert auf 1906, es entstand in ihrem Stockholmer Atelier. Die Kunstwelt nahm jedoch erst in den 1980er-Jahren von ihr Notiz. Allerdings konzentrierte man sich da auf ihren Spiritismus, nicht auf ihre historische Pionierleistung. Das korrigierte unter anderem die deutsche Kunsthistorikerin Julia Voss in den 2010er-Jahren. Jetzt zeigt sie ab Mitte März zusammen mit dem schwedischen Kurator Daniel Birnbaum im K20 in Düsseldorf die beiden Künstler Kandinsky und af Klint gemeinsam, die so lange parallel und ohne voneinander zu wissen an derselben Sache arbeiteten – und beide 1944 starben.

Auch im Film "Jenseits des Sichtbaren - Hilma af Klint" von 2020 kommt Julia Voss zu Wort. Dabei handelt es sich um eine cineastische Annäherung an die Künstlerin, bei der sich Regisseurin Halina Dyrschka tief in ihre Gedankenwelt begibt und ihr Interesse für Biologie, Astronomie, Theosophie und die Relativitätstheorie herausarbeitet. Die perfekte Vorbereitung für die Düsseldorfer Ausstellung. 

"Jenseits des Sichtbaren - Hilma af Klint", Yorck Kino on demand, zum Leihen oder Kaufen

"Jenseits des Sichtbaren - Hilma af Klint", Filmstill, 2020
Foto: Mindjazz Pictures

"Jenseits des Sichtbaren - Hilma af Klint", Filmstill, 2020


Wie geht es der Kunstszene in Hongkong?

Viele Künstlerinnen und Künstler haben Hongkong seit den von China beendeten pro-demokratischen Protesten von 2019 verlassen, sind nach Taiwan oder auch Europa ausgewandert. Diejenigen, die geblieben sind, sehen sich einer immer stärker eingreifenden Zensur Chinas ausgesetzt. Wie leben Künstler in einem solch repressiven Umfeld? Ist kreatives Arbeiten überhaupt möglich, wenn Verhaftung und Gefängnis drohen? 

Die Berliner Autorin Minh-Anh Szabo de Bucs, die auch für Monopol schreibt, hat über die Hongkonger Kunstszene einen 50-minütigen Dokumentarfilm gedreht. Gesprochen hat sie zum Beispiel mit dem Performance-Künstler Samson Young, dem Filmemacher Kiwi Chow oder dem im Exil lebenden China-Kritiker Ai Weiwei. 

Szabo de Bucs reiste während der Pandemie nach Hongkong und arbeitete mit einem einheimischen Team. Sie selbst spricht kantonesisch, was ihr die schwierigen Produktion vor Ort ungemein erleichtert hat. So kamen die Filmemacher an Orte, die einem europäischen Team wahrscheinlich verwehrt geblieben wären, die Protagonisten sprechen erstaunlich offen über ihre Arbeit im Geheimen, über die Gefahren und Repressalien, denen sie sich ausgesetzt sehen, ihre Ängste, aber auch über das, was sie antreibt, immer weiter zu machen. Man erhält einen tiefen Einblick in die Strategien und Codes, über die sich die Künstler durch ihre Werke den Menschen in Hongkong mitteilen - und ihnen Mut machen, durchzuhalten.

"Hongkong - Zensur. Protest. Kunst.", Arte-Mediathek, bis 13. Mai

"Hongkong - Zensur. Protest. Kunst", Filmstill, 2024
Foto: Courtesy Arte

"Hongkong - Zensur. Protest. Kunst", Filmstill, 2024


Ein Kunstdieb in der Falle

Das Penthouse stellt sich als eine ausbruchs-, aber nicht einbruchssichere Festung heraus. Der verzweifelte Versuch des Kunstdiebs, hier wieder herauszukommen, nachdem er drei Gemälde von Egon Schiele eingepackt hat, entwickelt sich zu der wohl großartigsten Performance, die der Sammler und Besitzer der Schätze je in seinen Räumen erwarten durfte. Schade nur, dass er sie nicht erlebt. Er ist in Kasachstan unterwegs.

