Kunstmesse in Berlin

9 Dinge, die man auf der ABC nicht verpassen sollte

Wilhelm Klotzeks Bushaltestelle am Eingang zur ABC

Die Kunstmesse Art Berlin Contemporary (ABC) ist eröffnet. Highlights der Monopol-Redaktion

Karl Holmqvist am Stand der Galerie Neu
Aus welchem Popsong stammt die Zeile nochmal? Oder war es ein Gedicht? Ein Film? Oder hat er das erfunden? Was auch immer für Quellen der Schwede Karl Holmqvist für seine Textarbeiten heranziehen mag – die Botschaften sind klar. "Jerk off and die", rufen schwarze Buchstaben auf weißer Leinwand. Auf einer anderen, ganz passend zum Zustand mancher feierwütigen Galeristen und Mitarbeiter, steht: "Make up, make out, pass out, wake up". Zwei Neo-Skulpturen und eine gigantische Stahlkonstruktion ergeben die Worte "Life Nice Karl" sf

Robert Heinecken bei Capitain Petzel
Der Boom der sogenannten Post-Internet-Artists hat zu einem neuen Interesse an älterer Medienkunst geführt. Capitain Petzel zeigen an ihrem Stand Arbeiten von Robert Heinecken aus den 80er-Jahren. Warum der früh verstorbene US-Amerikaner in Teilen des Kunstbetriebs in Ungnade gefallen war, lassen die derb-sexistischen Collagen aus Magazinseiten erahnen (der junge Mark Wahlberg etwa besudelt ein halb-nacktes Mädchen – oder erbricht sie in seine Unterhose?), die in Tischvitrinen präsentiert werden. Subtiler, eigentlich auch fieser ist die Polaroid-Serie "Lessons in Posing Subjects", für die Heinecken Models aus Magazinseiten abfotografierte und nach Posen sortierte. Warum Frauen die Hand in die Hüfte strecken oder warum der "Sisterhood Look" (zwei Frauen tauchen in demselben Kleid auf einer Party auf) – lange der Alptraum jeder modebewussten Dame – plötzlich tres chic wurde, erläutert Heinecken in kaum weniger ironischen, pseudo-soziologischen Texten. sf

Helene Appel am Stand von Luis Campagna
Zeuxis von Herakleia malte im Wettstreit mit Parrhasius so naturgetreue Trauben, dass Vögel an ihnen picken wollten, erzählt uns die griechische Antike. Helene Appel malt Spaghetti– und zeigt, dass die Sache mit dem Illusionismus auch 2500 Jahre später noch nicht gegessen ist. Das Besondere der 1976 geborenen Deutschen: Sie fragt nicht nur nach dem Unterschied von Bild und Objekt, sondern kriegt es hin, dass ihre Sujets ihre spezifischen Qualitäten beibehalten: Spaghettis sind Mikado-artig. Fleisch patzt auf die Leinwand. Ein Handtuch flattert vor und hinter ungrundierter Leinwand. Wasser wirft Flecken. Alles ganz einfach, alles ganz wunderbar. sf

Constant Dullart am Stand der Future Gallery
Auch wenn der nackte Rücken einer Frau immer die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Die Obsession des Künstlers Constant Dullaart für das Foto beruht auf einer anderen Geschichte. Der US-Amerikaner John Knoll schoss dieses Bild von seiner Frau Jennifer Knoll 1988 auf Bora Bora im pazifischen Ozean und verwendete es fortan als Vorlage für das Computerprogramm Photoshop, das er gemeinsam mit seinem Bruder erfand. Auf dem Rücken seiner Frau testete er buchstäblich, wie per Mausklick das digitale Bild verändert, verschönert oder komplett verzerrt werden kann. Jeder potenzielle Kunde fand die halbnackte Jennifer so auf seinem Bildschirm wieder und lernte die Bildbearbeitungsmöglichkeiten kennen, die Knoll programmiert hatte. Der Künstler Dullart erinnert mit seiner Arbeit "Jennifer in Paradise" an dieses Urbild der digitalen Manipulation. Die Tapeten und sogenannten Linsenrasterbilder, also Bilder, die aus jedem Winkel anders aussehen, stellt Future Gallery in Berlin aus. Den Brief, den Constant Dullaart für Jennifer Knoll verfasste, um mehr über diesen unschuldigen Augenblick am Strand zu erfahren, lesen Sie hier. as