Aber er kann sich ja den Film anschauen: "Inside" von Vasilis Katsoupis. Der griechische Regisseur überzeugte für sein Spielfilmdebüt keinen Geringeren als Schauspieler Willem Dafoe, sich in die Rolle des Kunstdiebs Nemo zu stürzen. Seine zunehmend desperaten – von Kamera und Schnitt bestens unterstützten – Versuche, aus dem Luxusbunker auszubrechen, nachdem das Sicherheitssystem außer Kontrolle geraten und die Anlage hermetisch von der Außenwelt abgeriegelt ist, faszinieren, auch wenn nach seinem knapp zweistündigen Solo der unstatthafte Wunsch in einem aufkommt, unbedingt das Drehbuch umschreiben zu wollen.

Das Bedürfnis setzt gleich nach dem eindrucksvollen "Establishing Shot" ein, einem Panoramablick knapp über den Indoor-Pool hinweg durch die riesigen, und wie sich später zeigt: schusssicheren, Fenster auf die Skyline von Manhattan. Der Hubschrauber dröhnt, Nemo wird abgesetzt und gelangt durch ein Fenster in die Wohnung, wo sich das Sicherheitssystem für sieben Minuten ruhig stellen lässt. Er sammelt die Schieles ein und erinnert sich dabei per Voiceover an einen Lehrer seiner Kindheit. Der wollte von seinen Schülern wissen, welche drei Dinge sie aus einem brennenden Haus retten würden. Bei Nemo war es sein Kater Groucho, seine AC/DC-Platte und sein Skizzenbuch. Weil der Kater dann aber starb und die Platte verliehen und nie zurückgegeben wurde, war’s eigentlich nur das Skizzenbuch wert, denn "Kunst bleibt für immer".

So wenig diese piefige Paraphrase von vita brevis, ars longa überzeugt, so wenig tut das auch die Verlegung der Robinsonade à la "Cast Away" von der einsamen Pazifikinsel in das verschlossene New Yorker Penthouse. Es liegt schließlich nur am High-End-Sicherheitssystem, dass die Wohnung zur Falle wird, dass Wasser- und Stromversorgung ausfallen und die Klimaanlage durchdreht, erst bis ultimo aufheizt, dann tiefkühlt und wieder aufheizt. Wie glaubhaft ist es, dass der Komplettausfall eines Systems, das nicht einfach nur eine Luxuswohnung, sondern eine beachtliche Kunstsammlung schützen soll, über Monate hinweg unbemerkt bleibt?

Immerhin, das Überleben in dem fremden Domizil hat ein paar ganz eigene Überraschungen parat: wie einen Kühlschrank, der ziemlich leer ist, der aber, kaum steht die Tür etwas länger offen, den elenden Sommerhit "Macarena" in den Raum posaunt. Der Fernseher hat zwar keinen Empfang, überträgt dafür aber sadistischerweise die Aufzeichnungen der hauseigenen Überwachungskameras. Diese zeigt hin und wieder Mitbewohner, die ihre Hunde ausführen, oder den Pförtner und eine Putzfrau, die Nemo zunehmend fasziniert. Der Film gerät selbst immer mehr zur Performance. Und schließlich sind es die kreativen Mittel der Kunst, die einen Ausweg aus der Falle versprechen. 

"Inside", Video on demand, unter anderem bei Amazon Prime


Wie die Welt bunt wird 

Farben sind ein wichtiger Bestandteil unserer Welt - und doch wieder nicht. Denn streng genommen gibt es die verschiedenen Schattierungen unserer Umgebung gar nicht per se, sie entstehen durch die Reflektion und Brechung von Licht erst in unserem Gehirn. Wie das genau funktioniert und warum die Wahrnehmung von verschiedenen Nuancen in der Evolution überlebenswichtig sein konnte, erklärt der Film "Die Seele der Farbe", der gerade in der 3-Sat-Mediathek verfügbar ist. 

Dabei geht es aber nicht nur um die Wissenschaft der Wahrnehmung, sondern auch um den künstlerischen Umgang mit Pigmenten. So erzählt der spanische Maler Miquel Barceló, dass der Umgang mit Farben für ihn etwas Sexuelles hat. Außerdem kommt eine Farbarchitektin zu Wort, die die Wirkung von verschiedenen Tönen im Stadtraum untersucht. Und auch die Firma Kremer Pigmente wird vorgestellt, die mit ihren bunten Produkten dafür sorgt, dass Künstlerinnen und Künstler ihre Ideen auf die Leinwand bringen können. 

"Die Seele der Farbe", 3-Sat-Mediathek, bis 11. August

"Die Seele der Farbe", Filmstill, 2024
Foto: Courtesy 3Sat

"Die Seele der Farbe", Filmstill, 2024


Der Ursprung der #MeToo-Bewegung

Der Filmproduzent Harvey Weinstein war ein Mann, der Karrieren im Filmbusiness mit einem Fingerschnipsen aufbauen und auch wieder zerstören konnte. Und ein Mensch, der seine Macht dazu nutzte, alles zu bekommen, was er wollte. Auch, und insbesondere, Sex mit Schauspielerinnen und Mitarbeiterinnen, die auf ihn angewiesen waren. Als 2017 das Ausmaß von Weinsteins Übergriffen öffentlich wurde, erschütterte das nicht nur die Kulturbranche, sondern startete die weltweite #MeToo-Bewegung, die das öffentliche Bewusstsein für sexuellen Missbrauch schärfte und viele mächtige Männer für ihre Taten zur Rechenschaft zog. 2020 wurde Harvey Weinstein zu 23 Jahren Haft verurteilt.

Der Film "Unantastbar", der gerade bei 3 Sat zu sehen ist, rollt den Fall noch einmal auf und erzählt die Weinstein-Geschichte aus Sicht von Betroffenen. Die eindringlichen Schilderungen machen klar, warum der Filmproduzent jahrzehntelang unbehelligt blieb, obwohl es immer wieder Gerüchte über seine Übergriffe gab: Er nutzte eine Mischung aus Charisma, Versprechungen und Einschüchterungen, um seine Opfer zum Schweigen zu bringen. Außerdem herrschte in Hollywood lange ein Klima, in dem die "Castingcouch" dazugehörte und ein Mann durch möglichst viele "Eroberungen" noch an Renommée gewann. 

Der einfühlsame Film, der formal jedes Spektakel vermeidet, zeigt nicht nur individuelle Schicksale und einen Mann, der bis zuletzt davon überzeugt war, nur einvernehmlichen Sex gehabt zu haben, sondern auch eine nach außen glitzernde Filmwelt, die hinter den Kulissen ein Nährboden für sexuelle Gewalt und Machtmissbrauch war. 

"Unantastbar", 3-Sat-Mediathek, bis 21. März

"Unantastbar - Der Fall Harvey Weinstein", Filmstill, 2019
Foto: Courtesy 3 Sat

"Unantastbar - Der Fall Harvey Weinstein", Filmstill, 2019


Im Kopf von David Lynch

Es gibt nicht viele Künstlerinnen und Künstler, deren Stil man zur Beschreibung von realen Situationen benutzen kann. Kafkaesk ist so eine Bezeichnung, unter der sich fast jeder etwas vorstellen kann. Aber auch der US-Regisseur und Maler David Lynch ("Twin Peaks", "Mulholland Drive") steht für eine Ästhetik, die sprichwörtlich geworden ist. Alles ist surreal düster, erotisch aufgeladen und voller Geheimnisse, die sich nicht unbedingt aufdecken lassen. Der Dokumentarfilm "The Art Life", versucht nun, dem mysteriösen Filmemacher selbst auf die Spur zu kommen. In elegischen, durchaus Lynch'schen Bildern wird ein Atelierbesuch beim Meister gezeigt. 