Ryan Trecartin und Lizzie Fitch bei Sprüth Magers
Diese Form der Nostalgie kennen Ryan Trecartin und Lizzie Fitch bekanntlich nicht. Die Videos, die der Amerikaner oft mit Fitch zusammen erarbeitet, führen uns in post-post-post-traumatische Feuerwerk-Welten, in denen Menschen mit Katzenmonstern durch verlassene Gebäude laufen, Spielzeugautos Unfälle bauen, leuchtende Drohnen über Grimassen-verzerrte Jugendliche fliegen, und Sprache zum babylonischen Selfie-Labyrinth wird, aus dem niemand mehr herausfindet. Nun gibt es all das plötzlich auch in 2D. Für den Stand von Sprüth Magers nimmt Trecartin Auszüge aus seinen bewegten Welten und setzt sie neu in bunten Rahmen zusammen, die aus Vlies- oder Zeltstoffen bestehen.  as

Gruppenausstellung bei Société
Wir raten dringend davon ab, das Flakon-Fläschchen am Stand von Société zu öffnen. Der Geruch erinnert an Synthetik-Klamotten, Krankhausreinigungsmittel und PVC-Böden und verlässt die Haut erst nach wiederholter Wäsche. Trotzdem ist ein Besuch dieser Warenauslage natürlich empfehlenswert: Die Flakons sind Teil der Produktpalette, die die Galerie hier zum Verkauf anbietet als handele es sich um einen Concept Store. Neben den hausgemachten Künstlerbüchern – wunderschön zum Beispiel "The Great Pam" von Trisha Baga, das als eine Art digital illustrierte Ausgabe von "The Great Gatsby" vorliegt – gibt es einen Kleiderständer mit Pullis, Karateanzügen und T-Shirts unter anderen von Timur Si-Qin. Zur Brust nehmen kann man sich hier unter dem Label "Peace" Aufschriften wie "Everything I do is the future" oder "Get a job where you kill people". as

Wilhelm Klotzek bei Tobias Naehring
Vor dem Eingang zur Halle steht eine Bushaltestelle, die man leicht übersieht, weil Bushaltestellen ja überall sind. Nur an dieser Bushaltestelle wartet eine menschengroße Zigarette aus Plastik, sitzt dort gedudig neben eine Aldi- und einer Lidltüte – Insignien des auf Abstellgleisen geparkten Prekariats. Die Galerie Tobias Naehring aus Leipzig zeigt diese komische Arbeit von Wilhelm Klotzek, der zurzeit auch in der Gruppenausstellung "Redemption Joke" in der Neuen Gesellschaft für Bildenden Kunst (NGBK) in Berlin zu sehen ist. Die Bushaltestelle an diesem Ort erinnert an die Fake-Bushaltestellen vor Altersheimen, die Alzheimerpatienten das Gefühl geben sollen, dass es noch irgendwo hingeht. dv

Jeanno Gaussi bei Koal
Die Flüchtlingskrise ist auf der Messe angekommen: An einem Fahnenmast hängt eine Flagge, auf der "Save Our Souls" in der Typo Leipzig Antiqua gedruckt ist. Auf dem Mast selbst stehen Zitate: Hasskommentare, die auf Facebook nach dem gewaltsamen Tod eines Flüchtlings vergangenen Winter in Dresden veröffentlicht wurden. Die Flagge wurde in der Blaudruckwerkstatt im sächsischen Pulsniz gedruckt, ein Verfahren, das dort 1946 mithilfe eines schlesischen Flüchtlings wiederbelebt wurde. Das Statement der in Kabul geborenen und in Berlin lebenden Künstlerin Jeanno Gaussi ist komplexer, als es zunächst scheint. dv

Rikrit Tiravanija bei Neugerriemschneider
Die Künstler der Relational Art bringen mit Rutschen, Kochen und anderen die Besucher in Teilnehmer verwandelnden Aktionen seit den 90er-Jahren Leben in die Museen und Ausstellungshäuser. Was einmal als Institutionskritik gemeint war, treibt heute die Verwandlung der bildenden Kunst in eine von vielen Unterhaltungsindustrien voran. Aber auf eine Kunstmesse wirken die Tischtennisplatten des thailändischen Künstlers Rikrit Tiravanija doch sehr belebend. Am Sonntag findet hier das Tischtennis-Turnier "Monopol Masters" statt. dv