Dieser erzählt von seiner Kindheit in einer sehr amerikanischen Familie und die Kraft der Vorstellung, mit der er sich schon immer in ferne Welten katapultiert hat. Lynch ist wie in seinen Filmen ein begnadeter Erzähler und versteht es, die Aura eines großen Künstlers um sich aufzubauen. Bei diesem Porträt muss sich niemand gruseln - vielmehr bekommt man Lust, sich mal wieder aus einem vorhersehbaren Alltag wegzuträumen. 

"David Lynch: The Art Life", auf Mubi

David Lynch
Foto: Courtesy MUBI

David Lynch 


Was steckt hinter der Zerstörung von Kunst?

Wo zieht man die Grenze zwischen Vandalismus und Performance? Was treibt Menschen an, die Kunst absichtlich beschädigen? Der Film "Das Rätsel der Kunstzertstörer", der gerade bei Arte läuft, versucht eine Antwort auf diese Fragen zu finden. Durch die Perspektive des Täters Hans Joachim Bohlmann scheint es beinahe, als würden die Zuschauenden auf die Seite des Verantwortlichen gezogen. Wir werden Teil seiner Gedankenwelt und seiner Absichten, gleichzeitig bleibt man ratlos, wieso Bohlmann, dessen psychische Erkrankung und Schicksal im Film beleuchtet wird, 1977 unter anderem vier Rembrandt-Gemälde mit Schwefelsäure angriff.

Das Prinzip, Werke zu ruinieren, ist so alt wie die Geschichte der Kunst, sagt Hermann Parzinger (Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz), während er vom ersten Kunstverwüster Herostrat berichtet. Die Soziologin Anne Bessette eröffnet einen weiteren Ansatz: Welche Motivation steckt hinter einer Tat, die dem Täter zunächst gar keinen Gewinn bringen mag? Er stiehlt die Kunst nun mal nicht. Häufig lässt sich das Motiv der Gesellschaftsschädigung erkennen, die eng mit dem Streben nach Aufmerksamkeit, sei es der Klimawandel oder persönlichere Motive, einhergehen. 

Hier kommt Pierre Pinoncelli ins Spiel, der es gewagt hat, in das Urinal von Marcel Duchamp, na ja, eben zu urinieren. Danach schlug er mit einem Hammer darauf ein. Dieser Akt schreit nach der Lust an Provokation und Tabubruch. Pinoncelli versteht den Akt der Destruktion als die höchste Form der Kunst, denn durch die Zerstörung eines Werkes kann er zum Erschaffenden werden. Der Film ist ein Gedankenspaziergang, der Antworten auf dieses Phänomen, aber auf jeden Fall auch weitere Fragen mit sich bringt.

"Das Rätsel der Kunstzerstörer - das letzte Tabu der Kunstwelt", Arte-Mediathek, bis 31. August 

Foto: RB, © Hessen Kassel Heritage
Foto: RB, © Hessen Kassel Heritage

Der "Jakobssegen" von Rembrandt nach dem Säureattentat, 1977 begangen von Hans-Joachim Bohlmann
 

 

Die Nazi-Größen und der epochale Kunstraub

Botticelli, Tintoretto, Veronese, Brueghel, Picasso - sie alle und viele mehr sind im "Göring-Katalog" verzeichnet: Einer sorgfältig geführte Liste des NS-Kommandeurs Hermann Göring, die 2015 in einem französischen Archiv entdeckt wurde. Sie zeichnet einen der größten Kunstraube der Geschichte nach, der bis heute kaum aufgearbeitet wurde. Werke der gesamten europäischen Kunstgeschichte haben durch Diebstahl und Ermordung ihrer Eigentümer ihren Weg in die Hände der Nazis gefunden - und sind größtenteils nie zu ihren rechtmäßigen Besitzern oder deren Erben zurückgekehrt.

Der Dokumentarfilm "Göring, Brueghel und die Shoah - Die Blutspur der NS-Raubkunst" zeigt, was seit dem Fund an Detektivarbeit geleistet wurde. Dabei wird versucht, die geraubten Kunstwerke ausfindig zu machen und ihren ehemaligen Besitzerinnen und Besitzern zuzuordnen. Die Rückblenden in die Nazi-Zeit, in der Hermann Göring einen Stab an Kunsthistorikerinnen und -historikern beschäftigte, um die wertvollsten Kunstwerke in den besetzten Gebieten ausfindig zu machen, überschneiden sich mit der Arbeit heutiger Spezialisten, die an der Restitution und Aufklärung der vergangenen Verbrechen arbeiten. Durch die Gegenschnitte wird deutlich, wie gewaltig der damalige Kunstraub und seine Folgen bis heute sind.

Besonders die Schicksale der Erben von Kunstsammlerinnen und -sammlern zur NS-Zeit, die gezeigt werden, berühren. Sie alle haben eine ähnliche Geschichte, die ihre Familien jedoch individuell zerstört hat. Es ist nicht einfach zu sehen, wie Enkel, die mittlerweile selbst schon alt sind, immer noch an ihren Schreibtischen sitzen und mit der Lupe in der Hand alte Papiere studieren, die den Raub aller Besitztümer ihrer Familie dokumentieren. Sie erzählen, dass ihr Vater oder Großvater an der erfolglosen Suche nach den Familienschätzen kaputt gegangen ist. Selbst sitzen bis heute mit leeren Händen da.

Der Film ist eine wichtige Bestandsaufnahme, die den Fortschritt in der Restitution vieler Werke seit 2015 aufzeichnet. Er zeigt aber auch, wie dringend das weitere Aufarbeiten dieses Verbrechens ist, das nicht nur finanziellen Schaden verursacht, sondern auch emotionale Leerstellen in vielen Familien in ganz Europa gerissen hat.

"Göring, Brueghel und die Shoah - Die Blutspur der NS-Razbkunst", Arte-Mediathek, bis 26. März

"Göring, Brueghel und die Shoah - Die Blutspur der NS-Razbkunst", Filmstill
Foto: Courtesy Arte

"Göring, Brueghel und die Shoah - Die Blutspur der NS-Razbkunst", Filmstill


Neoliberalismus als Erlösung?

Auch wenn in einem der ersten Filme überhaupt – "Arbeiter verlassen die Lumière-Werke" von 1895 – die Kamera auf die Belegschaft eines Betriebs gerichtet war, spielen Beruf und Produktion auf der Leinwand meist keine große Rolle. Darauf machte beispielsweise Harun Farocki immer wieder aufmerksam. Vielleicht hätte der 2014 verstorbene Regisseur seine Freude an "Zero Fucks Given" gehabt, einem Spielfilm aus dem Jahr 2021 von Emmanuel Marre and Julie Lecoustre, der nun auf Mubi läuft. In dem Comedy-Drama spielt die aus "Blau ist eine warme Farbe" bekannte Adèle Exarchopoulos eine Flugbegleiterin, die ihren familiären Problemen entflieht, indem sie ganz in der Arbeit aufgeht. 

Und so sehen wir sie in Gesprächen mit Kolleginnen, mit Kunden und Vorgesetzten und erhalten so Einblick in eine Branche, von der wir zumeist nur halbwegs polierte Oberflächen und Fake-Lächeln sehen. Die ausbeuterischen Strukturen, in denen Cassandre arbeitet, werden hier nicht anklagend ausgestellt; nein, das Regieduo scheint sich für eine andere, viel provokantere Frage zu interessieren: Kann es sein, dass für manche Menschen die Entleerung des Selbst durch neoliberale Arbeitsbedingungen eine Erlösung ist von einem noch größeren Leiden?

Auch wenn dies eine traurige Botschaft wäre (wenn der Film tatsächlich eine klare Message hätte), ist das Werk doch durch und durch amüsant: in seiner exzellenten Besetzung und realistischen Szenen, die wirken wie aus einem Dokumentarfilm. 

"Zero Fucks Given", bei Mubi

"Zero Fucks Given", Filmstill
Foto: Courtesy Mubi

"Zero Fucks Given", Filmstill


Aus Freundschaft wird Liebe

Der Liebesfilm "Rafiki" wurde zum einenl dafür bekannt, 2018 als erstes fiktionales Werk aus Kenia bei den Internationalen Filmfestspielen in Cannes in der renommierten Nebenreihe "Un Certain Regard" eingeladen zu sein. Und dann dafür, dass der Film in Kenia verboten wurde, weil er versuche, "Homosexualität zu legitimieren und normalisieren". Erst nach einem Gerichtsurteil durfte er in den Kinos der Heimat von Regisseurin Wanuri Kahiu laufen. Umso wichtiger also, dass man ihn nun jederzeit online streamen kann. 

"Rafiki", Swahili für "Freund", handelt von zwei unangepassten jungen Frauen in Nairobi, die sich ineinander verlieben und sich zwischen ihrer Beziehung und ihrer vermeintlichen Sicherheit entscheiden müssen. Eine universelle Geschichte in einem sehr speziellen Setting, da Homosexualität in Kenia verboten ist. Der Film erzählt in satten Farben von Freiheit und Lebensfreude - und der simplen Forderung, ein Recht auf Glück zu haben. 

"Rafiki", Salzgeber online, zum Leihen oder Kaufen

"Rafiki", Filmstill, 2018
Foto: Edition Salzgeber

"Rafiki", Filmstill, 2018


Ist Mode wirklich für alle da?

Mode, ein flirrendes Wirrwarr zwischen Kunst und Tragbarkeit: Mondäne Kleidungsstücke, eine Ausdrucksform der eigenen Identität. Aber für alle? Nein, lange war sie einer bestimmten Art Mensch exklusiv zugänglich. Diese erkannte sich auf Laufstegen und Werbeplakaten wieder und passte in jedes sie ansprechende Kleidungsstück.

Wie kann Mode für Identität stehen, wenn nicht jede Identität auch repräsentiert wird? Diese Frage stellt die Serie "Beyond Fashion" und beleuchtet damit einen Aspekt, der viel zu lange ausgeklammert wurde. Kleidung vertritt gerade in marginalisierten Gruppen eine wichtige Funktion, wirkt als eine Form der Zugehörigkeitsbekundung, eine Definition der eigenen Werte. In den inzwischen zwei veröffentlichten Staffeln begegnet Moderatorin Avi Jakobs Personen, die die strengen Grenzen der Modewelt öffnen und sie durch Aspekte der Genderfluidität, Nachhaltigkeit und die Infragestellung von Norm-Schönheit bereichern. In den neuen Folgen geht es so beispielsweise um den Einfluss von Hip-Hop auf die Modebranche, die subversive Kraft von Fetisch- und Clubwear und den Zusammenhang von Kleidung und psychischer Gesundheit. 

Mode als unpolitische und unantastbare Bubble ist langweilig und veraltet. Spannender ist, zusammen weiter zu denken: "Warum sollen wir nicht alle alles tragen?", wie Avi Jakobs fragt. "Wir können aufhören, uns gegenseitig auszugrenzen. Es gibt keine Regeln."

"Beyond Fashion", ARD Kultur, bis auf weiteres

Avi Jakobs, Moderatorin der Serie "Beyond Fashion" bei ARD Kultur
Foto: ARD Kultur

Avi Jakobs, Moderatorin der Serie "Beyond Fashion" bei ARD Kultur